Wand mit der Werbung für ein Rotlichtlokal
Prostitution ist in Österreich nicht zwangsläufig gesetzwidrig, Verleumdung und Erpressung dagegen schon, wie zwei Schwestern feststellen müssen.
IMAGO / CHROMORANGE

Wien – Am 20. Oktober 2021 hat Herr M. Geld für Sex gezahlt, das ist unbestritten. Er buchte bei einer Escort-Agentur den Besuch der heute 24-jährigen Frau O., um mit ihr geschlechtlich zu verkehren. Über ein Monat später, am 27. November, zeigte die Frau den jungen Mann bei der Polizei an und warf ihm vor, sie in seiner Wohnung vergewaltigt zu haben. Rund 17.000 Aktenseiten später ist das Verfahren gegen den Freier eingestellt, dafür sind O. und ihre ältere Schwester nun wegen Erpressung, Verleumdung und falscher Beweisaussage angeklagt und sitzen vor Richterin Petra Schindler-Pecoraro.

Die beiden unbescholtenen, in Österreich geborenen Nigerianerinnen bekennen sich beide nicht schuldig. Die Erstangeklagte bleibt bei ihrer, zum Teil unter Ausschluss der Öffentlichkeit getätigten, Aussage dabei: Sie habe bei der Polizei nicht gelogen. Und wer dem Freier ab Februar bis zumindest April 2022 Drohnachrichten schickte, in denen er aufgefordert wurde, zunächst 5000, dann 30.000 und schließlich 60.000 Euro zu zahlen, damit O. ihre Anzeige zurückziehe, will die 24-Jährige nicht wissen. Ihre Schwester ist überhaupt völlig konsterniert und versteht nicht, warum sie hier sitzt: Sie wisse nichts von einer Vergewaltigung und erst recht nicht von einer Erpressung, obwohl sie in den Nachrichten als Geldabholerin genannt war.

Tatsächlich stammt der Großteil der bedrohlichen Botschaften von nigerianischen Telefonnummern. Der oder die Absender wussten aber detailliert über die angebliche Vergewaltigung genauso wie über die Familienverhältnisse der Schwestern Bescheid. Gedroht wurde dem Opfer mit dem Tod oder der Verstümmelung, garniert mit Bildern von Messern und Schusswaffen, aber auch damit, Nigerianer oder Rumänen in seine Wohnung zu schicken, die ihn vergewaltigen würden, falls er das Geld nicht zahle. Die meisten Nachrichten waren auf Englisch, einige wenige auf Deutsch, darunter: "Ich werde Dich töten" und "Alles ist schon gekauft wir haben alles geplant es gab nie eine Vergewaltigung. Wir werden dich aus Unschuld in den Knast bringen."

Verdächtige Spuren auf Handys

Im Laufe der Ermittlungen wurden schließlich auch die Mobiltelefone der Schwestern von der Exekutive sichergestellt und von einem Sachverständigen ausgewertet. Dessen Conclusio: Eine der verwendeten nigerianischen Nummern war ab August 2022 im Handy der Erstangeklagten, die nach der Matura ein Studium begann, das sie aber abgebrochen hat, unter "King" eingespeichert. Und auf dem Handy der Schwester fand sich die "Ich werde Dich töten"-Botschaft. Die Erstangeklagte sagt, sie habe die Nummer unter "Blackmailer", zu Deutsch Erpresser, abgespeichert, nachdem sie im August 2022 beim Besuch ihrer Mutter im Heimatland von ihrem Vater kontaktiert worden sei, der wissen wollte, von wem die Nummer stamme. "Da können Sie aber noch nichts von einer Erpressung gewusst haben, warum sollen Sie ihn dann unter Blackmailer speichern?", wirft der Sachverständige ein, dass die Beschlagnahme erst im Herbst 2022 erfolgte. Die Erstangeklagte bleibt bei ihrer Version. Die Zweitangeklagte kann sich ebenso wenig erklären, wie die inkriminierte Nachricht auf ihr Gerät gekommen sei, die Angestellte vermutet einen Hackerangriff.

Belastet wird das Duo aber auch von Zeugen. Da ist einerseits ein heute 16-jähriger Schüler, der im Oktober 2021 ebenfalls in der Wohnung, in der sich die Vergewaltigung abgespielt haben soll, anwesend war. Er sah und hörte durch eine halboffene Milchglastür, dass O. zwar im Zuge ihrer Dienstleistung einmal "Stop" gesagt habe, der Freier darauf aber sofort aufgehört habe und die Position gewechselt wurde. Sie habe den Kunden auch "white boy" genannt und auf die unterdurchschnittliche Größe seines Fortpflanzungsorgans hingewiesen, sagt der Zeuge. Iris Augendoppler, Verteidigerin der Zweitangeklagten, ist verwirrt: "Meinen Sie, dass das sinnvoll fürs Geschäft ist, wenn sie ihn beleidigt?", fragt sie den Teenager. "Sie hat das gesagt", beharrt er. Als sie ging, wollte sie unbedingt noch eine Sammelfigur des Freiers, erinnert der 16-Jährige sich, sie müsse auch einen Raum mit einer Vitrine voller Markenuhren und teuren Sneakers gesehen haben, ist er überzeugt.

Noch gravierender ist die Belastung durch einen 27-Jährigen. Der sagt, er habe die Erstangeklagte auf Tinder kennengelernt und ab 2021 eine On-off-Beziehung mit ihr gehabt. "Es war nur für Spaß, eine reine Liebesbeziehung", zeigt er, dass die Gen Z offenbar unter Liebe etwas anderes versteht als frühere Generationen. Er sei in den USA gewesen, als sie ihm telefonisch über die angebliche Vergewaltigung berichtete, er habe ihr geraten, zur Polizei zu gehen. Es sei aber nicht der einzige Vorwurf gewesen: In den knapp zwei Jahren, die er sie kannte, habe sie ihm von drei Vergewaltigungen erzählt, eine davon durch einen Politiker.

"Der wohnt in einem Palast!"

Im April 2022 habe er sich einmal mit ihr im Hof des Blocks, in dem die Großfamilie wohnt, getroffen. Sie habe ihm eröffnet: "Der gehört abgestochen!"; der Zeuge sagt, er habe überhaupt nicht gewusst, worum es ging. Als O. es ihm erklärte, habe er gefragt: "Aber hat er dich vergewaltigt?", erzählt er der Richterin. O.s Antwort, laut seiner Darstellung: "Nein, natürlich nicht. Aber der wohnt in einem Palast, hat fett Kohle und Vitrinen mit Rolex und Sneakers daheim!" Aus der Entfernung habe er vernehmen können, wie der Vater der beiden Angeklagten mit der älteren Schwester schimpfte. "Why didn't you do it in a call shop?", soll er sich echauffiert haben.

Auf Nachfrage von Philipp Winkler, der gemeinsam mit Roland Friis die Interessen des jungen Freiers vertritt, erzählt der 27-Jährige noch mehr. "Sie hat dauernd gelogen!", ist er überzeugt. Sie habe die ganze Zeit, als sie sexuellen Kontakt hatten, an Geschlechtskrankheiten gelitten und dennoch ungeschützten Verkehr mit ihm und Kunden gehabt. Das habe sie aber als Argument für ihre Anschuldigung verwendet: Sie gab an, vom erpressten Kunden infiziert worden zu sein, habe sie gesagt. Der Zeuge berichtet auch, sie habe ihm gesagt, dass sie von ihm schwanger sei, und einige Wochen später, sie habe das Kind im Spital verloren. Als er einen Beleg für den Spitalsbesuch wollte, gab sie ihm keinen.

Richterin Schindler-Pecoraro gibt den beiden Angeklagten die Gelegenheit, sich zu den Zeugenaussagen zu äußern. Die Erstangeklagte beteuert, sie habe in der fraglichen Wohnung nie eine Vitrine mit teuren Uhren gesehen, und ihr Ex-Partner lüge. "Warum sollte er das tun?", fragt die Staatsanwältin. "Weil er Hass verspürt." – "Warum?" – "Weil ich Schluss gemacht habe." Privatbeteiligtenvertreter Winkler lässt nicht locker: "Ihr Ex kennt den Freier nicht. Woher soll er von den Vitrinen mit dem wertvollen Inhalt wissen, wenn nicht von Ihnen?" O. weiß es nicht. "Es gibt aus meiner Sicht auch bei den Erpressungsnachrichten mit den vielen Details über Ihre Familie zwei Möglichkeiten: Entweder Sie haben die jemandem erzählt. Oder ein Erpresser erfindet das, und die ganzen Details über die angebliche Tat, wo Ihre Familienmitglieder leben und wie sie heißen, stimmen zufälligerweise alle!", versucht er es mit Wahrscheinlichkeitsrechnung. "Dann glaub ich Zweiteres", antwortet die Erstangeklagte ruhig.

Bedingte Haftstrafen

Die Richterin glaubt am Ende wiederum den Zeugen mehr als den Schwestern. "Die Erstangeklagte hat sich schon bei ihrer ersten Aussage widersprochen. Und die Zeugen haben sie glaubhaft belastet", begründet sie die anklagekonforme Verurteilung von O. zu 24 Monaten bedingter Haft und 18 Monaten bedingt für ihre Schwester. Dem Opfer müssen die beiden seine im Zuge der angeblichen Vergewaltigung aufgelaufenen Anwaltskosten von 5500 Euro erstatten. Während das angeklagte Duo mit dieser Strafe einverstanden ist, gibt die Vertreterin der Staatsanwaltschaft keine Erklärung ab, die Entscheidung ist daher nicht rechtskräftig. (Michael Möseneder, 29.1.2024)