Man habe die Nachricht der Hamas erhalten, und "die Details werden jetzt gründlich geprüft": Diese knappe Meldung des israelischen Auslandsgeheimdienstes Mossad erreichte am Dienstagabend die Medien – mehr aber auch nicht. Schon jetzt ist klar, dass die lange Liste an Forderungen, die die Hamas für eine Freilassung der übrigen Geiseln aufgestellt hat, den Rahmen dessen sprengt, was Israel bieten kann.

Demos zur Freilassung der israelischen Geiseln sind in Israel (Foto: Tel Aviv) seit Monaten an der Tagesordnung.
Demos zur Freilassung der israelischen Geiseln sind in Israel (Foto: Tel Aviv) seit Monaten an der Tagesordnung.
REUTERS/SUSANA VERA

Die Hamas verlangt eine Waffenruhe, die sich über viereinhalb Monate erstrecken und schließlich in einen unbefristeten Waffenstillstand münden soll. Das steht in klarem Widerspruch zum Kriegsziel Israels, die Hamas zu vernichten.

Maximalforderungen

Weitere Forderungen der Hamas: ein Komplettrückzug der israelischen Armee aus dem Gazastreifen, ein Beginn des Wiederaufbaus, mehr humanitäre Hilfslieferungen und die Freilassung von 1.500 palästinensischen Häftlingen aus israelischen Gefängnissen – wobei ein Drittel dieser Häftlinge zu lebenslanger Haft verurteilt sein muss. Letztere Bedingung gilt als No-Go in Israel: Man befürchtet, mit der Freilassung hochkarätiger Terroristen das Fundament für künftige Terroranschläge oder gar ein neues Massaker zu legen.

All diese Forderungen sind aus Sicht der Hamas aber der Preis, den Israel bezahlen muss, um die am 7. Oktober 2023 von der Hamas verschleppten Geiseln zurückzubekommen. In den ersten 45 Tagen würden alle Frauen, Minderjährigen, Alten und Kranken freikommen; in den zweiten 45 Tagen die Männer, in einem dritten Schritt dann schließlich die Leichname der getöteten Geiseln.

Israelischer Sieg für Netanjahu nur "Frage von Monaten"

Israels Premier Benjamin Netanjahu lehnte die Hamas-Forderungen am Mittwochabend ab. Nur ein vollständiger Sieg werde es Israel erlauben, Sicherheit wiederherzustellen, sagte er auf einer Pressekonferenz in Jerusalem. Es gebe keine Alternative zum militärischen Kollaps der Hamas. Zur Befreiung der im Gazastreifen festgehaltenen israelischen Geiseln sei anhaltender militärischer Druck nötig. Der Sieg sei in Reichweite, er sei eine Frage von Monaten.

Nach der Pressekonferenz sagte Hamas-Vertreter Osama Hamdan, dass eine Hamas-Delegation am Donnerstag nach Kairo reisen werde, um mit den Vermittlern Ägypten und Katar über eine Waffenruhe zu sprechen.

Blinken in Israel

US-Außenminister Antony Blinken ist derzeit in Israel, um intensive Gespräche zu führen und die diversen Klüfte innerhalb Israels zu überbrücken: Da ist einerseits der Auslandsgeheimdienst Mossad, der das Mandat für die Verhandlungen erhalten hat. Seine Vertreter kennen die Spielräume und die Sensibilität der Gespräche, sind aber letztlich nur Befehlsempfänger der Regierung von Netanjahu. Diese wiederum spaltet sich in ein liberaleres Lager, das für die Freilassung der Geiseln auch weiterreichende Kompromisse eingehen würde, und in einen Hardliner-Block, der sich strikt gegen die Freilassung palästinensischer Gefangener und einen ausgedehnten Waffenstillstand sperrt.

Als wäre das nicht genug, gibt es auch Differenzen zwischen der Armee und der Regierung. Um das Heft in der Hand zu behalten, bestand Ministerpräsident Netanjahu daher darauf, dass ein Treffen Blinkens mit Generalstabschef Herzi Halevi nur im Beisein Netanjahus stattfinden dürfe. Blinken ignorierte dies und ließ sich einen separaten Termin mit Halevi organisieren. Später berichtete "Axios", dass Blinken sich gegenüber Netanjahu und Verteidigungsminister Yoav Gallant sehr besorgt über eine mögliche israelische Bodenoperation in der Stadt Rafah äußerte, in die hunderttausende vertriebene Palästinenser in den vergangenen Wochen und Monaten geflohen sind.

31 Geiseln tot

Die Armee hatte indes die traurige Aufgabe, die Familien vom Tod von 31 der rund 130 in Gaza festgehaltenen Geiseln zu informieren. Armeesprecher Daniel Hagari bestätigte am Dienstagabend in einem Pressegespräch, dass man mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgehe, dass die 31 Personen nicht mehr am Leben sind. Meldungen, wonach man den Tod weiterer 20 Geiseln befürchte, bestätigt Hagari indes nicht. Todeszahlen werden von der Armee erst offiziell kommuniziert, wenn jeweils die Angehörigen verständigt wurden.

Was für die Familien der Angehörigen ein Schock ist, gilt der wachsenden politischen Bewegung der Geiselbefreiungsplattform als Arbeitsauftrag: Sie übt umso mehr Druck aus, um die noch lebenden Geiseln so bald wie möglich zu befreien. Denn Hunger, Kälte, Seuchen und die anhaltenden Kämpfe machen jeden neuen Tag in Gaza zum Kampf um Leben und Tod – das gilt sowohl für die Zivilisten im Gazastreifen als auch für die von den Terroristen festgehaltenen Geiseln. Sie sollen zudem systematischer Folter und sexueller Gewalt durch die Hamas-Leute ausgesetzt sein, wie aus den Erzählungen der befreiten Geiseln hervorgeht. (Maria Sterkl aus Jerusalem, 7.2.2024)