Am Sonntag wird im mittelamerikanischen El Salvador "Philosophenkönig" Nayib Bukele für eine zweite Amtszeit gekrönt – das legt zumindest der X-Account (vormals Twitter) des Präsidenten nahe. Der 42-Jährige hatte auch schon andere Selbstbeschreibungen verwendet, zum Beispiel "coolster Diktator der Welt". Bukele, der Mann, der Krawatten hasst und lieber Baseballkappen falsch herum aufsetzt, ist ein widersprüchliches politisches Phänomen. Viele Menschen in Lateinamerika verehren ihn, andere halten ihn für einen Hochstapler – und der Rest der Welt hat erst durch ihn erfahren, wo El Salvador überhaupt liegt.

Nayib Bukele
Hauptsache keine Krawatte: Nayib Bukele liebt T-Shirts und Baseball-Kappen, fallweise schlüpft er in einen Smoking.
AFP/MARVIN RECINOS

Am Sonntag dürften ihn Umfragen zufolge 80 Prozent seiner Landsleute im Amt bestätigen. Dabei erlaubt die Verfassung eigentlich gar keine Wiederwahl. Aber Bukele ist mit seiner neugegründeten Partei "Neue Ideen" über das Land und seine wackeligen, demokratischen Institutionen hinweggefahren wie eine Dampfwalze. Er kontrolliert Parlament und Justiz – und vor allem das Narrativ. Wenn das jemand infrage stellt, explodiert er. Das preisgekrönte investigative Portal "El Faro", das immer wieder Korruption in Bukeles Umfeld aufdeckte, wurde so gepiesackt, dass es kürzlich die Redaktion nach Costa Rica verlegte. Das würde andernorts heftigen Widerstand auslösen. Nicht aber in El Salvador.

Bandenkriminalität

Bukeles Popularität hat zwei Gründe: Er hat die Jugendbanden kaltgestellt, die seit Ende des Bürgerkriegs 1992 das Land terrorisierten. Sie handelten mit Drogen, und jeder Busunternehmer, jeder Bäcker musste ihnen Schutzgeld zahlen – oder er starb. Teenager wurden zwangsrekrutiert, Mädchen vergewaltigt. Oftmals war die Flucht aus dem Land der einzige Ausweg. Die Armenviertel der großen Städte waren aufgeteilt wie mittelalterliche Lehensgüter. Wer in einem Viertel lebte, das von der Bande Mara-18 kontrolliert wurde, konnte nicht seine Tante im Nachbarviertel besuchen, in dem die gegnerische Mara Salvatrucha herrschte. Überall im Viertel verlangten Spitzel den Personalausweis. Wer die Regel missachtete, wurde im besten Falle nur ausgeraubt und zusammengeschlagen.

Die Politiker hatten den Kampf gegen die Kriminalität längst aufgegeben und sich in ihren Luxusvillen hinter Stacheldraht verschanzt. Sie paktierten mit den Banden, gaben den inhaftierten Chefs Privilegien, wenn die Bande dafür das Morden etwas herunterschraubte und ihnen beim Wahlkampf half.

Auch Bukele paktierte mit Kriminellen nach seinem Wahlsieg 2019. Doch dann, 2022, traten die Banden eine Mordwelle los, offenbar um ihm weitere Zugeständnisse abzupressen. Bukele reagierte mit dem Ausnahmezustand und einer beispiellosen Verhaftungswelle. Über 60.000 Menschen wurden festgenommen, oft ohne Haftbefehl, und in Massenprozessen verurteilt – ohne Chance auf Verteidigung.

Neue Sicherheit

Tausende Unschuldige sind laut Menschenrechtsorganisationen darunter. Doch seither ist das Land eines der sichersten Lateinamerikas. Die Mordrate sank von 36 auf 2,4 pro 100.000 Einwohner. Das ist eine Riesen-Erleichterung für die Mehrheit der Bevölkerung. Für Kinder, die nun wieder sicher zur Schule gehen können, und für ihre Eltern, die ohne Angst ihre Markstände aufbauen.

Der zweite Grund für seine Popularität ist Bukeles Kommunikationstalent. Der ehemalige Inhaber einer Werbeagentur ist der König der sozialen Netzwerke, umgeben von einem professionellen Medienteam, das seine Erfolge und einfachen Botschaften gekonnt inszeniert. Die Hälfte der Bevölkerung des Landes ist jünger als 30, viele davon haben nur eine prekäre Schulbildung und können seiner Werbemaschinerie intellektuell kaum etwas entgegensetzen. Auf die anderen hetzt Bukele seine Trolls. "Bukele repräsentiert den Sieg der Kommunikation über die Politik", sagte ein Historiker zum STANDARD. Er bleibt aus Sicherheitsgründen anonym.

Neben Bukele verblassen seine altbacken wirkenden Gegner und ihre guten Gründe, warum man Bukele nicht wählen sollte. Die beiden Traditionsparteien, die rechte Arena und die linke FMLN, können sich glücklich schätzen, wenn sie am Sonntag überhaupt noch ein paar Sitze im Parlament und ein paar Bürgermeisterposten ergattern. Was auch daran liegt, dass Bukele die gefährlichsten Widersacher hat einsperren lassen – wie etwa den ehemaligen Hauptstadtbürgermeister Ernesto Muyshondt.

Polizeistaat

Bürgerorganisationen kritisieren, Bukele habe das Land in einen Polizeistaat verwandelt, in dem seit zwei Jahren die Grundrechte außer Kraft sind. Außerdem nutze er die Justiz als Waffe gegen politische Gegner. Die Transparenz der Staatsfinanzen ist im Rückwärtsgang, Bukele regiert mit seinem Familienclan und alten Schulfreunden. Im neuesten Index von Transparency International fiel das Land, das ohnehin schon im unteren Drittel weltweit liegt, um weitere zwei Plätze zurück. Die Salvadorianer und Salvadorianerinnen erfuhren zum Beispiel von Bukeles X-Account, dass er an Parlament und Finanzminister vorbei aus dem Staatshaushalt gerade 100 Millionen in Bitcoin investiert hatte – die anschließend um die Hälfte an Wert verloren.

Überhaupt dürften die Finanzen das große Problem seiner zweiten Amtszeit werden. Trotz der verbesserten Sicherheitslage fehlen Auslandsinvestitionen. Die Wirtschaft wuchs 2023 nur 2,3 Prozent. Gegenüber privaten Dienstleistern ist der salvadorianische Staat im Zahlungsverzug. Die Staatsverschuldung beträgt 85 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Der Weltwährungsfonds knüpft neue Kredite an die Abschaffung des Bitcoins. China sprang zum Teil in die Bresche und finanzierte Prestigeprojekte wie ein neues Stadion und eine Staatsbibliothek. Doch im Hinterland fehlt es an allem. Viele Straßen sind in schlechtem Zustand. In der zweitgrößten Stadt Santa Ana brannte 2021 die Markthalle ab – seither verkaufen die Händler und Händlerinnen ihre Waren auf der Straße. Weiterhin lebt ein Drittel der Bevölkerung in Armut – aber noch im Bann des Sonnenkönigs. Wenn sie aufwacht, könnte es für einen Kurswechsel zu spät sein. (Sandra Weiss, 4.2.2024)