Der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu besuchte Ende Jänner ein Werk in Jekaterinburg.
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Ein Sanktionspaket nach dem anderen wurde gegen den russischen Staat, Wirtschaftszweige, Institutionen und Einzelpersonen verhängt. Eigentlich sollte das Russlands Wirtschaft nachhaltig schädigen, möchte man meinen. Doch das Gegenteil ist der Fall. Das belegen die Recherchen des Onlinemediums Verstka. Dessen Journalisten haben russische Zolldokumente und eine Vielzahl weiterer Quellen ausgewertet. "Unsere Untersuchung ergab, dass fast alles von überall auf der Welt nach Russland gebracht werden kann. Die russischen Behörden umgehen erfolgreich europäische und amerikanische Sanktionen."

Insbesondere gilt das für Maschinen und Hightech-Bauteile, die die russische Rüstungsindustrie dringend braucht. Russland habe die Produktion von Raketen für seine Flugabwehrsysteme verdoppelt, sagte Verteidigungsminister Sergej Schoigu jüngst bei einer Inspektion von Rüstungsfabriken in Jekaterinburg. Schoigu besichtigte laut Interfax auch die Hersteller zweier Waffensysteme, gegen die sich die Ukraine kaum wehren kann: Boden-Boden-Raketen vom Typ Iskander und schiffgestützte Marschflugkörper Kalibr. Beide Waffen haben der Ukraine mehrfach schwere Verluste zugefügt.

Doch wie werden die Sanktionen umgangen? Verstka hat die Wege vieler Importe nachverfolgt. Das Muster sei immer das gleiche. Zunächst wird ein Unternehmen in einem Drittland registriert – bevorzugt von einem nichtrussischen Staatsbürger. Dann kauft dieses Unternehmen das benötigte Produkt entweder auf dem Inlandsmarkt oder bestellt es direkt beim Hersteller und stellt es für den Re-Export nach Russland bereit, so Verstka. China und die Türkei spielen eine große Rolle, aber auch die Länder der ehemaligen Sowjetunion – darunter Kasachstan, Kirgisistan, Armenien und Usbekistan.

Mikrochips aus dem Westen

Panzer, Kampfflugzeuge, Flugabwehr, Aufklärung – heutzutage funktioniert nichts ohne Mikrochips. Und die kommen vielfach aus dem Westen. Beispiel: Russlands modernste Marschflugkörper vom Typ Kh-101, Nato-Codename Kodiak. Eingebaut sind laut Verstka Chips unter anderem von Intel und Texas Instruments. Letztere seien im Wert von "mindestens 38 Millionen US-Dollar" importiert worden, so die Recherche, trotz Sanktionen. Auch die deutsche Infineon sei im Spiel. Chips ihrer US-Tochter Cypress Semiconductor seien im Wert von "mehr als 3,8 Millionen US-Dollar" über Drittländer nach Russland gelangt. Von den 25 größten Importeuren seien "elf direkte Lieferanten von Unternehmen des militärisch-industriellen Komplexes, darunter die fünf größten", so Verstka.

Aber auch ganze Waffensysteme kauft Russland aus Drittländern. Beispiel: Drohnen aus dem Iran. Laut Interfax haben die USA Unternehmen mit Sitz im Iran, China, der Türkei und den Vereinigten Arabischen Emiraten sanktioniert. Sie stünden im Zusammenhang mit dem "Kauf wichtiger Teile für das iranische Kamikazedrohnenprogramm". Iranische Drohnenlieferungen hat Moskau bislang stets dementiert. Artilleriemunition und Raketen liefert wohl Nordkorea: Pjöngjang hat sich auf die Modernisierung sowjetischer Waffensysteme spezialisiert.

Im Oktober veröffentlichten die USA Satellitenbilder, die angeblich tausende Container mit militärischer Ausrüstung und Munition zeigten, die von Nordkorea nach Russland transportiert wurden. Das britische Royal Defence Studies Institute berichtet, dass Russland und Nordkorea eine maritime Versorgungsroute eingerichtet haben, über die Schiffe mit Containern aus Nordkorea nach Russland kommen. Die Container würden dann zu einem Munitionsdepot in Tichorezk in der Region Krasnodar geschickt, das nur 200 Kilometer von der russisch-ukrainischen Grenze entfernt liegt.

Soldaten hat die russische Armee inzwischen genügend rekrutiert. Hightech-Bauteile und -Maschinen für die Rüstungsindustrie werden trotz Sanktionen importiert. Waffen und Munition kommen aus Drittländern. Russlands kann wohl noch viele weitere Jahre den Krieg in der Ukraine fortsetzen. (Jo Angerer aus Moskau, 12.2.2024)