Nelson Mandelas einstige Köchin Xoliswa Ndoyiya in der Küche von dessen ehemaligem Wohnhaus in Johannesburg.
Nelson Mandelas einstige Köchin Xoliswa Ndoyiya in der Küche von seinem ehemaligen Wohnhaus in Johannesburg. Das Haus dient inzwischen als Restaurant.
Christian Putsch

Als der mächtigste Mann der Welt sein Mittagessen beendet hat, will er seinem Gastgeber, dem meistbewunderten Mann der Welt, für die köstliche Mahlzeit danken. Doch Nelson Mandela nimmt den Dank nicht an. "Ich habe nicht gekocht", sagt er lächelnd zu Bill Clinton, zieht ihn in die Küche, zur Urheberin des kulinarischen Werks.

"Bedanke dich bitte bei ihr", empfiehlt er mit Charme. Und der Präsident der USA schüttelt der Köchin Xoliswa Ndoyiya, die in eine weiße Schürze gehüllt ist, die Hand und sagt zu dieser Verkosterin am Rande der Weltgeschichte, es habe wirklich vorzüglich geschmeckt. Die Küchentür schließt sich. Das Mahl hinterlässt zwei befreundete Präsidenten. Und eine kulinarische Diplomatin mit dem stolzen Gefühl, ein wenig südafrikanischen Fortschritt zubereitet zu haben.

Ein Vierteljahrhundert später steht Ndoyiya (60) in ihrer Kochschürze wieder in ihrer stillen Aura der Bescheidenheit am Herd der rotbeziegelten Villa im Johannesburger Stadtteil Houghton. Die Furchen der kräftigen Hände hat das Leben vertieft, aber diese bewegen sich mit unvermindert routinierter Präzision.

Ihre Arena hat, ganz wie Südafrika, immer neue Metamorphosen vollzogen. Mandela zog kurz vor Ende seiner Präsidentschaft im Jahr 1999 aus. Seine einstige Residenz verfiel fortan, durfte ohne die Kraft ihres illustren Bewohners endlich der Last der Geschichte nachgeben. Und bald landete auch die Köchin in der Realität eines Landes, wo der Kitsch der Regenbogennation langsam verdunstete. Nach 18 Jahren des Kochens für Mandela erwartete sie die Arbeitslosigkeit, wie so viele, jahrelang. Und in die Präsidentenresidenz zogen Obdachlose.

Neue Arbeit in alten Gemäuern

Nun kocht Ndoyiya also wieder. Beide haben sich neu aufgerichtet: Das Gebäude, frisch renoviert, versucht sich an einer Renaissance als gehobenes Gasthaus, mit angemessenem Pathos "Sanctuary Mandela" getauft, zu Deutsch "Zuflucht Mandela". Ähnlich wie die vierfache Mutter Ndoyiya, die hier noch einmal Arbeit gefunden hat und die Sentimentalität derer nährt, die trotz aller Ernüchterung das Versprechen nicht aufgeben wollen, für das Mandela stand. Auf Vergebung und Gleichheit, Fortschritt und Frieden. Wer hier anreist, der traut den geschichtsträchtigen Gemäuern die Konservierung eines Gefühls der Hoffnung zu, das es außerhalb kaum noch zu finden gibt.

Seit gut zehn Jahren ist Mandela nun tot, und seine Partei, der African National Congress (ANC), muss sich in diesen Tagen wahrlich abmühen, um zumindest die Erinnerung an seine glorreichen Tage zu bewahren. Mit über 1.000 Bussen wurden Anfang Jänner 43.000 Anhänger in die Provinzstadt Mbombela (ehemals Nelspruit) gekarrt, um den 112. Geburtstag der Partei zu feiern. Es war der Wahlkampfauftakt, schließlich wird im Mai oder Juni gewählt – und da hätte sich ein halbleeres Stadion nicht allzu gut gemacht.

Nelson Mandela winkt.
Nelson Mandela (1918–2013) verbrachte als Kämpfer gegen die Apartheid insgesamt 27 Jahre in Haft. 1993 erhielt er den Friedensnobelpreis, von 1994 bis 1999 war er Südafrikas Präsident.
AFP/LEON NEAL

Aktuelle Umfrageergebnisse sehen den ANC zwischen 48 und 53 Prozent. Die Partei, die vor fünf Jahren mit 57 Prozent bereits ihr bislang schlechtestes Ergebnis eingefahren hatte, läuft also Gefahr, erstmals die absolute Mehrheit zu verpassen. Es wäre wohl der Beginn eines turbulenten Zeitalters der Koalitionsregierung.

Südafrika ist geprägt von den höchsten Einkommensunterschieden der Welt, und die sind in den Augen vieler trotz einer extrem wohlhabenden schwarzen Oberschicht noch allzu oft an der Hautfarbe erkennbar. Der durchschnittliche Weiße verdient noch immer dreieinhalbmal so viel wie der durchschnittliche Schwarze. Diese nur langsam schrumpfende Ungerechtigkeit – 1990 war es das Siebenfache – weckt noch immer mehr Emotionen als die Milliardenkorruption des regierenden ANC, knapp 50 Prozent Arbeitslosigkeit bei jungen Erwachsenen und die bedrohlich steigende Staatsverschuldung, die in einigen Jahren Südafrikas Sozialsystem gefährden könnte. Es ist mit 29 Millionen Sozialhilfeempfängern, rund der Hälfte der Bevölkerung, eines der größten der Welt.

Umstrittenes Urteil

Zudem haben Linkspopulisten wie Julius Malema von der Oppositionspartei Economic Freedom Fighters (EFF) das Zerschneiden des dünnen Kitts, der die vielfältigen Fäden der Gesellschaft zusammenhält, zum Geschäftsmodell erhoben. Zuletzt setzte er gerichtlich durch, öffentlich das Lied "Kill the Boer" (Tötet den weißen Bauern) singen zu dürfen – es sei schließlich eine Hommage an den Befreiungskampf und habe mit der hohen Zahl von Farmmorden nichts zu tun, so seine zweifelhafte, aber letztlich erfolgreiche Argumentation. Der Richter gab Malema recht, was schwer vermittelbar ist in einem Rechtsstaat, in dem Weiße schon zu jahrelangen Gefängnisstrafen verurteilt wurden, weil sie rassistische Schimpfwörter benutzten.

In Südafrika, immerhin eine der 40 größten Volkswirtschaften der Welt, sagen 70 Prozent der Bürger, das Land bewege sich in die falsche Richtung – im Jahr 2010 waren es nur 49 Prozent. Nur jeder Vierte vertraut der Regierung, im Jahr 2005 waren es unter Mandela-Nachfolger Thabo Mbeki noch stattliche 64 Prozent.

Köchin Ndoyiya sitzt in einem Sessel des alten Mandela-Hauses, das trotz all der harten Arbeit immer die Oase ihres Lebens bleiben wird. Über die aktuelle Politik, so bittet sie, wolle sie nicht so gerne reden. Über Mandela, über dessen Lieblingsrezepte (etwa Ochsenschwanz-Eintopf) sie ein wunderbares Kochbuch mit dem Titel "Made with Love" geschrieben hat, dafür umso mehr. "Er hat uns alle gelehrt, dass wir die Dinge nicht allein vollbringen können, dass wir uns gegenseitig brauchen", sagt sie. "Aus meiner Sicht hat er Erfolg gehabt. Er hat uns eine gewisse Zeit angeführt, uns gezeigt, wie wir als Volk zusammenstehen können." Mandela habe immer darauf gehofft, dass andere in diesem Sinne sein Werk fortführen würden. "Er wollte nie als Heiliger wahrgenommen werden. Aber er hat die Tür geöffnet." Hindurchgehen müsse jeder Einzelne.

Ndoyiya hat nach ihrer Zeit mit Mandela vor allem verstanden, dass sein Erfolg nicht nur in seiner beispiellosen Empathie und seiner Kompromissbereitschaft gegenüber den früheren Feinden begründet war, sondern auch in seinem Arbeitseifer, seiner beispiellosen Disziplin. Ein Pflichtgefühl, das er vorlebte und gleichermaßen von anderen erwartete. Nicht zuletzt von seiner Köchin.

Haferbrei und Zuckermüsli

Ihr fällt dazu eine Geschichte ein: Jeden Morgen, oder eher mitten in der Nacht, um 3.30 Uhr, servierte sie ihm das Frühstück. Haferbrei mit getrockneten Rosinen, dazu einen Teller mit frischen Früchten, etwas Kaffee, natürlich ohne Zucker. Mandela erwartete sein Frühstück nicht als bloße Mahlzeit, sondern als ersten Takt, der den Rhythmus des Tages vorgab. Die Basis für die Bewältigung unzähliger Aufgaben, darunter die tägliche Rettung der Nation.

Das Servieren des Frühstücks musste pünktlich passieren, schließlich machte er danach Sport, las Akten, die Zeitung. Einmal klopfte die Köchin fünf Minuten zu spät an seiner Schlafzimmertür. Mandela öffnete, begrüßte sie freundlich lächelnd und ging, das Frühstück ignorierend, an ihr vorbei. Es war das letzte Mal, dass Ndoyiya zu spät kam.

Doch dann, nach weit über einem Jahrzehnt, in dem sie für Mandela gearbeitet hatte und lange nach seiner Präsidentschaft, schien seine Disziplin zu bröckeln. Eines Morgens verlangte Mandela anstelle seines gesunden Frühstücks eines jener bunten Kindermüslis, die mehr aus Zucker als aus Weizen bestehen. Am nächsten Tag wieder, dann wieder.

"Herr Mandela, die Ärzte hätten es lieber, wenn sie ihr gewohntes Frühstück aus Haferbrei essen", traute sich die Köchin schließlich zu sagen. Der blickte auf, zögerte kurz, es folgte die Einladung, sich einen Moment zu ihm an den Frühstückstisch zu setzen.

"Xoliswa, als ich ein Kind war, hat mir meine liebe Mutter jeden Morgen Haferbrei zubereitet, damit ich für das Hüten der Tiere genug Kraft habe", begann er. Als seine Mutter gestorben sei, habe er nicht an der Beerdigung teilnehmen können. Er saß wegen seines Kampfs gegen die Apartheid im Gefängnis, aber das Gefühl der Schuld habe ihn dennoch nie losgelassen. An jedem Tag seiner Freiheit, seit nunmehr 18 Jahren, esse er morgens Haferbrei, um seine Mutter zu ehren. "Ich glaube, ich habe sie genug geehrt." Es fühle sich richtig an, dieses Zuckermüsli zu essen.

Am nächsten Morgen bat er um Haferbrei. Dabei blieb es, bis zuletzt. (Christian Putsch aus Johannesburg, 11.2.2024)