Junge Therapeutin im Gespräch mit einem Paar
Die Psychotherapieausbildung wird erstmal seit 1991 gesetzlich neu geregelt. Das ist eine gute Sache – doch in der Praxisausbildung gilt es noch nachzuschärfen, finden Fachleute.
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Die Psychotherapieausbildung soll auf neue Beine gestellt werden. Derzeit befindet sich die Gesetzesvorlage mit der umfassenden Novellierung des Psychotherapiegesetzes aus dem Jahr 1991 in der Begutachtung, bereits 2025 soll das neue Gesetz gelten. Damit soll die Psychotherapieausbildung gänzlich akademisiert werden, ab 2026 soll es auch Studienplätze an öffentlichen Universitäten geben.

Diese Novellierung wird von allen Seiten begrüßt, von klinischen Psychologen, Psychotherapeutinnen und auch im Fachbereich der Psychiatrie. "Wir begrüßen, dass eine Novellierung des Psychotherapiegesetzes in Gang gesetzt wurde und damit die Akademisierung der Ausbildung gesetzlich verankert wird", betont etwa Jutta Fiegl, Professorin für Psychotherapiewissenschaft an der Sigmund-Freud-Uni, Vizerektorin der SFU und Dekanin der Fakultät für Psychotherapiewissenschaft. An der SFU hat man bereits viel Erfahrung mit dieser Ausbildung, dort wurde 2005 das weltweit erste Psychotherapiestudium etabliert.

Die akademisch geregelte Ausbildung sieht drei Teile vor: Bachelor, Master und einen dritten, postgradualen Ausbildungsabschnitt, in dem man bereits in die Liste der Psychotherapeutinnen und -therapeuten eingetragen ist, mit dem Zusatz "in Fachausbildung unter Supervision". Das sorgt dafür, dass die Voraussetzungen für die Profession einheitlicher geregelt sind und der nötige Wissensgrundstock garantiert wird. Doch es gibt auch Kritikpunkte.

Video: Psychotherapieausbildung wandert an öffentliche Unis.
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Späte Eignungsprüfung

Aus Sicht der SFU finden sich in der Gesetzesnovellierung für die Zulassung zum Studium aber Gleichstellungen, die noch einmal genauer betrachtet werden müssten. Fiegl erklärt: "Zum Masterstudium sind auch Absolventinnen und Absolventen etwa der Fächer Philosophie oder Sozialpädagogik zugelassen. Psychologinnen und Musiktherapeuten beispielsweise können direkt in den dritten, postgradualen Praxisabschnitt einsteigen. Das ist insofern nicht ideal, als die Praxiserfahrung im Studium bereits im ersten Bachelorabschnitt beginnt. Kommen Auszubildende dann später aus anderen Disziplinen, fehlt ihnen dieses Grundwissen."

Auch die Eignungsprüfung für den Therapeutenberuf erfolgt laut neuem Gesetzesentwurf erst im dritten Ausbildungsabschnitt. Das sei aber zu spät, sagt Fiegl: "Die Studierenden haben ab Beginn der Praxisausbildung mit Klientinnen und Klienten zu tun, also schon recht früh. Da sollte bereits klar sein, ob grundlegende Eigenschaften wie Reflexionsfähigkeit gegeben sind."

Auf der SFU sei das mit einem Aufnahmegespräch geregelt. Vor Zulassung zum Studium finden Gespräche mit zwei unterschiedlichen Therapeuten der Institution und ein Gruppenseminar statt. Ein weiteres Gespräch findet im Masterabschnitt statt, wenn man sich für eine psychotherapeutische Fachrichtung entschieden hat.

Keine psychiatrische Praxis

Mit Sorge sehen auch Vertreterinnen und Vertreter des Fachbereichs für Psychiatrie den Entwurf für das neue Psychotherapiegesetz. Denn ein verpflichtendes Praktikum an einer psychiatrischen Institution ist darin nicht enthalten, sagt Dan Rujescu, Professor für Psychiatrie an der Med-Uni Wien und Leiter der Psychiatrie und Psychotherapie am AKH Wien.

Im Zuge der bisher 550 Praxisstunden mussten zumindest 150 davon in einer facheinschlägigen Einrichtung des Gesundheitswesens absolviert werden. Nun wurden zwar die Praxisstunden auf insgesamt 1.000 erhöht, aber eine Psychiatriepraxispflicht ist nicht enthalten, die ist nur eine Option. "Es ist aber aus unserer Sicht wirklich wichtig, dass Psychotherapeutinnen und -therapeuten die psychiatrischen Krankheitsbilder aus der Praxis kennen", betont Rujescu.

Hat man Krankheitsbilder wie Schizophrenie, Demenzen, Delir oder frühkindlichen Autismus einmal in der Praxis gesehen, auch in einer Ausprägung, die eine stationäre Aufnahme nötig macht, fällt es in der psychotherapeutischen Arbeit wesentlich leichter, diese zu erkennen und eine psychiatrische Abklärung anzuregen. "Diese Erfahrung und auch zu sehen, wie erfolgreich eine pharmakologische Behandlung sein kann, etwa bei der Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung ADHS, bei Depressionen oder Angststörungen, schätzen angehende Psychotherapeutinnen und -therapeuten, die in unserer Abteilung waren, sehr."

Natürlich könne man das auch in der Theorie lernen. "Aber hat man das einmal praktisch erfahren, entwickelt man aus unserer Sicht ein ganz anderes Verständnis für die unterschiedlichen Krankheitsbilder. Und das ist letztendlich für alle essenziell, für die Psychotherapeutinnen und die Patienten", sagt Rujescu.

Brückenschlag gefordert

Die Tatsache, dass dieses Gesetz überarbeitet wird, finden Rujescu und seine Kolleginnen und Kollegen prinzipiell gut. "Aber man vergibt sich eine einmalige Chance, psychiatrisches Praxiswissen zu vermitteln. Wenn die psychiatrische Praxis nicht verpflichtend wird, haben wir die Sorge, dass viele dieser klinischen Krankheitsbilder in der Praxis zu spät erkannt werden."

Warum diese verpflichtende Psychiatriepraxis im neuen Entwurf nicht enthalten ist, kann Rujescu nicht sagen. In die Ausarbeitung waren nach seinem Wissen jedenfalls keine Vertreterinnen und Vertreter seiner Fachrichtung involviert.

Auch Fiegl bedauert, dass die verpflichtende psychiatrische Praxis in der Gesetzesnovelle nicht enthalten ist: "Es würde die Kooperation mit den unterschiedlichen medizinischen Fachrichtungen und Professionen definitiv fördern, wenn man hier einen Praxiseinblick hat und wirklich akute Fälle kennenlernen kann." An der SFU sei das gegeben, weil man in den psychotherapeutischen Ambulanzen auch mit psychiatrischen Krankheitsbildern zu tun hat. Doch das sollte Teil der Ausbildung für alle Psychotherapiestudierenden sein.

Auf STANDARD-Anfrage teilt das Gesundheitsministerium mit, dass sich die Novelle des Psychotherapiegesetzes bis zum 8. Februar in Begutachtung befindet. Bis dahin können jederzeit Stellungnahmen eingebracht werden. Diese werden anschließend vom Gesundheitsministerium gesichtet und inhaltlich geprüft. Die Regierungsvorlage soll dann Ende April im Parlament beschlossen werden. (Pia Kruckenhauser, 30.1.2024)