Wien – Das Jahr 2024 wird für Österreichs Onlinehandel zum Jahr der Wahrheit, sagt Harald Gutschi, Chef der Versandhandelsgruppe Unito. Heuer werde sich zeigen, ob die neue Konkurrenz aus China ihren rasanten Siegeszug in Europa fortsetze oder mangels Qualität Kunden verliere.

China macht sich auf den Weg, Europas Onlinehandel zu erobern.
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Sie nennen sich Temu und Shein. Der direkte Zugang zu Lieferanten in Asien ermöglicht ihnen ein breites Sortiment und niedrige Preise, von denen andere Händler nur träumen können. Ausgeklügelte künstliche Intelligenz und aggressives Marketing ebnen ihnen den Weg für den Sprung von China über die USA in die EU.

Millionen Pakete am Tag

Temu startete im vergangenen Frühjahr in Europa nahezu aus dem Nichts, um den Markt mit nunmehr bis zu einer Million Pakete pro Tag zu fluten, rechnet Gutschi vor. 200.000 landeten täglich in Deutschland, bis zu 30.000 in Österreich. Bis Jahresende werde der Onlineriese, dessen Umsatz auf 16 Milliarden Dollar geschätzt wird, allein hierzulande wohl 30 Millionen Lieferungen verbuchen.

Die schwarze Liste, die auf sein Konto geht, wird stetig länger. Gutschi spricht von Verdacht auf Zollbetrug und mangelhaften Datenschutz, von fehlenden Gütesiegeln, riskanten Chemikalien und "unfassbarer Umweltverschmutzung" aufgrund der Transporte via Flugzeug. "Die Preise fürs Fliegen sind in der Folge um 30 bis 50 Prozent explodiert."

Konventionelle Händler bezeichnen das Geschäftsmodell von Temu und Shein gemeinhin als "Schrott-Commerce". Verluste hätten beide Konzerne einkalkuliert, allein schon aufgrund der vielen Retouren. Es gehe ihnen derzeit nicht ums Geldverdienen, sondern um Marktanteile.

Zweischneidiger Konsum

Das Verhalten der Konsumenten sei zweischneidig, meint Gutschi mit Blick auf Klimakleber und Fridays for Future. Da werde zum einen gegen den Klimawandel gekämpft, zum anderen aber um wenige Euro in China eingekauft.

Es sind jedoch nicht nur die neuen Rivalen aus Fernost, die die Nerven des Einzelhandels strapazieren. Die Branche sieht sich, gemessen an realen Umsatzzuwächsen, seit acht Jahren auf der Stelle treten. Die Gefolgschaft versagen ihr Konsumenten vor allem, seit die starke Teuerung alle Lebenslagen erfasst. Wer es sich leisten kann, gibt Geld lieber für Urlaube, Freizeit und Gastronomie aus.

Der Modehandel verlor 2023 inflationsbereinigt acht Prozent an Umsatz, zieht Norbert Scheele, Expansionschef von C&A, Bilanz. Jeder Mehrumsatz werde von höheren Kosten aufgefressen. Der Elektrohandel büßte real 7,8 Prozent ein, sagt Mediamarkt-Vorstand Alpay Günar, der vor allem Küchengeschäfte unter Druck sieht. Umsätze mit Schmuck und Uhren sanken um vier Prozent, ergänzt Karin Saey, Handelschefin des Dorotheums. Quer über alle Branchen belief sich das reale Minus auf 3,6 Prozent. Der Onlinehandel brach zugleich um 8,6 Prozent ein.

"Keine Wahlkampfzuckerln"

Ein Drittel der Einzelhändler bilanzierte im Vorjahr in Österreich mit Verlusten, zitiert Handelsverbandschef Rainer Will aus jüngsten Umfragen seines Verbands. Ebenso viele litten unter Personalmangel. Mehr als 16.000 Stellen im Einzelhandel seien unbesetzt. 95 Prozent der Unternehmen beklagen wachsende Bürokratie. Was es jetzt brauche, seien keine Wahlkampfzuckerln, sondern echte Reformen, sagt Will. Höchste Priorität habe die Eindämmung der Inflation.

Wie ein roter Faden zieht sich aber auch die Forderungen nach einer Senkung der Lohnnebenkosten durch den Handel. Ob Wohnbauförderung, Kommunalsteuer oder Familienlastenausgleich – vieles, was die Einkommen unselbstständiger Arbeitnehmer beschneide, sei zwar historisch gewachsen, lasse sich aber sachlich nicht rechtfertigen, sagt Saey. Ändere man dafür die Finanzierungsbasis, seien geringere Lohnnebenkosten ohne Einschnitte in den Sozialstaat möglich.

Mehr Beschäftigungsanreize stehen ebenso auf der Wunschliste der Händler wie weniger Bürokratie und Regulierung. Dauerbrenner ist die Abschaffung der Mietvertragsgebühren im Gewerbe. Gefordert wird zudem eine Ausgabenbremse seitens der Regierung. Die Schulden von heute seien die Steuern von morgen, gibt Handelsverbandspräsident Stephan Mayer-Heinisch zu bedenken.

Licht am Ende des Tunnels

Für das laufende Jahr befürchtet Will ein reales Minus im Einzelhandel von zwei Prozent. Das Wifo ist in seinen Prognosen zuversichtlicher und geht von Zuwächsen von 1,6 Prozent aus. Gutschi gibt sich für das zweite Halbjahr vorsichtig optimistisch: Dann werde manches rote Konto wieder schwarz, und die hohen Lohnsteigerungen machten Geld frei für den Konsum.

Entwarnung gibt der Handelsverband allein, was gestörte Lieferketten aufgrund der angespannten Lage im Roten Meer betrifft. Nur 24 Prozent der Händler erwarteten geringfügige temporäre Sortimentseinschränkungen, 32 Prozent einen leichten Preisanstieg für Konsumenten. Die meisten Lager seien voll, der Handel habe sich für etwaige Engpässe gerüstet. (Verena Kainrath, 25.1.2024)