Der österreichische Fotograf und Autor Manfred Klimek hat in der "Welt" online mit der Medienbranche abgerechnet. Ein deutscher Journalist, den er anekdotisch als Beispiel für ein früheres Berufsverständnis nennt, bestreitet nun allerdings, mit Klimek gearbeitet zu haben, wie der das in dem Beitrag schildert. Der Vorwurf trifft einen Text besonders, der sich ausgiebig mit einem Vertrauensverlust in Medien und Journalismus beschäftigt, mit Wahrheit und dem Vorwurf des "Verschweigens unangenehmer Wirklichkeiten".

Zu finden, aber nach Fake-Vorwurf bei der
Zu finden, aber nach Fake-Vorwurf bei der "Welt" zumindest vorübergehend offline genommen: Manfred Klimeks Abrechnung mit Journalismus und Medien.
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War nicht da

Klimek schildert in dem Beitrag beispielhaft für den deutschen Journalismus vergangener Tage seinen ersten großen Auftrag als Fotograf für den deutschen "Stern" Mitte der 1980er-Jahre. Er sollte Protagonisten des Ungarn-Aufstands von 1956 im Exil in Wien und Paris wie András Hegedüs fotografieren. Lange habe der "Stern" dafür einen Autor gesucht und schließlich den damaligen Paris-Korrespondenten Claus Lutterbeck dafür abgestellt. Die Story allerdings sei nie erschienen, nach seiner Erinnerung hat schließlich Reporterlegende Peter Scholl-Latour für den "Stern" auf den Ungarn-Aufstand zurückgeblickt, mit Fotos der Agentur Magnum.

Klimek schildert eine Begegnung mit Lutterbeck in Wien 1986 und ihn als affektiert-blasierten Vertreter einer deutschen Journalistengeneration, als Geld und Spesen keine Rolle zu spielen schienen.

Fotograf und Autor Manfred Klimek
Fotograf und Autor Manfred Klimek
Foto: David Gölles

Lutterbeck bestreitet nun vehement, Klimek zu kennen, 1986 überhaupt in Wien gewesen zu sein und damit auch nicht im von Klimek genannten Nobelhotel Schwarzenberg residiert zu haben. Und Lutterbeck beschwerte sich bei der "Welt"-Führung: Er habe nie mit Klimek zusammengearbeitet, was dieser über ihn schreibe, sei frei erfunden.

Springer prüft, Journalist will klagen

Eine Sprecherin von Springer erklärt dazu: "Der Autor hält an seiner Darstellung der Ereignisse fest und ist bereit, diese gerichtsfest zu bestätigen. Dass er die Geschichte über die ungarischen Revolutionäre damals in Wien und Paris recherchiert habe, könne er durch Negative und Prints der Fotografien belegen. Grundsätzlich nehmen wir solche Vorwürfe immer ernst und prüfen sie genau."

Claus Lutterbeck will laut "Frankfurter Allgemeine" noch Unterlassung und Widerruf durchsetzen und werde darauf klagen, sagt er im Gespräch mit der "FAZ". Es gehe nicht an, dass die "Welt" sich über die deutsche Presse echauffiere, die angeblich ihre Glaubwürdigkeit verloren habe, und dabei eine erfundene Geschichte verbreite. Die "FAZ" berichtet, Springer wälze die Verantwortung auf den Autor ab, man habe den Beitrag in der Rubrik Meinung veröffentlicht, Klimek gebe seine eigenen Eindrücke wieder.

Fotografisches Gedächtnis

Auf STANDARD-Anfrage erklärt Klimek: Er habe den Vorfall von 1986 nach bestem Gewissen und bester Erinnerung geschildert, die Zitate aus seiner Erinnerung seien so gefallen. Und nach seiner Erinnerung und seinem "fotografischen Gedächtnis" hatte er damals in Wien mit Lutterbeck zu tun bei der Reportage. Porträtfotos der ungarischen Revolutionäre für die Reportage, Negative und Prints dieser seiner Arbeit gebe es noch, und er sei bereit, sie vorzulegen.

Aber Klimek räumt im Gespräch mit dem STANDARD auch ein, der geschilderte Vorfall liege 38 Jahre zurück. Er könne also nicht letztgültig ausschließen, dass er damals mit einem anderen Journalisten in Wien zu tun hatte – auch wenn es nach seiner Erinnerung Lutterbeck war.

Vergleiche mit dem "Spiegel"-Fälscher Claas Relotius, auf dessen Fall er in dem "Welt“-Beitrag selbst verweist, weist Klimek ebenso zurück wie solche mit Tom Kummer, der einst für das "SZ-Magazin" Interviews mit Hollywoodstars erfand.

Abrechnung in Form eines "Selbstinterviews"

Die Debatte um die geschilderte Episode und den Protagonisten lenkten von seiner grundsätzlichen Medienkritik ab, sagt Klimek. Der Titel der Abrechnung erfolgte in Form eines "Selbstinterviews".

Im Beitrag sagt Klimek: "Meiner Meinung nach arbeiten betont qualitative Medien diesen Unterschied zwischen Wahrheiten und Wirklichkeiten nur ungenügend aus. Es muss deutlicher zur Geltung kommen, dass Wirklichkeiten Fakten sind, dass Wirklichkeiten verbrieft Eingetretenes ist. Und nicht vermutet Wahres. Es kann also keine Fakten geben, die der Wahrheit entsprechen, wenn diese Wahrheit keine Prüfung durch die Wirklichkeit erfahren hat." Wahrheiten seien "immer interpretierbar".

Spesengelder

Und er konstatiert: "Das überhöhende, ja sogar überbordende Wichtigtun deutscher Medien, wie ich es erlebte, hatte aber oft eine infantile Weste über, eine von Männern, von Kerlen gestrickte Weste, die zu fast schon gleichgültigem Umgang mit Spesengeldern führte. Das alles gab es in anderen Ländern mit großen Medien viel seltener. Und das alles hat auch mit der damaligen mentalen Verfasstheit von Herausgebern, Chefredakteuren und auch Ressortleitern in Deutschland zu tun, die in Zeiten nach der Hitler-Tagebuch-Affäre des 'Stern' immer noch große Macker sein wollten - obwohl die Glocke zur letzten Runde längst geschlagen war. Diese Rechnung, die auch nach Relotius neu ausgestellt wurde, bezahlen deutsche Qualitätsmedien bis heute."

Die "Welt" hat den Beitrag vorerst offline genommen. Bei Springer betont man, das sei kein Eingeständnis von Versäumnissen. Man vertraue der Darstellung von Klimek, nehme die Sache ernst und prüfe sie. (fid, 1.2.2024)