Niederlage für den spanischen Regierungschef Pedro Sánchez: Das Amnestiegesetz ist bei der ersten Parlamentsabstimmung am Dienstagabend in Madrid durchgefallen. Es sollte all diejenigen vor strafrechtlicher Verfolgung bewahren, die infolge einer Bürgerbefragung am 9. November 2014 und eines Unabhängigkeitsreferendums am 1. Oktober 2017 im nordostspanischen Katalonien angeklagt worden waren.

Ausgerechnet die sieben Abgeordneten der Unabhängigkeitspartei Junts per Catalunya (Gemeinsam für Katalonien) stimmten aber gegen den Entwurf und somit mit den rechten Parteien PP und Vox sowie zwei regionalen Abgeordneten. Dieser erhielt damit 179 Nein- und nur 171 Ja-Stimmen. Jetzt wird das Gesetz an den Rechtsausschuss des Parlaments zurückverwiesen, um dann in den kommenden zwei Wochen erneut zur Abstimmung vorgelegt zu werden.

Pedro Sánchez is not amused: Sein Amnestiegesetz muss überarbeitet werden, damit es eine Chance hat, im Parlament beschlossen zu werden.
AFP/JAVIER SORIANO

Junts, die Partei des im Brüsseler Exil lebenden ehemaligen katalanischen Präsidenten Carles Puigdemont, ging die Liste der zu amnestierenden Vergehen nicht weit genug. Junts hatte bis kurz vor der Abstimmung parallel zur Plenarsitzung mit den Sozialisten (PSOE) von Ministerpräsident Sánchez verhandelt. Diese hatten sich geweigert, neuen Änderungsvorschlägen zuzustimmen.

Junts will erreichen, dass mit einem neuen Amnestiegesetz auch all jene Separatisten begünstigt werden, denen "Terrorismus" und "Hochverrat" vorgeworfen werden. "Wir können uns nicht daran beteiligen, die katalanische Unabhängigkeitsbewegung der Willkür der politisierten spanischen Justizführung auszusetzen", erklärte Junts-Fraktionschefin Miriam Nogueras in der Parlamentsdebatte.

Umstrittene Ermittlungen

Pünktlich zur Abstimmung haben sowohl Richter Manuel García-Castellón am obersten Strafgericht in Madrid als auch Richter Joaquín Aguirre an einem Gericht in Barcelona äußerst umstrittene Ermittlungen wiederbelebt. Beide Verfahren zielen darauf ab, Puigdemont und sein engstes Umfeld trotz der Amnestie verurteilen zu können.

García-Castellón ermittelt direkt gegen Puigdemont. Dieser soll von Brüssel aus die Protestbewegung "Demokratischer Tsunami" geführt haben, lautete der Vorwurf. Diese Protestbewegung entstand, als mehrere Unabhängigkeitspolitiker und -aktivisten wegen der Durchführung des Referendums zu Haftstrafen von bis zu 13 Jahren wegen "Aufstands" verurteilt wurden. Die größte Aktion war die Blockade der Zufahrt zum Flughafen Prat in Barcelona. Ein Tourist, der deswegen versuchte, zu Fuß zum Flughafen zu kommen, erlitt einen Herzinfarkt – "Terror mit Todesopfer" ist das für Richter García-Castellón.

Außerdem wurden bei Auseinandersetzungen in Barcelona zwei Polizisten verletzt – "Tötungsabsicht" sieht der Richter darin. Und schwerwiegender noch: García-Castellón geht davon aus, dass 2020 "der Demokratische Tsumani im Sinn gehabt haben könnte, im Zusammenhang mit dem Besuch von Ihrer Majestät Maßnahmen zu ergreifen" – etwa Proteste beim Vorbeifahren des Konvois von König Felipe VI. in Barcelona. Es passierte: nichts.

Anonymer Brief

Die Ermittlungen von Richter Aguirre in Barcelona drehen sich um angebliche Verbindungen der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung zum Kreml. Er habe neue Beweise in Form eines anonymen Briefes mit zahlreichen Zeitungsausschnitten erhalten. Von den Ermittlungen betroffen sind vor allem Unternehmer sowie die rechte Hand von Puigdemont, Josep Lluís Alay. Sie sollen sich mit Vertrauten von Präsident Wladimir Putin getroffen haben. Dabei habe der Kreml der katalanischen Regierung vor dem Referendum im Fall einer Unabhängigkeit 500 Millionen Dollar Hilfe und 10.000 bewaffnete Soldaten zur Verteidigung gegen Spanien angeboten. Puigdemonts Umfeld sei sogar über den geplanten Einmarsch in die Ukraine informiert worden.

Aguirre warnt in einem TV-Interview, das er keine 24 Stunden vor der Parlamentssitzung, gegen alle richterlichen Gewohnheiten verstoßend, gab: Der Kreml habe offenbar vor, mithilfe der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung Spanien und "alle europäischen liberalen Demokratien" zu destabilisieren.

Richter Aguirre hatte bereits 2021 und 2022 schwere Rückschläge einstecken müssen. So musste er Ermittlungen über angebliche Ölgeschäfte im Umfeld von Puigdemont einstellen, da es "keine soliden Beweise" gab. Die Antikorruptionsstaatsanwaltschaft hatte von Anfang an die Ermittlungen abgelehnt. Und der wichtigste Beweis gegen Puigdemonts Vertrauten Alay, einen Universitätsprofessor und Übersetzer, war null und nichtig. Es handelte sich um ein angebliches Dokument des russischen Geheimdiensts, das die Guardia Civil auf dem Handy Alays gefunden hatte. Es wurde mehreren rechten Tageszeitungen zugespielt, die es veröffentlichten. In Wirklichkeit handelte es sich um die ersten Seiten der Übersetzung eines Romans von Jelena Wawilowa, der als Inspiration für die vielfach preisgekrönte Spionageserie "The Americans" diente.

Separatisten drohen mit vorzeitigem Regierungsende

Die Junts-Partei drohte den regierenden Sozialisten von Ministerpräsidenten Pedro Sánchez am Mittwoch schließlich mit einem vorzeitigem Ende der erst im Dezember begonnenen Legislaturperiode. Nach den gescheiterten Amnestieverhandlungen erklärte Junts-Generalsekretär Jordi Turull, seine Formation könne nicht einfach zur Normalität übergehen und den nächsten Schritt machen. Damit spielte Turull konkret auf die bevorstehenden Verhandlungen zum Haushalt 2024 an, von denen nichts Geringeres als die Regierungsstabilität in Madrid abhängt.

Obwohl Regierungschef Sánchez die Neuwahlen im vergangenen Juli verlor, konnte der konservative Wahlsieger Alberto Núñez Feijóo keine Regierungsmehrheit hinter sich bringen. Sánchez gelang es im Dezember erneut eine Minderheitsregierung zu bilden, die aber unter anderem von den sieben Junts-Abgeordneten abhängt. Auf deren Stimme könne Sánchez aber nicht zählen, sollten sich die Sozialisten in den kommenden zwei Wochen nicht im Parlamentsausschuss auf Junts zubewegen. (Reiner Wandler aus Madrid, red, 31.1.2024)