Aus in Sachen Präsidentschaftswahl: Sehr wahrscheinlich darf der Oppositionelle Boris Nadeschdin im März nicht gegen Amtsinhaber Wladimir Putin antreten. 105.000 Unterschriften seiner Unterstützer hatte er bei Russlands Zentraler Wahlkommission eingereicht – doch diese erklärte tausende Unterschriften für ungültig. Bleibt es dabei, dann kommt Nadeschdin nicht auf die Kandidatenliste.

Boris Nadeschdin
105.000 Unterstützungserklärungen für Boris Nadeschdin sollen ungültig sein.
AFP/VERA SAVINA

"Putin sieht die Welt aus der Vergangenheit und zieht Russland in die Vergangenheit. Russland braucht eine Zukunft – die Zukunft eines Landes, zu dem man aufschaut und in das freie und gebildete Menschen zurückkehren oder umziehen wollen." Mit dieser Forderung in seinem Wahlprogramm wollte der 60-jährige Nadeschdin antreten. Den Krieg in der Ukraine hält er für "einen fatalen Fehler". Und: "Russland läuft Gefahr, vom europäischen Staat, den es jahrhundertelang angestrebt hat, zum Vasallen Chinas zu werden. Doch Putins Abgang ist nur der erste notwendige Schritt. Russland muss einen schwierigen Weg gehen, sich der Zukunft zuwenden und einen Zusammenbruch in Chaos und Katastrophe vermeiden."

Harter Tobak. Doch Boris Nadeschdin ist kein Aktivist wie etwa der inhaftierte Alexej Nawalny. Er ist ein Liberaler, ein Politprofi, durchaus erfahren im politischen Establishment Russlands. Und jetzt quasi das Flaggschiff der russischen Opposition? Eine Rolle, die er selbst so nicht gesucht hat. Nadeschdin war Wissenschafter, Jurist und auch Unternehmer. Seit 30 Jahren ist er in der Politik, eine herausragende Position hatte er aber nie.

Widerpart von Kreml-Propagandisten

Nadeschdin hatte eng mit dem 2015 ermordeten liberalen Politiker Boris Nemzow zusammengearbeitet, aber auch mit Sergei Kirijenko, Putins rechter Hand im Kreml. Heute ist er Abgeordneter in der Stadt Dolgoprudny, die an Moskau grenzt. Russlands Fernsehpublikum ist Nadeschdin bekannt als Widerpart von Kreml-Propagandisten in russischen TV-Talkshows. Seine Auftritte im Staatsfernsehen nahmen ihm russische Oppositionelle übel. Eine Art "Hofnarr" sei er gewesen. Er trage das System mit, seine Auftritte signalisierten eine Art Pluralismus im russischen Fernsehen, den es in Wirklichkeit nicht gibt.

Die Bewerbung des erklärten Kriegsgegners ist in Russland auf unerwartet großes Interesse gestoßen. So groß, dass in der Zwischenzeit auch der Kreml reagiert hat. Ob er Nadeschins Kandidatur als Bedrohung sehe, hatte ein Journalist Kremlsprecher Dmitri Peskow gefragt. "Wir betrachten ihn nicht als Rivalen", wiegelte dieser ab. Doch auf Fotos und Videos in sozialen Netzwerken waren in verschiedenen Städten lange Schlangen von Bürgern zu sehen, die dem Oppositionspolitiker zur Kandidatur verhelfen wollten.

Die Unterschrift für Nadeschdin sei für die Menschen eine Möglichkeit, "ihre Unzufriedenheit" zum Ausdruck zu bringen, "ohne Angst vor einer Festnahme oder einer Entlassung haben zu müssen", sagte ein 19-jähriger in der Warteschlange. "Boris Nadeschdin ist kein neuer Mensch in der russischen Politik. Aber das ist ein Mann unserer Ansichten, mit dem die meisten von uns keine grundsätzlichen Meinungsverschiedenheiten haben. Er ist gegen den Krieg und scheut sich nicht, darüber zu sprechen", so der oppositionelle Politiker Maxim Katz, der im Exil lebt.

105.000 Unterschriften

105.000 Unterschriften hatte Nadeschdin eingereicht. Von der Zentralen Wahlkommission seien über 9.000 als ungültig erklärt worden, berichtet das Onlinemedium "7x7" unter Berufung auf das Hauptquartier Nadeschdins. Teilweise seien die Daten nicht von den Unterstützern selbst eingegeben worden, bei anderen hätten notariell beglaubigte Passdaten gefehlt.

Laut Nadeschdins Team sei jedoch die mangelhafte Digitalisierung in der Wahlkommission etwa bezüglich des Adressverzeichnisses schuld. So wurde etwa aus der Majakowski-Straße in der Stadt Engels eine "Mjakowski-Straße", die es nicht gibt, berichtet das Onlinemedium "Meduza".

An diesem Donnerstag wird die russische Wahlkommission endgültig entscheiden. Sollte Boris Nadeschdins Kandidatur abgelehnt werden, will der Oppositionelle Berufung beim Obersten Gerichtshof einlegen. (Jo Angerer aus Moskau, 7.2.2024)