Ein junger Mann mit Kapuzenjacke attackiert einen anderen Jugendlichen, der schützend die Hände vor den Kopf hält
Auch unter 14-Jährige können kriminell werden. In Wien hat die Zahl der Anzeigen gegen diese Altersgruppe den höchsten Stand seit zehn Jahren erreicht. Die Gründe sind vielfältig.
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Wien – Wilhelm Busch hat bereits vor 158 Jahren darüber geseufzt, was man oft von bösen Buben hören oder lesen muss. Wie sieht es heute mit der Kriminalität von Kindern und Jugendlichen aus? Werden sie immer schlimmer? Die Antworten auf diese Fragen sind nicht ganz einfach, wie sich zeigt.

In der Bundeshauptstadt hat die Zahl der polizeilichen Anzeigen gegen Strafunmündige – also Buben und Mädchen unter 14 Jahre, die aufgrund ihres Alters nicht vor Gericht kommen können – im Jahr 2022 den höchsten Stand seit zehn Jahren erreicht, weiß man bei der Landespolizeidirektion Wien. Sowohl bei den unter Zehnjährigen, wo es 239 Fälle gegeben hat, als auch bei den zehn- bis 14-Jährigen, die 2815-mal von der Exekutive angezeigt wurden. Zum Vergleich: Im Jahr 2013 betrugen die entsprechenden Werte noch 200 und 1474.

Bedeutet das aber automatisch, dass die Kids immer krimineller werden? Nicht unbedingt. Denn über den gesamten Zeitraum betrachtet zeigt sich kein stetiges Wachstum, sondern eine Wellenbewegung. Es gibt aber noch weitere intervenierende Variablen. So ist die Zahl der unter 14-Jährigen in Wien seit 2013 um zwölf Prozent auf 279.294 junge Menschen gestiegen, geht aus den Daten der Statistik Austria hervor.

Philipp Haßlinger von der Pressestelle der Wiener Polizei kennt aber noch weitere Gründe, warum die Zahlen nicht so einfach zu interpretieren sind. So seien durch verstärkte Sensibilisierungsmaßnahmen wie etwa in Schulen auch die Zahl der Anzeigen gestiegen. Das sogenannte Dunkelfeld sei also kleiner geworden, teilt Haßlinger mit.

Mehr Delikte durch neue Technologie

Dazu komme der technologische Wandel. "Die Digitalisierung hat große Auswirkungen auf strafbare Handlungen von Unmündigen/Jugendlichen", meint der Sprecher. Einerseits, da es zum Teil völlig neue Delikte gibt – etwa das Versenden heimlich aufgenommener Nacktbilder von Freunden oder anderen verbotenen Inhalten. Auch Drohungen oder Beleidigungen sind im digitalen Raum viel leichter ausgesprochen und dokumentierbar als auf dem Spielplatz.

Und schließlich kommt noch ein weiterer wichtiger Punkt dazu: Die Aufklärungsquote im Bereich der Jugendkriminalität ist in den vergangenen Jahren um über zehn Prozent gestiegen. Und je mehr Verdächtige ausgeforscht werden, umso mehr klettert die Statistik nach oben. Ignoriert wird die Entwicklung von der Wiener Exekutive aber nicht – so organisiert das Landeskriminalamt Präventionsprogramme für Zehn- bis 18-Jährige.

Reagiert hat auf die Entwicklung auch die Stadtverwaltung, wie Ingrid Pöschmann von der Magistratsabteilung (MA) 11, der Wiener Kinder- und Jugendhilfe, im STANDARD-Gespräch erzählt. Der Kinderschutz für die Unmündigen steht dabei im Vordergrund, kann es doch viele Gründe für delinquentes Verhalten geben, von tristen Familienverhältnissen bis hin zu psychischen Erkrankungen.

Kleinere Wohngruppen mit mehr Betreuung

So habe man erkannt, dass die normalen Achterwohngruppen bei manchen Kindern nicht ausreichend seien, sagt Pöschmann, da sie eine weitaus höhere Betreuungsintensität brauchen. Daher habe man Einheiten geschaffen, in denen nur vier bis sechs Buben und Mädchen leben, um die sich mehr und speziell geschulte Betreuerinnen und Betreuer kümmern. Vor gut drei Jahren wurde auch ein Schulkooperationsteam mit 24 Sozialarbeiterinnen etabliert, an das sich die Bildungseinrichtungen bei Auffälligkeiten wenden können. Auch das trage zu einer gestiegenen Zahl von Anzeigen bei, bestätigt sie Polizeisprecher Haßlinger.

Sind Unmündige bereits bei der Exekutive amtsbekannt, können sie auch in unterschiedlich ausgerichteten Kursen untergebracht werden. Die MA 11 bietet beispielsweise mit dem "Verein Cult – Jugendarbeit wirkt" Kurse an, wo es um Empathiegewinnung und die Reduzierung von Aggression geht. Sieben Burschen und Mädchen soll dort zweieinhalb Monate lang mit einem "konfrontativen Ressourcentraining" beigebracht werden, wie sich Opfer von Körperverletzungs- oder Eigentumsdelikten fühlen.

Beim Projekt "Gewaltig anders" der Männerberatung werden 13- bis 16-Jährige, die deliktisch auffällig wurden, vor allem psychotherapeutisch betreut. Im Verein Limes kümmert man sich um die kleine Zahl der Unmündigen, die schwere sexuelle Grenzüberschreitungen begangen haben sollen. (Michael Möseneder, 8.2.2024)