Vier Kontrahenten bei der Vienna Challenger Arena 2021.
VCA/Luc Bouchon

Es gibt einfachere Unterfangen, als frisch nach einem Umzug in eine Millionenstadt zu ziehen und dort soziale Kontakte zu knüpfen. Auch ich kann von diesen Herausforderungen erzählen und bin damit bei weitem nicht allein. Besonders meine Generation Z berichtet von einem so noch nie dagewesenen Level an Einsamkeit. In einem Artikel von "Business Insider" von September letzten Jahres heißt es sogar, dass amerikanische "Zoomer" bis zu 500 Dollar im Monat ausgeben, um Freundschaften zu schließen. Es werden Fitnessstudiomitgliedschaften und Beiträge für Social-Clubs bezahlt, alles in der Hoffnung, neue Kontakte zu knüpfen.

Eine relativ simple Lösung für diese Problematik der fehlenden sozialen Interaktion findet man in Wien und mit Sicherheit auch über die Grenzen der Hauptstadt hinaus dank diverser Videospielvereine. Ja, jenen Videospielern, die von vielen Außenstehenden oftmals viel mehr als eigenbrötlerisch eingestuft werden und sich den Vorwurf gefallen lassen müssen, lieber online als offline zu spielen. Alles nur die halbe Wahrheit, sieht man sich die Szene genauer an. Völlig wild zusammengewürfelte Gruppen von Menschen treffen sich gut organisiert in Kellergewölben, auf einer öffentlichen Veranstaltung oder im gemeinsamen Wohnzimmer, um sich mit den verschiedenste Videospielen die Zeit zu vertreiben.

Egal ob Zoomer oder Boomer, hier sind alle willkommen, die zwischen netten Gesprächen auch einmal den Controller in die Hand nehmen wollen.

Nahkampf in der Schmalzhofgasse

Zum Beispiel Philipp "Yogurt" Wodenitscharow. Der Turnier-Organisator oder TO der Wiener "Super Smash Brothers Melee"-Szene weiß, wie wichtig die soziale Interaktion beim Spielen ist: "Der größte Faktor ist die soziale Komponente. Es macht einfach Sinn für eine Community, wenn man sich wirklich regelmäßig trifft. Ich würde es mit einem Trainingspartner im Sport vergleichen. Der kompetitive Aspekt ist definitiv auch vorhanden, da man sich gezwungenermaßen auch misst, aber dieser ist sekundär."

Der kompetitive Aspekt vor Ort unterscheidet sich aber auch von der heutzutage dominante Art, den Großteil der Games online zu spielen, sagt er: "Das Internet tendiert dazu, die negativen Emotionen aus den Leuten rauszuholen. So wie vielleicht beim Autofahren gleich negative Intentionen in die anderen Verkehrsteilnehmer hineininterpretiert werden." Ähnliches konnte Wodenitscharow über die Jahre auch beim Onlinegaming beobachten.

Die Antwort sind deshalb regelmäßige Treffen der Vereinsmitglieder, um sich austauschen und im gemeinsamen Spiel besser werden zu können. Um die passende Umgebung für diese wöchentlichen bis monatlichen Turniere herzustellen, die das Herzstück dieser Communities sind, müssen die TOs viele unentgeltliche Stunden investieren. Hinzu kommen viele technische und logistische Hürden, die im Zuge eines erfolgreichen Turniers gelöst werden müssen. "Super Smash Brothers Melee" zum Beispiel ist ein mittlerweile 23 Jahre altes Spiel, dass aufgrund von vielen technischen Gegebenheiten immer noch auf Röhrenfernsehern gespielt wird. Jenen, die noch diese Ära an Fernsehtechnik erlebt haben, ist beim Lesen dieser Zeilen mit Sicherheit ein Schauer über den Rücken gelaufen. Die Vorstellungen, hunderte dieser Fernseher allein tragen zu müssen, erklärt, warum helfende Hände bereits hier ein so wichtiger Aspekt dieser Community sind.

E-Sport in weiblicher Hand

Jenny Rassi ist eine der Galionsfiguren der "Super Smash Bros. Ultimate Community", des neusten Titels der Fighting-Spieleserie. 2017 ist sie im Zuge ihrer Tätigkeit als Eventkoordinatorin zum E-Sport gekommen und kann mittlerweile auch jahrelange Erfahrung in der Organisation von Turnieren und im Aufbau von Gaming-Communitys vorweisen. Den Ansporn, den sie als Organisatorin fühlt, beschreibt sie so: "Generell motiviert es mich, Menschen dabei zuzusehen, wie sie etwas tun, was sie lieben, und wie ehrgeizig sie dabei sind. Mir liegt daran, genau diesen Menschen eine Bühne zu bieten und eine sichere Zone zu schaffen, in der wir alle dasselbe Ziel und dieselbe Leidenschaft teilen."

Über die Herausforderungen der Turnierorganisation weiß sie viel zu berichten: "Nach Corona waren Unternehmen und Marken nicht mehr so motiviert, Geld für Gaming und E-Sport auszugeben. Auch die Vermieter verlangten hohe Mieten für die Durchführung von Events in ihren Räumlichkeiten, was für mein Team und mich als Privatpersonen eine große Hürde darstellte." Trotz dieser Widrigkeiten bleibt sie der Szene treu. Man kennt sich. Man schätzt sich.

Virtual Dojo Vienna

Ken Koedkhoon ist Teil des Organisationsteams des größten kompetitiven Fighting-Game-Vereins in Österreich. Das sogenannte Virtual Dojo Vienna (VDV) betreut eine ganze Reihe von Kampfspielen und bietet in einer angemieteten Location einen Ort zum Verweilen, erzählt er dem STANDARD.

Der Kern des Vereins sind regelmäßige Treffen und Events für die eigene Community. Hinzu kommen international besetzte Turniere zu großen Titeln, wofür dank Sponsoren auch Preisgelder aufgestellt werden. Für die Veranstaltung am Wochenende von 24. bis 25. Februar kann das VDV schon jetzt über 200 Anmeldungen verbuchen. Das ist nicht selbstverständlich, weiß auch er: "Das Virtual Dojo Vienna ist in Europa gesehen meiner Meinung nach etwas sehr Spezielles. Es gibt bei allen unseren Nachbarn zwar auch Communitys, aber keine sind so öffentlich zugänglich und zentralisiert wie unsere." Gerade deswegen meint er auch, dass es in Wien mehrere Offline-Communitys gibt.

Den Austausch mit internationalen Vereinen und Spielern schätzen alle zuvor genannten Organisatoren. Der Austausch mit anderen sei wichtig, um zu lernen, aber auch, um Fehler zu vermeiden, die andere schon gemacht haben. Besonders hervorheben wollen alle, dass man in der jeweiligen Szene auch schon Freunde gefunden habe. Offline zu spielen verbindet, weil der menschliche Kontakt da ist, man gemeinsam flucht und lacht.

Jenny Rassi inmitten ihrer Communitymitglieder.
Smash Austria

Teil der Szene

Als junger Begleiter dieser Szene weiß ich, dass es bei all diesen Zusammenkünften natürlich Gewinner und Verlierer gibt, aber das betont keiner der Gesprächspartner. Viel wichtiger ist, dass es am Ende immer um die Menschen in der Community geht. Das ist auch etwas, was ich selbst unterschreiben würde. Nach meinem eigenen Umzug nach Wien war das Wissen, dass ich jeden Mittwochabend in der Schmalzhofgasse die gleichen freundlichen Gesichter wiedersehen kann, ein großer Heilsbringer. Ich kann wirklich jedem, der sich beim Lesen dieses Textes auch nur eine Sekunde gedacht hat, dass das interessant klingt, raten, über seinen Schatten zu springen und einen dieser Events zu besuchen.

Die "Melee"-Community hat letzten Mittwoch den Kick-off ihrer ersten Saison mit Ligabetrieb gestartet, und das Virtual Dojo Vienna steht kurz vor dem neuesten Ableger ihrer AUTplayed-Turnierserie. Das sind nur zwei von vielen Möglichkeiten, in diese Welt einzutauchen, in der zwar viel gekämpft wird, aber statt negativen Emotionen vor allem positive vorherrschen. (Georg Laurenz Dittlbacher, 10.2.2024)