Wieso sind Bälle in Österreich eine Institution?

Kurz gesagt: Weil sie eine lange Tradition haben, die sich wirtschaftlich auszahlt.

Die Wurzeln von Bällen reichen weit zurück. Tanzveranstaltungen im Fasching sind in Wien bereits seit dem 15. Jahrhundert dokumentiert. Die Monate von November bis Februar boten die Gelegenheit, vor der entbehrungsreichen Fastenzeit ausgelassen zu sein und über die Stränge zu schlagen. So richtig in Schwung kommen derartige Veranstaltungen im 18. Jahrhundert: Nach Ende der österreichischen Erbfolgekriege gibt es wieder Grund zu feiern, es entwickelt sich eine Ball- und Vergnügungskultur. Ballsäle schießen in Wien geradezu aus dem Boden.

Auch im habsburgischen Kaiserhaus entwickelt sich eine Balltradition – nach Vorbild des französischen Hofs. Abgehalten werden sogenannte Hofbälle, die dem Hochadel vorbehalten sind und einem strengen Zeremoniell folgen. Der Zweck: Repräsentation und Zurschaustellung von Glanz und Macht. Vom Hofball zu unterscheiden ist der Ball bei Hof mit etwas breiterem Gästekreis: Teilnehmen dürfen Adelige, Offiziere, Diplomaten und Beamte. Bei Hofe finden Bälle auch anlässlich politischer Ereignisse statt, eine ganze Reihe davon etwa zum Wiener Kongress 1814/15.

Heute hat nahezu jede Berufsgruppe einen eigenen Ball – angefangen bei den Rauchfangkehrern bis zu den Zuckerbäckerinnen. 450 Ballveranstaltungen für rund 540.000 Gäste werden in der aktuellen Saison allein in Wien gezählt. Viele davon sind ausverkauft – so auch der Opernball. Die Wiener Wirtschaftskammer rechnet rund um die Bälle der aktuellen Saison mit einem Umsatz von rund 175 Millionen Euro: für Karten und Konsumation, aber auch in Modegeschäften, bei Juwelierinnen oder Friseuren.

Vergnügen, Treffpunkt, Habsburger-Nostalgie, Wirtschaftsfaktor: Es ist wohl die Summe aus all diesen Faktoren, die Bälle bis heute bestehen lässt.

Gleichgeschlechtliches Tanzbar beim Wiener Opernball 2020.
2020 eröffnete erstmals ein gleichgeschlechtliches Tanzpaar den Opernball.
APA/ Helmut Fohringer

Worauf geht die Tradition des Opernballs zurück?

Die Künstlerinnen und Künstler am kaiserlich-königlichen Hofoperntheater in der Kärntner Straße, dem Vorläufer der heutigen Staatsoper, veranstalteten nach dem Wiener Kongress Ballfeste in verschiedenen Räumlichkeiten in Wien, unter anderem in den Redoutensälen der Hofburg.

Der erste Ball im heutigen Operngebäude am Ring sollte eigentlich 1869 stattfinden – im Jahr der Fertigstellung des Baus. Allerding erlaubte Kaiser Franz Joseph I. letztlich nicht, dort Tanzfeste zu veranstalten. Der erste "Ball in der Hofoper" fand daher im Musikverein beim Karlsplatz statt. 1877 gab der Kaiser schließlich seine Zustimmung für eine Soiree in der Hofoper – eine Art Konzertabend, bei dem offiziell nicht getanzt werden durfte.

Die Tradition, im Opernhaus am Ring einen Ball zu veranstalten, wurde auch nach Zusammenbruch der Monarchie fortgeführt: 1921 fand dort die erste Opernredoute der Republik Österreich statt, 1935 dann der erste, nun auch so benannte Wiener Opernball. Der erste Opernball nach dem Zweiten Weltkrieg ging 1956 über die Bühne.

Wer nimmt dieses Jahr teil?

Exakt 5.150 Gäste. So viele Karten gab es zu erstehen. Aus der Politik kommt traditionell der Bundespräsident mit Gattin: Der Einzug des First Couple zur Fanfare markiert den Beginn des Balls. Von Regierungsseite sind üblicherweise Kanzler, Ministerinnen und Staatssekretäre zugegen.

Wobei sich die grüne Regierungsriege zuletzt rargemacht hat: 2023 ließ sich nur Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer blicken. Das werde auch heuer so sein, heißt es auf STANDARD-Anfrage vonseiten der Grünen. Weder Vizekanzler Werner Kogler noch grüne Ministerinnen und Minister wollen antanzen. Zahlreicher war zuletzt die ÖVP vertreten – und wird es heuer ebenso sein: Kanzler Karl Nehammer, Verfassungsministerin Karoline Edtstadler, Frauenministerin Susanne Raab, Wirtschaftsminister Martin Kocher sowie Außenminister Alexander Schallenberg werden den Ball laut Auskunft der Partei besuchen.
Ebenfalls traditioneller Ballgast ist der Wiener Bürgermeister. Dazu kommt eine ganze Reihe weiterer aktiver und ehemaliger Politikerinnen und Politiker sowie Vertreterinnen und Vertreter von Interessengruppen und der Wirtschaft.

Ob Bauunternehmer Richard Lugner letzterer Sparte zuzurechnen ist oder eher der am Opernball stark vertretenen Seitenblicke-Fraktion, sei dahingestellt. Sicher ist das alljährliche Aufsehen, das ihm sein Stargast beschert: Diesmal hat Lugner die US-Schauspielerin Priscilla Presley an seiner Seite. Der deutsche Designer Harald Glööckler besucht die Veranstaltung heuer zum dritten Mal, der deutsche Sänger Heino hat seine Opernball-Premiere.

Ist der Opernball wirklich so ein wichtiger Wirtschaftsfaktor, wie gerne behauptet wird?

2013 unternahm die Wiener Wirtschaftskammer den Versuch, die durch den Opernball generierte Wertschöpfung zu beziffern. Berechnet wurde damals, dass die Gäste des Balls mit ihren Ausgaben rund 15 Millionen Euro Umsatz erzeugen, der ohne die Veranstaltung nicht gemacht worden wäre. Eingerechnet in die Summe sind Ausgaben direkt am Ball – etwa für Getränke und Speisen. Und solche, die rund um den Ball anfallen: für Frackleihe, Styling beim Friseur oder Übernachtungen in Hotels. Aktualisiert wurden diese Kalkulationen bisher nicht.

Nicht inbegriffen in die 15 Millionen sind die Umsätze, die die Staatsoper durch den Ball generiert – etwa indem sie bei einer Gärtnerei Blumenschmuck in Auftrag gibt. 2023 habe das Haus durch den Ball rund vier Millionen Euro eingenommen und Ausgaben in etwa derselben Höhe gehabt, heißt es aus der Pressestelle.

Was sagen Kritikerinnen und Kritiker des Opernballs?

Sie sehen den Opernball als Symbol für die Ungleichheit in der Gesellschaft. Die Kommunistische Jugend Österreichs hat auch heuer wieder eine Demo gegen die Veranstaltung organisiert, das Motto lautet: "Eat the Rich". Besonders angesichts der aktuellen Preissteigerungen und der Probleme, die diese vielen Menschen bereiten, sei eine derart opulente Veranstaltung eine Provokation, so der Tenor. Demonstriert wurde in der Vergangenheit am Tag des Balls aber nicht nur gegen ebendiesen: Die Opernballdemo richtete sich immer wieder gegen aktuelle politische Ereignisse, etwa gegen den Irakkrieg.

Um derartiger Kritik den Wind aus den Segeln zu nehmen, führte Staatsoperndirektor Bogdan Roščić 2023 eine verpflichtende Solidaritätsabgabe für Ballgäste ein. Pro verkaufter Karte werden heuer 35 Euro gespendet. Zusätzlich ist in sämtliche Gastropreise ein Solidaritätsaufschlag von zehn Prozent einberechnet, der wird ebenfalls gespendet. Die lukrierten Gelder gehen an die vom ORF getragene Initiative Österreich hilft Österreich, die karitative Organisationen unterstützt.

Lena Schilling bei Opernball mit Banner, auf dem
2023 hielt Lena Schilling, damals noch Aktivistin, am roten Teppich vor der Staatsoper ein Banner mit der Aufschrift "Ihr tanzt, wir brennen" hoch.
APA/HELMUT FOHRINGER

Wie viel Steuergeld kosten die Polit-Auftritte am Opernball?

Die Staatsoper stellt der Staats- und Regierungsspitze ein bestimmtes Kontingent an Karten und Logen zur Verfügung. "Der Bundespräsident, der den Ehrenschutz für den Ball hat, sowie die Mitglieder der Bundesregierung, die das Präsidium des Balls bilden, erhalten pro Person zwei Ehrenkarten", heißt es dazu aus der Staatsoper. Für andere Personen aus den Kabinetten müssen die Karten bezahlt werden, nur die direkten Personenschützer bekommen laut Opern-Pressestelle Dienstkarten. Ehrenkarten erhielten ebenso der Wiener Bürgermeister und der Nationalratspräsident.

Was die Logen angeht, stelle die Staatsoper jene des Präsidenten sowie des Kanzlers nicht in Rechnung. Die Ministerien müssten hingegen für Logen bezahlen – das seien 2024 das Außenministerium, das Finanzministerium und das Wirtschafts- sowie Arbeitsministerium. Dazu kommen unter anderem Ausgaben für Konsumationen. Für den Opernball 2023 haben Freiheitliche und die Neos mit parlamentarischen Anfragen herauszufinden versucht, welche Summe der Besuch der Bundesregierung konkret ausmachte. Kanzler Nehammer bezifferte daraufhin die Gesamtkosten des Kanzleramts mit rund 11.000 Euro. In diesen Betrag fällt auch der Ballbesuch seiner beiden Ministerinnen im Kanzleramt, Karoline Edtstadler und Susanne Raab, hinein.

Seitens des Arbeits- und Wirtschaftsministeriums unter Martin Kocher wurden für zehn Karten 3.500 Euro bezahlt, 23.600 Euro für eine Loge und 2.500 Euro für Bewirtungskosten. Finanzminister Magnus Brunner schlüsselte zusätzlich zu Karten und Loge unter anderem rund 2.600 Euro für "VIP Service Flughafen Wien" auf. Bescheiden waren Bildungsminister Martin Polaschek und Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer: Sie verrechneten je 700 Euro für Karten. Insgesamt beliefen sich die Kosten für einen Kanzler und sechs Ministerinnen und Minister auf rund 90.000 Euro für Steuerzahlerinnen und Steuerzahler.

Werden durch den Opernball konservative Gesellschaftsentwürfe oder alte Geschlechterbilder wiederbelebt?

Tatsache ist: Die hohen Preise für Karten, Getränke und Speisen führen zu einer gewissen Selektion. 385 Euro bloß für die Ballkarte muss man sich leisten können – und leisten wollen. Studierende oder Seniorinnen und Senioren, die vielerorts Preisnachlässe erhalten, bekommen keinen Rabatt. Auf anderen hochpreisigen Bällen in Wien, etwa dem Philharmonikerball oder dem Kaffeesiederball mit Kartenpreisen von rund 200 beziehungsweise 180 Euro, werden solche Nachlässe angeboten.

Gepaart mit der teuren Gastronomie führt das dazu, dass am Opernball eine eher zahlungskräftige Klientel bis zu einem gewissen Grad unter sich bleibt. Ein Versuch, zumindest das Musikprogramm des Balls und die Deko einem breiteren Publikum zugänglich zu machen, ist die Generalprobe vor Publikum: Diese findet in der bereits geschmückten Oper am Abend vor dem Ball statt. Stehplätze sind um 35 Euro zu haben, die teuersten Logenkarten kosten 85 Euro. Wie der Ball selbst ist allerdings auch die Generalprobe rasch ausverkauft.

In den vergangenen Jahren gab es immer wieder Initiativen für mehr Diversität. 2020 eröffnete erstmals ein gleichgeschlechtliches Tanzpaar den Opernball: zwei junge, heterosexuelle Freundinnen aus Deutschland. Seit 2012 eröffnen regelmäßig einzelne Debütantinnen oder Debütanten oder ganze Paare vom Verein Ich bin O.K., in dem Menschen mit Trisomie 21 organisiert sind, den Opernball mit.

Was waren die größten Skandale beim Opernball?

Kaum ein Opernball ohne Skandale und Skandälchen. 2023 gab es mehrere Protestaktionen von Klimaaktivistinnen und Umweltschützern: Lena Schilling, damals Aktivistin und nun grüne Spitzenkandidatin für die EU-Wahl, hielt am roten Teppich vor der Staatsoper ein Banner mit der Aufschrift "Ihr tanzt, wir brennen" hoch, Mitstreiterinnen taten es ihr auf der Feststiege im Gebäude gleich. Zu zwei rassistischen Eklats kam es 2014: Der deutsche Komiker Oliver Pocher äußerte vor laufender Kamera den Wunsch, zu "Niggas in Vienna" tanzen zu wollen – worüber sich Lugner-Begleiterin Kim Kardashian echauffierte. Und Stand-up-Comedian Chris Stephan fand es amüsant, mit Blackface, einem dunkel angemalten Gesicht, aufzukreuzen.

Einmal kam es vor Lugners Loge zu einer Schlägerei, 2008 sperrte sich sein Gast, Tänzerin Dita Von Teese, wegen des großen Medienandrangs gar im Klo ein. Doch nicht nur die Gäste des Baumeisters boten Anlass für Aufregung: 2002 brachte der mittlerweile verstorbene Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider Diktatorensohn Saif al-Islam al-Gaddafi mit auf den Ball. Legendär: Hubsi Kramars Hitler-Uniform, in der er 2000 aus Protest gegen die damals schwarz-blaue Regierung am Ball auftauchte – und kurz danach festgenommen wurde. (Stefanie Rachbauer, 2.2.2024)