Christoph Koeberlin: "Ich habe das Gefühl, dass der Rücken der Trikots immer umkämpfter wird."
Lars Wiedemann

Was Schiedsrichtern nachgesagt wird, scheint auch für Typografie zu gelten – zumindest wenn es nach Christoph Koeberlin geht. "Du bemerkst sie meist nur, wenn sie nicht funktioniert", sagt er im ballesterer-Interview. "Das ist im klassischen Lesekontext oft unbewusst, aber irgendetwas stört dich daran." Koeberlin sorgt dafür, dass das möglichst wenig geschieht. Er klärt auf seinen Blogs sportsfonts.com und typefacts.com über Schriften auf und entwickelt und verfeinert sie. Seine Arbeit haben vermutlich alle schon einmal gesehen – auf Autos, Kühlschränken, Internet­plattformen und Fußballtrikots. 2020 entwickelte er zum Beispiel eine Schrift für den FSV Mainz 05, 2023 folgte eine für den FC Schalke 04.

ballesterer: Welche Bedeutung hat Typografie im Fußball?

Christoph Koeberlin: Schrift ist im Sport stärker identifikationsbildend als in anderen Bereichen. Allein schon, weil du auf dem Trikot Ziffern und Buchstaben hast, die sehr viel Platz einnehmen – und auch in der Bewegung lesbar sein müssen. Schrift ist im Fußball wahnsinnig präsent, aber auch oft sehr schlecht. Ich komme aus der Typografie, bin aber seit Kindesbeinen ein großer Fußballfan und habe mir überlegt, wie man das besser machen könnte. Erstens, indem man selbst Schriften macht, zweitens, indem man Social Media und Co nutzt, um darauf aufmerksam zu machen, was vielleicht nicht gut ist und warum es nicht gut ist.

ballesterer: Woran erkennt man eine schlechte Schrift?

Koeberlin: Das ist natürlich immer auch subjektiv, kann aber viele Bereiche betreffen. Es beginnt damit, dass sie fantasielos ist. Wenn du eine Schrift auswählst, die schon zehn andere Vereine haben, kann sich daraus kein Charakter bilden. Dann gibt es die handwerkliche Komponente, manche Schriften sind schlecht gezeichnet oder haben falsche Proportionen. Auf Trikots sind zum Beispiel gestreckte Ziffern sehr beliebt, aber wenn du einen Buchstaben einfach nach oben ziehst, bleiben die Vertikalen gleich fett, die Horizontalen werden aber zu fett. Ein großes Thema ist auch die Lesbarkeit. Zur WM 2018 hat Adidas für das deutsche Trikot extrem geometrische Schriften gemacht, die vor lauter Style nicht mehr lesbar waren. Das O hat wie ein D ausgesehen, das X wie ein K, das R wie ein A. Ein Tweet von mir dazu ist viral gegangen – es hat mich überrascht, wie stark das Thema emotionalisiert.

ballesterer: Ist diese Adidas-Schrift nicht auch ein Beispiel dafür, dass jemand es besonders professionell machen wollte?

Koeberlin: Die großen Ausrüster legen einfach viel Wert auf Style. Die Designer kommen eher aus dem Textilbereich und dem Grafikdesign, aber ihnen fehlen oft Typedesigner. Eine Schrift ist eben ein bisschen mehr: Es reicht nicht, wenn Buchstaben als Einzelformen schön aussehen, sie müssen auch als Schrift funktionieren.

ballesterer: Wer entscheidet über das Erscheinungsbild – die Ausrüster, die Ligen, die Klubs?

Koeberlin: Ich habe das Gefühl, dass der Rücken der Trikots immer umkämpfter wird. Die Klubs merken, dass er eine große Fläche für Identifikation ist, die Ausrüster wollen ihn haben und zuletzt auch die Ligen. In England, Spanien, Italien und Frankreich gibt es ja schon Ligaschriften. Das treibt manchmal eigenartige Blüten. Ich bin kein Freund davon, alles glattzubügeln, jeder Verein hat eine eigene Identität.

ballesterer: Ist dieser Konflikt schon entschieden?

Koeberlin: Ich kann das noch nicht so richtig einschätzen. In Japan schaffen sie den ligaweiten Font wieder ab, ich glaube aber nicht, dass das in England passieren wird. Und dann gibt es Ausnahmen für die Großen. Bei Adidas sollen alle Länder in der Firmenschrift spielen, nur Deutschland bekommt seine eigene. Ähnlich ist es bei Puma, da bekommen Flaggschiffe wie Borussia Dortmund ihre eigenen Schriften. Alle sind gleich, manche sind gleicher.

ballesterer: Wie designt man eine Trikotschrift? Sucht man zuerst nach guten Ziffern und dann nach passenden Buchstaben?

Koeberlin: Im Optimalfall ist das ein Arbeitsschritt. Die Ziffer darf etwas andere Proportion haben als die Buchstaben, aber das sollte aus einem Guss sein. Da kommt dieses oft falsch verstandene form follows function hinein: Natürlich ist das Erkennen und Lesen eine der wichtigsten Funktionen, aber darüber hinaus auch Identifikation und ein Charakter, der zum Verein passt. Und dann muss man in einem Spannungsfeld abwägen: "Es wird lesbarer, wenn ich es ein bisschen anders gestalte" oder "Es wird wieder­erkennbarer, wenn ich noch ein Häkchen dranmache".

ballesterer: Es gibt ja viele Schriften im Fußball – von der Hausschrift über den Schriftzug und das Wappen bis zum Leitsystem im Stadion. Machen sich die Klubs Gedanken, wie das zusammenpasst?

Koeberlin: Das Bewusstsein dafür wird stärker. Im Zuge der Professionalisierung, die ja im Fußball alle Ecken erreicht, sind jetzt auch Design und Schrift dran. Es sind schon einige darauf bedacht, dass vom Kleingedruckten auf der Website bis zur Beschriftung des Busses alles eine visuelle Sprache spricht.

Schalke 04.
Schalke/Wiedemann

ballesterer: Inwieweit soll das mit der normalen Schrift des Vereins harmonieren?

Koeberlin: Ich war bei ein paar Vereinen tätig und habe immer propagiert, dass du eine Art Dachschrift hast und darunter Bereiche mit verschiedenen Funktionen. Mein Idealbild sieht so aus, dass sie in ihrer normalen Ausprägung für Texte und alles, was zum störungsfreien Lesen gedacht ist, nicht schreit. Dadurch hat sie eine höhere Halbwertszeit. Darauf aufbauend hast du Varianten für Saisonkampagnen und neue Trikots. Diese Schrift kann sich schneller abnutzen, darf dafür aber schreien: "Ich bin etwas Besonderes!" Du bleibst dir treu, wirst dadurch aber nie langweilig.

ballesterer: Apropos laute Schriften, die meisten Klubs haben Sponsoren. Ist das etwas, das man in Schriftentwicklung bedenken soll, oder sowieso ein Bruch?

Koeberlin: Die fallen in die Kategorie "Kommen und gehen". Spezieller wird es bei Fällen wie Red Bull, wo Sponsor und Verein verschmelzen. Ich war an der Entwicklung der Volkswagen-Schrift beteiligt und habe dann gesehen, dass der VfL Wolfsburg sie auf dem Rücken verwendet hat. Sponsoring ist da subtil an einer Stelle aufgetaucht, wo es eigentlich gar nicht auftauchen dürfte.

ballesterer: Gibt es für Sie ein Vorbild, also eine Schrift, die die Identität des Vereins unterstreicht?

Koeberlin: Ich muss nachdenken, mir fallen ein paar ein, die vom Marketingaspekt gut gemacht sind, das heißt aber nicht, dass die Schrift perfekt passt. Am ehesten ist das wahrscheinlich Juventus mit diesem wahnsinnig mutigen Ansatz gelungen, das Vereinswappen und das Erscheinungsbild komplett zu ändern – auch mit einer eigenen Schrift von vorne bis hinten. Das war schon konsequent.

ballesterer: Juventus ist aber auch ein gutes Beispiel dafür, dass Fans damit nicht glücklich sind. Ist das Fußballpublikum zu konservativ?

Koeberlin: Das Publikum ist sicher sehr sensibel. Durch die wachsende Kommerziali­sierung ist auch der Traditionsaspekt größer geworden. Die Fans grenzen sich von Konstrukten wie Red Bull, Hoffenheim und diesen aus dem Kommerz geborenen Klubs ab, indem sie sich stärker auf ihre Tradition berufen. Ich finde die auch bewahrenswert, gerade bei Vereinswappen. Wenn ich mit Vereinen über Schriften spreche, kommt manchmal der Vorschlag, auch etwas mit dem Wappen zu machen. Ich würde mich da nur unter Protest heranwagen.

ballesterer: Das Wappen von Kaiserslautern ist typografisch. Sind Sie deshalb Fan geworden?

Koeberlin: Nein, überhaupt nicht. Ich bin in der Pfalz geboren. Auch wenn wir relativ schnell wieder weggezogen sind, ist mir der Verein geblieben. Er war in den 1990er Jahren sehr erfolgreich und ist mir damals zugeflogen. In dem Landstrich gibt es auch nicht viel anderes als Fußball.

ballesterer: Wie gefällt Ihnen das Wappen?

Koeberlin: Diese typografischen Wappen sind ein wunderbares Feld, wo Leute kreativ geworden sind, um Buchstaben in eine Form zu quetschen. Wir leben ja in einer Zeit des Blandings, in der alle alles immer gleicher machen, alle Marken sich immer ähnlicher sehen, alle nur serifenlose Schriften verwenden und so weiter. Da finde ich Wappen umso schöner, die über Jahrzehnte nahezu unverändert geblieben sind.

ballesterer: War das Wappen auch Thema bei Ihrer Arbeit für Kaiserslautern?

Koeberlin: Nein. Sie haben eine Schrift für ihr Trikot gesucht, das ist zufällig an mich herangetragen worden. Während ich sonst schon versuche, das ein bisschen globaler zu sehen, war es bei Kaiserslautern nur das Trikot für zwei Saisonen.

Mainz.
Mainz/Wiedemann

ballesterer: Wie ist es bei Mainz und Schalke abgelaufen?

Koeberlin: Am Anfang steht die Frage, ob ich wie bei Schalke direkt mit dem Verein arbeite oder wie bei Mainz noch eine Grafikagentur dazwischengeschaltet ist. Das war in Mainz eine sehr fruchtbare Zusammenarbeit, weil Schrift nur in der Anwendung richtig funktioniert und auch im Design des Vereins umgesetzt werden muss. In einem ersten Schritt geht es immer darum herauszufinden, wie weit wir gehen können. Sowohl bei Mainz als auch bei Schalke war klar, es sollte eine Schrift werden, die den Verein im Kleinen wie im Großen prägen soll. Und dann wägt man ab, wie viel Charakter man in eine Schrift bringen kann, die auf Jahre funktionieren soll.

ballesterer: Und wie funktioniert die Recherche?

Koeberlin: Das ist immer spannend. Bei Mainz haben wir die Schrift letztendlich aus dem M im Vereinswappen entwickelt. Bei Schalke habe ich Führungen durch die Arena, die Glückauf-Kampfbahn und das Vereinsmuseum gekriegt und alles aufgesaugt. Beim Wappen habe ich mich zuerst auf die Buchstaben konzentriert, die sind wunderbar gurkig und hätten etwas hergegeben, aber nicht das, was wir uns vorgestellt haben. Dann ist mir im Wappen ein verstecktes G aufgefallen. Das ist sehr lustig, weil der Weißraum dazu so asymmetrisch ist. Er ist auf der einen Seite abgerundet, auf der anderen eckig. Damit waren die Schalker auch glücklich. Sie haben gemeint, dass sich der Verein in einer asymmetrischen Grundform mit Ecken und Kanten gut wiederfindet.

Schalke.
Schalke/Wiedemann

ballesterer: Hat eine Fußballschrift mehr Freiheiten?

Koeberlin: Man hat mehr Möglichkeiten. Letztlich macht es aber den Reiz von Schrift aus, dass sie nicht einen Zweck hat, sondern mehrere. Im Idealfall hast du verschiedene Schriftschnitte, die du wie eine Art Lautstärkeregler bedienen kannst. Die Schrift soll sich erst einmal relativ zurücknehmen und auf einer unbewussten Ebene den Charakter und das Gefühl des Vereins vermitteln. Und dann kannst du sie auf volle Lautstärke drehen und dich austoben.

ballesterer: Unterscheidet sich die Arbeit im Fußball von der mit anderen Firmen?

Koeberlin: Es ist schon relativ ähnlich, die Identität und die Emotionalisierung spielen aber eine größere Rolle. Du hast auch immer die Fans und Ultras im Hinterkopf, die auf die Einzigartigkeit des Vereins bedacht sind. Wir sprechen jetzt aber über sehr große Sachen in ganz kleinen Dingen. Ich bin immer sehr vorsichtig, was Schrift leisten kann. Für mich ist sie ganz wichtig, und ich kann viel darüber reden, aber letztendlich sind es nur Buchstaben. Ich darf sie nicht überladen. Das versuche ich immer allen klar zu machen: Wenn ich eine Schrift mache, muss sie erst einmal als Schrift funktionieren.

ballesterer: Verändern sportliche Erfolge und Misserfolge die typografische Identität?

Koeberlin: Ich versuche, Lösungen zu finden, die nicht von aktuellen Entwicklungen beeinflusst werden. Man kann aber bei erfolgreicheren Vereinen sehen, dass oft der Mut nachlässt, Außergewöhnliches zu machen. Für Borussia Dortmund wurde gerade eine eigene Textschrift entwickelt, die kaum von Helvetica zu unterscheiden ist – der am häufigsten genutzten Schrift überhaupt. Mir macht es mehr Spaß, wenn der Mut größer ist. Deswegen ist es spannend, für kleinere Vereine wie Rot-Weiß Oberhausen zu arbeiten. Die spielen zwar in der vierten Liga, haben aber eine tolle Tradition und mit Hajo Sommers einen außergewöhnlichen Vorstand, der auch beim Betreiben seiner Kleinkunstbühne Mut beweist und dort sogar schon einmal gestrippt hat. (Interview: Jakob Rosenberg, 1.2.2024)

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