Der Innsbrucker Politikwissenschafter Gerhard Mangott gehört nicht erst seit dem russischen Überfall auf die Ukraine zu den gefragtesten Russland-Kennern im deutschsprachigen Raum. Sein Anspruch in den TV-Auftritten, Radiointerviews und Zeitungskommentaren sei es dabei stets, nüchtern zu analysieren, was im Kreml und hinter den Kulissen geschieht – "möglichst frei von politischem Aktivismus, von Parteinahme und von Emotionalisierung", wie er betont.

Mangotts neues Buch Russland, Ukraine und die Zukunft ist als Handreichung für jene Leserinnen und Leser konzipiert, die sich einen kompakten Überblick zur Entwicklung von der Maidan-Revolution bis hin zur kriegerischen Gegenwart versprechen. Im Gespräch mit dem STANDARD erklärt der Autor unter anderem, warum sich Wladimir Putin vermutlich gar nicht so sehr über eine Wiederwahl Donald Trumps in den USA freuen würde.

Putin-Gegner mit Masken.
Russlands Präsident Wladimir Putin, dessen Antlitz die Masken dieser Demonstranten ziert, lässt keinerlei echte Gegner bei der Wahl zu.
EPA/JOSE COELHO

STANDARD: Sie beschäftigen sich seit Jahrzehnten wissenschaftlich mit Russland und seinen Herrschern. Hat Sie Wladimir Putins Angriffsbefehl am 24. Februar 2022 eigentlich überrascht?

Mangott: Ich habe zwar schon im Jänner 2022 mit einer militärischen Eskalation gerechnet, bis zum 21. Februar, als Russland die zwei sogenannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk anerkannt hat, hatte ich aber eher eine Wiederaufnahme der Kämpfe im Donbass erwartet. Dass Russland tatsächlich den strategischen Fehler begehen würde, einen großräumigen Angriff auf die Ukraine zu starten, habe ich nicht erwartet, weil er mir völlig unlogisch erschien und er bis heute eben auch völlig unlogisch bleibt.

STANDARD: Hat sich denn eigentlich Ihr persönliches Bild von Putin gewandelt?

Mangott: Ja, aber das Bild hat sich im Laufe seiner Herrschaft eben auch deutlich geändert. Das hängt auch damit zusammen, dass Putin sich selbst verändert hat. Ich stimme jenen Kollegen und Kolleginnen nicht zu, die sagen, sie hätten schon bei seiner Wahl im Jahr 2000 absehen können, wohin das Ganze führt. Ich denke, Putin ist auch durch eine Sozialisation gegangen in den vergangenen 24 Jahren. Spätestens ab 2012 ist diese revisionistische Ideologie bei ihm immer stärker geworden.

Innsbrucker Politologe Gerhard Mangott mit blauer Krawatte
Gerhard Mangott: "Putin istsicherlich nicht verrückt, wie das gerade in den Anfangswochen und -monaten immer wieder geschrieben wurde."
Maria Kirchner/Brandstätter Verl

STANDARD: Zu Beginn des russischen Krieges galten Wirtschaftssanktionen als schärfstes Schwert des Westens gegen Russland. Warum haben diese bisher nicht das gewünschte Ergebnis gebracht?

Mangott: Die Hoffnung, Putin würde wegen der Sanktionen den Krieg beenden, war von Anfang an aussichtslos. Aber auch das zweite Ziel, Russland wirtschaftlich, finanziell und technologisch zu bestrafen, wurde bisher nicht erreicht. Vor allem deshalb nicht, weil sich die russische Volkswirtschaft seit 2014 auf ein verschärftes Sanktionsregime vorbereitet, sich deutlich aus dem Dollar zurückgezogen und neue Märkte erschlossen hat, sowohl für den Import als auch für den Export. Dazu kommt, dass die westlichen Erwartungen über die Resilienz der russischen Volkswirtschaft falsch gelegen sind. Viele der Sanktionen können von Russland umgangen werden, etwa durch das System der Parallelimporte aus Staaten wie der Türkei, Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten oder eben China, gerade im Bereich der Hochtechnologie. Zu verdanken hat Putin diese Resilienz aber auch Kräften in der Regierung und der Zentralbank, die dem Krieg zwar vielfach negativ gegenüberstehen, gleichzeitig aber viel von dem neutralisiert haben, was sich an westlicher Schockwirkung in Russland entfalten sollte.

STANDARD: Ist Putin denn überhaupt ein rationaler Akteur?

Mangott: Er ist jedenfalls sicherlich nicht verrückt, wie das gerade in den Anfangswochen immer wieder geschrieben wurde. Vor allem in der internationalen Politik agiert er im Rahmen seiner eigenen Rationalität. Diese Rationalität ist aber aufgrund von Informationslücken oder falscher Nachrichten, die ihm kommuniziert werden, aber auch durch persönliche Emotionen von der Wirklichkeit in manchen Bereichen deutlich entfernt.

STANDARD: Warum lässt ein autoritärer Herrscher wie Putin jetzt im März überhaupt wählen?

Mangott: Es wird jedenfalls keine faire und freie Wahl sein, Putin will eine Art Krönung. Sein Pressesprecher hat davon gesprochen, dass es bis zu 90 Prozent Unterstützung werden könnten. 2018 waren es noch knapp 77 Prozent. Man bemüht sich natürlich schon fleißig, das Kandidatenfeld auszusieben. Erstmals finden Präsidentenwahlen zudem an mehreren Tagen statt, was bedeutet, dass man sehr, sehr viel manipulieren kann. Die Beschäftigten an den Universitäten, im Militär und in den Staatsbetrieben werden etwa gezwungen, Handyfotos von ihrem Wahlzettel zu machen, damit sie dokumentieren können, wie sie abgestimmt haben. Die Wahl ist jedenfalls keine Wahl, die diesen Namen verdienen würde, sondern eine Krönungszeremonie.

STANDARD: Würde denn ein Kandidat, der ein Ende des Ukrainekrieges verspricht, in einer fairen Wahl Ihrer Meinung nach Erfolg haben?

Mangott: Wenn es finanzielle Fairness gäbe im Wahlkampf, wenn es tatsächlich einen freien und ausgewogenen Zugang zu den wichtigsten elektronischen Medien gäbe, dann könnte ein solcher Kandidat vermutlich bis zu 25 Prozent der Stimmen auf sich vereinen. Aber diese Bedingungen sind nicht gegeben. Boris Nadeschdin, der gegen den Krieg Stellung bezieht, steht bisher nicht einmal auf dem Stimmzettel. Es kann durchaus sein, dass er zwar genügend Unterschriften sammelt, die zentrale Wahlkommission dann aber entscheidet, dass ein Teil dieser Unterstützungserklärungen ungültig ist. In einer manipulierten Wahl würde er Putin aber ohnehin sicher nicht gefährlich.

STANDARD: Wie sehr würde sich Putin eigentlich über einen Wahlsieg Donald Trumps in den USA freuen?

Mangott: Von meinen Kontakten mit russischen Politikern, Diplomaten und Beamten höre ich, dass man in Moskau keine zu großen Erwartungen hat. Nicht in dem Sinne, dass man nicht glaubt, dass Trump gewinnen könnte, sondern dass er dann tatsächlich das liefert, was er jetzt verspricht. Dazu muss man nur an seine erste Amtszeit denken, in der Trump sehr russlandfreundliche Aussagen gemacht hat, etwa zum Thema Krim. Seine Politik hat dann das Verhältnis zu Russland in vielen Bereichen aber eher verschlechtert. Leute wie Rex Tillerson, Mike Pompeo, James Mattis oder John Bolton haben alle Gesten, die Trump in Richtung Russlands machen wollte, obstruiert. Man erwartet in Moskau aber schon, dass die Unterstützung für die Ukraine militärisch und finanziell deutlich geringer würde als im Fall einer zweiten Amtszeit Joe Bidens. (Florian Niederndorfer, 29.1.2024)