Simon Eder in der Loipe.
Die Konkurrenz musste ihn ausforschen: Simon Eder fand heraus, wie man beim Schießen im Biathlon schneller wird.
AFP/TOBIAS SCHWARZ

Irgendwann hat Simon Eder gemerkt, dass die Konkurrenten ihn kopieren. Eder hatte nämlich einen wesentlichen Teil seines Berufs perfektioniert: das Schießen. Niemand war schneller und hatte trotzdem eine solch hohe Trefferquote wie er. Also studierten die Gegner Eder bis ins Detail und grübelten. Was macht der besser als ich?

Mit knapp 41 Jahren ist Simon Eder der älteste Biathlet, der ab Mittwoch bei der Weltmeisterschaft in Nove Mesto, Tschechien, an den Start geht. Der Salzburger revolutionierte seinen Sport, indem er aus der Not eine Tugend machte. Weil er auf der Loipe Zeit verlor, verkürzte er seine Bewegungsabläufe und machte die Zeit auf dem Schießstand wieder wett.

In seinen besten Zeiten brauchte Eder beim Schießen drei Sekunden weniger als der Zweitbeste. Bei Rennen mit vier Einheiten brachte das also mindestens zwölf Bonussekunden. Die Idee, wie er seine Einlagen beschleunigen könnte, kam ihm in einem Hotel in Oslo. Er übte im Trockentraining, die Waffe zum Liegendschießen schon beim Hinlegen an der Schulter anzulegen, anstatt das erst in der Bauchlage zu erledigen. Spart ein paar Zehntelsekunden. Außerdem war es üblich, vor dem ersten Schuss zunächst die perfekte Position zu finden. Stehend etwa den Ellbogen des Stützarmes mehrmals auf der Hüfte ablegen, bis es sich richtig anfühlt. Liegend mit dem Becken nach links und rechts rutschen, bis es passt. "Ich dachte mir, wenn ich meiner Position von Beginn an vertraue, brauche ich diese Bewegungen nicht", sagt Eder. Er lässt sie einfach weg – und spart weitere Sekunden.

Zum Spaß versuchte sich Simon Eder einmal unter Ruhepuls am Schießstand. In 8,15 Sekunden waren alle fünf Scheiben weiß.
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Burn-out überstanden

Eder ist Linksschütze, gibt seine Schüsse mit dem linken Zeigefinger ab. Auf TV-Bildern sticht er heraus, weil er oft der einzige am Schießstand ist, der quasi mit dem Rücken in Laufrichtung steht. Stehend hat Eder einen Nachteil. Er erreicht die Schussposition nicht so schnell wie die Gegner, beim Weglaufen dreht er sich nach links weg und macht eine Pirouette, muss einen weiteren Weg laufen. Trotzdem ist er im Vergleich mit vielen anderen schneller.

Eder steht bisher bei sieben Weltcupsiegen und sieben Medaillen bei Großereignissen. Dass die Karriere so erfolgreich und andauernd wird, war unklar. Nach einer Junioren-Goldmedaille schindete er seinen Körper dermaßen, dass er in ein Burn-out geriet. "Das war beinhart. Ich konnte nicht mehr", sagt Eder dem STANDARD heute. Durch Überbelastung bestritt er zwei Jahre kein Rennen. Mit seinem Vater Alfred, selbst langjähriger Profi und Trainer, besprach er schon das Karriereende. Einen klaren Heilungsverlauf gab es nicht, Eders Körper erholte sich aber langsam. "Das hat mich für die gesamte Karriere etwas gekostet", sagt Eder. Mit 22 Jahren verzeichnete er die besten Ausdauerwerte seiner Laufbahn. "Da bin ich nie wieder hingekommen."

Als Jungprofi hat Eder sich oft über Ergebnisse definiert. Mit der Zeit wurde er gelassener, heute ist er verheiratet und Vater einer Tochter. "Speziell das Stehendschießen funktioniert gut, wenn du in deiner Mitte bist", sagt Eder. "Falls du gedanklich nicht auf der Höhe bist, ist die Reizleitung nicht optimal. Dann verreißt du Schüsse. Es hilft, wenn privat alles passt."

Es ist keinesfalls so, dass der Vater ihn zum Biathlonsport drängte. Schon früh fand Eder in Saalfelden Gefallen am Sport. "Wir Menschen haben das ja in uns drinnen, dass wir unsere Eltern glücklich machen wollen mit dem, was wir tun", sagt Eder. "Die Aufgabe der Eltern ist es aber auch, Kindern Freiräume zu lassen, deren Träume zu unterstützen." Eder hat eine Schwester, Daniela, die Kunstgeschichte studierte und heute an der Uni in Graz arbeitet. "Ich habe miterlebt", sagt Eder, "dass es für sie nicht so einfach war, weil sich zu Hause alles um den Sport gedreht hat." Der Vater reiste mit dem Sohn zu Rennen, betreute und trainierte ihn. "Sie war etwas außen vor. Aber ich kann sagen: Die ganze Familie ist extrem stolz auf das, was Daniela erreicht hat."

In Antholz jubelte Eder über Platz drei in der Single-Mixed-Staffel.
In Antholz jubelte Eder über Platz drei in der Single-Mixed-Staffel.
EPA/ANDREA SOLERO

Eitelkeit abgelegt

In Eders Karriere kam vieles zusammen. In Ruhpolding riss ihm einmal der Traggurt des Gewehrs, die letzte Runde bestritt er mit der (natürlich ungeladenen) Waffe in der Hand. In Östersund lief er gleich in zwei Rennen am Ziel vorbei und musste umdrehen. In Pyeongchang fielen so viele Athleten kurzfristig mit einem Magen-Darm-Virus aus, dass Eder vergaß, mit einer anderen Startnummer zu laufen. Er legte sich beim ersten Schießen auf die Matte eines Kontrahenten. Der Fehler kostete Zeit und Nerven, das Rennen beendete er als Achter. Das reichte dennoch, um sich für Österreichs Staffel zu empfehlen, tags darauf wurde er Vizeweltmeister.

Noch heute wird Eder kurz vor dem Start nervös. "Ich weiß, ich muss gleich alles aus meinem Körper rausquetschen, mich voll verausgaben. Das ist nichts Angenehmes", sagt er. "Aber am Ende wartet vielleicht eine schöne Belohnung." Über die Zeit ist er auch menschlich gewachsen: "Man muss lernen, kritikfähig zu bleiben. Das ist im ersten Moment schwierig. Lass Kritik zuerst sacken und äußere dich nach zehn Minuten dazu. Es tut gut, die Eitelkeit beiseitezulegen."

Bei der letzten Weltcup-Station vor der WM, in Antholz, belegte Eder mit Lisa Hauser in der Single-Mixed-Staffel Platz drei. Die Disziplin steht bei der WM in Nove Mesto in der zweiten Wettkampfwoche am Donnerstag an. "Ich würde gerne sagen, ich laufe um Medaillen mit, aber es ist eine schwierige Saison", sagt Eder. Die Rennen finden wohl bei zehn Grad und mehr statt, Sturmböen werden erwartet. In zwei Jahren finden die olympischen Rennen in Antholz statt, an Eders Lieblingsort im Weltcup. "Ich weiß nicht, ob der Körper das schafft", sagt Eder. Aber: "Die Motivation für ein weiteres Mal Olympischen Spiele wäre riesig." (Lukas Zahrer, 6.2.2024)