Russland, China, der Iran oder die Golfstaaten: Wenn es um brisante politische Einflussoperationen in Europa geht, denkt man meist an diese Weltmächte. Doch einer der größten europäischen Skandale um mutmaßlich geschmierte Politiker geht von der ehemaligen Sowjetrepublik Aserbaidschan aus, die nach wie vor autoritär regiert wird und nur knapp mehr Einwohner als Österreich hat.

Die Generalstaatsanwaltschaft München hat nun Anklage gegen zwei deutsche Ex-Politiker erhoben: gegen den CSU-Abgeordneten Eduard Lintner, der bis zu seinem Ausscheiden 2009 im Bundestag saß, und Axel Fischer, der dort bis 2021 die CDU vertrat. Nach vierjährigen Ermittlungen sahen die Ankläger nach Informationen von STANDARD, "Spiegel" und ZDF den Verdacht auf Bestechlichkeit und Bestechung von Mandatsträgern erhärtet.

Alijew
Der aserbaidschanische Diktator Alijew küsst die Nationalflagge.
AP

Die Staatsanwaltschaft wirft Lintner vor, Gelder aus Aserbaidschan erhalten und teilweise an Abgeordnete weitergeleitet zu haben. Die Zahlungen an Lintner hatten Reporter der "Süddeutschen Zeitung" und des Organized Crime and Corruption Reporting Project (OCCRP) bereits 2017 aufgedeckt. Bis 2016 habe Lintner laut Staatsanwaltschaft über 19 ausländische Briefkastenfirmen einen mehrfachen Millionenbetrag erhalten. Lintner hatte damals nicht bestritten, als bezahlter Lobbyist für Aserbaidschan tätig gewesen zu sein, und bestätigt, dass Geld von staatlichen Stellen an seine Firmen floss. Zu den in der Anklageschrift erhobenen Vorwürfen teilte er nun mit, er könne nur feststellen, dass diese "sachlich nicht berechtigt" seien.

Europarat
Mitglieder des Europarats in Straßburg waren Ziele einer aserbaidschanischen Einflusskampagne.
IMAGO/Future Image

Lintner war bis 2005 Mitglied der Parlamentarischen Versammlung des Europarats. Aserbaidschan trat dem Europarat, der mit Parlamentariern aus seinen 46 Mitgliedsstaaten beschickt und nicht mit den Institutionen der EU zu verwechseln ist, 2001 bei. Im Europarat geht es insbesondere um Menschenrechtsfragen. Bei diesem Thema hat Aserbaidschan große Probleme: Die Herrscherfamilie Alijew gilt als autokratisch und korrupt, politische Opposition und Pressefreiheit werden brutal unterdrückt. Doch das Land betreibt seit Jahren erfolgreiche Imagepflege, war Austragungsort von Formel-1-Rennen und wird heuer Bühne für die Weltklimakonferenz COP 29.

Kaviardiplomatie

Die Parlamentarische Versammlung im Europarat wurde zum Vehikel für diese Imagepflege. Mit Kaviar, Teppichen, Reisen und Geld Geschmierte sollten bei Abstimmungen und ihren Reden im Sinne Aserbaidschans handeln und sprechen. Die Staatsanwaltschaft wirft Fischer vor, ebendies gemacht zu haben, gegen ihn wurde Anklage wegen Bestechlichkeit erhoben.

Fischer habe mit einem Abgeordneten aus Aserbaidschan schon 2011 vereinbart, "gegen Bargeldzahlung zukünftig nach Anweisung im Interesse Aserbaidschans" im Europarat tätig zu werden, so die Ankläger. Es sei dabei um "positive Redebeiträge, die frühzeitige Übermittlung von vertraulichen Dokumenten" und sein Abstimmverhalten gegangen. Bei mindestens einer Abstimmung von besonderer Relevanz für Aserbaidschan, wenn es also wie etwa am 26. Jänner 2016 um den schwelenden Konflikt in Bergkarabach ging, votierte CDU-Mann Fischer im Sinne Bakus.

Außerdem soll er laut Staatsanwaltschaft 2016 insgesamt 21.800 Euro erhalten haben. Weitere Zahlungen aus früheren Jahren sind verjährt und wurden nicht angeklagt. Die Ermittlungsbehörde beantragte, auch verjährte Beträge im Zuge einer Vermögensabschöpfung einzuziehen.

"Täter kamen ungestraft davon" 

"Es war das perfekte Verbrechen", sagt Gerald Knaus, österreichischer Migrationsforscher und Gründungsdirektor des Thinktanks Europäische Stabilitätsinitiative, der die systematische Korruption durch Aserbaidschan im Europarat 2012 zum Thema machte. "Selbst als alles aufgedeckt wurde, kamen die Täter ungestraft davon." "Dass das endlich zur Anklage kommt, ist gleichzeitig großartig und desaströs", findet Knaus. "Großartig, dass es endlich passiert, aber desaströs, dass es erst im Jahr 2024 passiert."

Die Generalstaatsanwaltschaft München hatte mit dem Bundeskriminalamt auch international ermittelt oder Rechtshilfeersuchen gestellt. Laut einer Mitteilung unter anderem in Zypern, Liechtenstein, Belgien, Estland, Lettland, Aserbaidschan und der Schweiz. In dem Verfahren ging es auch um die CDU-Abgeordnete Karin Strenz, die 2021 überraschend verstarb. Sie soll zwischen 2014 und 2017 etwa 149.000 Euro Bestechungsgeld erhalten haben. 2015 und 2016 stimmte sie laut Staatsanwaltschaft zugunsten Aserbaidschans. Ein Mitarbeiter Lintners und sein Sohn wurden außerdem wegen Beihilfe zur Bestechung angeklagt. (Hannes Munzinger, Maria Retter, 29.1.2024)