Die statistische Kommission der Uno wird 2025 ein Update zur Berechnung zentraler Indikatoren wie des BIP empfehlen.

Wird eine neue Straße gebaut, hilft das der Wirtschaft: Die Baustelle schafft Jobs, mehr Straßen bedeuten mehr Verkehr – und damit etwa auch mehr Umsatz für Tankstellen. Dass gleichzeitig Boden versiegelt wird und die Treibhausgasemissionen in die Höhe schießen, hat hingegen auf die Wirtschaftsleistung keinen direkten Effekt.

Ähnliches gilt für Wälder: Eine Eiche ist kaum etwas wert, solange sie steht. Erst wenn sie gefällt und zu Holzplatten geschnitten wird, schlägt sie sich im Bruttoinlandsprodukt nieder – jener Rechnung, die heute der wohl einflussreichste Indikator für Wohlstand ist.

"Das ist völlig verquer", findet der Forstwirt Georg Kanz, der im Bezirk St. Veit in Kärnten einen Mischwald aufzieht. Hier wachsen neben anderen Arten Eichen, Linden, Bergahorn und Lärchen – ein solcher Wald sei viel widerstandsfähiger, wenn das Klima heißer werde, sagt Kanz. Einige in der Region würden ihn trotzdem für verrückt erklären, wenn er etwa Totholz im Wald liegen lasse. "In diesem Wald entsteht so viel Vielfalt. Aber unser Wirtschaftssystem erkennt das nicht an."

Genau diese Diskussion führen auch Ökonominnen und Statistiker seit Jahrzehnten. Was bedeutet es, wenn ein vielfältiger Wald oder saubere Luft keinen finanziellen Wert haben? Wenn anderswo auf der Welt ein Regenwald weniger wert ist, als wenn an derselben Stelle ein Sojafeld gepflanzt wird?

Junge Tannen und Buchen warten auf ihren Platz im Mischwald von Georg Kanz.
APA / GEORG KANZ

Die Suche nach Antworten nimmt Fahrt auf. Fachleute verhandeln innerhalb der Uno, wie zentrale wirtschaftliche Werte – allen voran das BIP – modernisiert werden sollen. Nur alle zehn bis 20 Jahre wird die Berechnung angepasst – entsprechendes Gewicht hat das Update im kommenden Jahr.

Update mit Tragweite

Eine Ökonomin, die in mehreren Arbeitsgruppen zur Einpreisung der Natur sitzt, ist Diane Coyle von der Universität Oxford. "Wir nutzen die Natur so, als wäre sie gratis. Langsam verstehen wir aber, dass wir später eine saftige Rechnung dafür zahlen werden", sagt sie. Es sei das erste Mal, dass der wirtschaftliche Stellenwert der Natur einen so prominenten Platz in der Debatte einnehme. Damit beschränkt sich die Diskussion nicht mehr länger auf akademische Nischen, sondern wird mitten in den offiziellen Verhandlungen zur statistischen Erhebung der Uno geführt.

Was hier beschlossen wird, hat Wirkung: Die Richtlinien, die die Organisation veröffentlicht, müssen Staaten weltweit umsetzen. Das soll garantieren, dass die Werte so vergleichbar wie möglich sind. "Es wäre wirklich ein Meilenstein, wenn der Erhalt der Natur hier mit eingepreist wird", so Coyle.

Der junge Mischwald von Kanz wäre dann volkswirtschaftlich nicht nur so viel wert, wie er oder seine Nachfolgenden auf dem Markt verdienen, sondern deutlich mehr: Auch ein Betrag für die Kühlung der Umgebung könnte eingerechnet werden sowie auch einer für das CO2, das der Wald speichert, oder für seine Rolle im Artenschutz. Und der Beitrag zur Wirtschaftsleistung einer Straße, die an dem Wald vorbeiführt, würde sich nicht nur an zusätzlichen Jobs und Positiveffekten durch mehr Verkehr berechnen, sondern auch anhand des zusätzlichen CO2 und der Bodenversiegelung. "Es ist extrem wichtig, dass die Leistung unserer Ökosysteme sichtbar gemacht wird", meint Kanz.

Probleme für die Statistik

Wie die Reform im kommenden Jahr konkret aussehen wird, ist offen. Das nächste große Treffen der Statistikerinnen und Statistiker ist für März in New York geplant. Dort entscheiden sie, welche Prioritäten sie im Update setzen wollen – neben der Nachhaltigkeit wird es etwa um die Digitalisierung und um die Globalisierung des Handels gehen sowie um die Erfassung unbezahlter Dienstleistungen wie der Betreuung von Familienangehörigen, erzählt Ingolf Böttcher, Direktor der Abteilung Volkswirtschaft bei der Statistik Austria. Die Statistik Austria nimmt für Österreich an den Verhandlungen teil und aktualisiert ihre eigenen Erhebungen dann entsprechend.

"Wenn etwas nichts kostet, dann ist das für uns in der Statistik ein Problem", sagt Böttcher. "Es ist nicht unmöglich, es dennoch mitzurechnen, aber wir müssen uns global auf Messmethoden einigen." Diese Herausforderung stelle sich für viele Bereiche des Lebens, die für den Wohlstand eines Landes eigentlich enorm wichtig sind. Jetzt gehe es darum, sich auf gute Indikatoren zu einigen und darauf, wie die Statistik diese besser abbilden soll.

Wie kann eine nachhaltige Waldbewirtschaftung in der Statistik ausgedrückt werden?
IMAGO/Rene Traut

Was müsste ein solcher Indikator besser können? Dazu holt Böttcher aus: "Stellen wir uns eine Volkswirtschaft vor, die ausschließlich vom Holzverkauf lebt." Mit der Abholzung des Landes würde die Wirtschaft immer weiter wachsen – und das würde wiederum mit Wohlstand gleichgesetzt werden. "Doch wenn alle Bäume gefällt sind, bricht das System zusammen", sagt der Statistiker. Das Ziel des Updates sei es auch, den Wert nachhaltiger Aktivitäten in der Statistik stärker als bisher auszudrücken. "Damit würden viele Aktivitäten schon allein aus rein wirtschaftlicher Sicht anders beurteilt werden", meint Böttcher.

Allerdings sei es äußerst unwahrscheinlich, dass die statistische Kommission der Uno empfehlen wird, den Erhalt der Natur direkt ins BIP einzurechnen, meint er. Wahrscheinlicher sei, dass das sogenannte Nettoinlandsprodukt angepasst wird. Das ist vergleichbar mit dem Brutto- und Nettoeinkommen: Netto werden diverse Abschreibungen abgezogen – dazu zählt heute etwa der Verschleiß von Maschinen, künftig könnte auch die Übernutzung natürlicher Ressourcen abgebildet werden. Dieser Nettowert könnte mehr Gewicht bekommen, meint Böttcher. "Am Ende kommt es aber immer darauf an, was die Gesellschaft mit solchen Daten macht."

Heute steht dort eine Null

Dem steht die Kritik gegenüber, es sei absurd, Ökosystemen einen monetären Wert zu geben. Wer kann schon sagen, wie viel Geld ein Wald, ein Moor oder ein See wert ist?

Der Statistiker Paul Allin vom Imperial College London antwortet: "Wenn etwas im aktuellen System keinen finanziellen Wert hat, dann steht in der wirtschaftlichen Gleichung dennoch eine Zahl, nämlich null." Sprich: Bekommt die Natur keinen Wert zugeschrieben, ist sie in der Rechnung eben wertlos.

Auch Allin erwartet keine großen Veränderungen in der BIP-Berechnung, sondern eher die Anpassung des Nettobetrags. Eine grundlegende Veränderung sei von dem Update nicht zu erwarten, sagt er. "Vielleicht gibt es aber wieder einen neuen Anstoß, zu überdenken, mit welchem Indikator wir unseren Wohlstand messen." Das BIP liefere eine wichtige Information – sei aber eben beschränkt in seiner Aussagekraft über das Wohlergehen einer Gesellschaft.

Neben den weltweiten Statistikbehörden haben Ökonominnen und Ökonomen zahlreiche weitere Indikatoren erarbeitet, die den Wohlstand einer Gesellschaft abbilden sollen und auch nichtmonetäre Werte einfließen lassen – zum Beispiel die Gemeinwohl-Ökonomie, der Human-Development-Index oder das Bruttoglücksprodukt aus Bhutan.

Und auch innerhalb der Uno geht der offizielle Prozess einigen zu langsam, allen voran auch dem Generalsekretär António Guterres. Er appellierte im vergangenen Jahr an die Staaten, über das BIP hinauszuschauen, und startete eine Arbeitsgruppe, die Vorschläge auf den Tisch legen soll. Diese sollen zum offiziellen Update 2025 beitragen – und etwa Methoden weiterentwickeln, die den Wert eines intakten Waldes in die Statistik einbeziehen könnten. (Alicia Prager, 2.2.2024)