Es bleibt eine jener großen Fragen, die wohl nie endgültig geklärt werden können: Was wusste das Bundeskriminalamt im Jahr 2015 von den mutmaßlichen Malversationen in Heinz-Christian Straches FPÖ – und was wäre passiert, wenn damals mit Nachdruck ermittelt worden wäre?

Diese Frage schwebt auch über einem Prozess, den Andreas Holzer, Chef des Bundeskriminalamts, gegen den STANDARD und dessen Kolumnisten Florian Scheuba angestrengt hat. Am Dienstag soll es zu einem Urteil kommen.

"Rätselhafte Untätigkeit"

Scheuba hatte Holzer im Herbst 2021 in seiner satirischen Kolumne "rätselhafte Untätigkeit" und "folgenschwere Arbeitsverweigerung" im Umgang mit Verdachtsmomenten bei der FPÖ und bei Strache attestiert. Gegen diese Zuschreibung ging Holzer mit einer strafrechtlichen Privatanklage gegen Scheuba und mit medienrechtlichen Entschädigungsanträgen gegen den STANDARD vor.

Die Hinweise, die Anwalt R. M. Holzer damals präsentiert habe, hätten nicht gereicht, um Ermittlungen einzuleiten, argumentiert der Spitzenpolizist. Für R. M. war die erfolglose Kontaktaufnahme mit dem Bundeskriminalamt hingegen Ansporn, um mehr Indizien gegen Strache zu sammeln. Es entstand eine der wohl berühmtesten Aufnahmen der Zweiten Republik: das Ibiza-Video. Seit dessen Erscheinen im Mai 2019 hat die Justiz genug zu tun, ermittelt wird auch rund um das Finanzgebaren und Spesenausgaben vor allem der Wiener FPÖ.

Auch da spielte Holzer eine Rolle: Er leitete anfangs die Soko Tape, die Ermittlungsgruppe rund um Ibiza und die Folgen. Danach wurde er zum Chef des Bundeskriminalamts ernannt.

Andreas Holzer
Andreas Holzer ist Chef des Bundeskriminalamts
AFP/JOE KLAMAR

Begleitet war das mit viel Kritik. Die Opposition warf Holzer vor, der ÖVP zu nahe zu stehen und die Aktivitäten der Soko eher auf die Verfolgung der "Hintermänner" des Videos als auf die Aufklärung der Korruptionsdelikte gelenkt zu haben.

Der "Regisseur" des Videos, Julian Hessenthaler, musste nach einer Verurteilung im Bereich Suchtgift sogar in Haft. Er war von R. M. nach dessen gescheiterter Anzeige gegen Strache ab 2015 ermutigt worden, dem FPÖ-Politiker eine Falle zu stellen. Dafür hatte R. M. auch ein Budget zur Verfügung gestellt. Glaubt man M., lag ihm der Aufstieg der Rechts-außen-Partei im Magen. Einerseits aus politischen Gründen, andererseits wegen Hinweisen auf kriminelles Verhalten.

Erhalten hatte er die durch seinen Mandanten Oliver Ribarich, einen langjährigen Mitarbeiter Straches.

Der anonyme "Zeuge"

Was dann passierte, stellen beide Seiten unterschiedlich dar. "Ich hätte mich nicht getraut hinzugehen ohne was", sagte Anwalt M. vergangenen Dezember, als er als Zeuge vor Gericht einvernommen wurde. Er habe dem Bundeskriminalamt Hinweise auf einen angeblichen Drogenlieferanten der FPÖ-Spitze sowie den Namen eines Mannes, der sich ein Nationalratsmandat kaufen wollte, verraten.

Für sich behielt M. damals allerdings die Identität seines Mandanten Oliver Ribarich. Erst lange nach dem Erscheinen des Ibiza-Videos trat Ribarich, gegen den mittlerweile auch ermittelt wird, öffentlich in Erscheinung.

Holzer stellte die Vorgänge vor Gericht anders dar. Hätte man den Namen eines angeblichen Drogendealers erhalten, wäre man dem nachgegangen. Material sei nicht übergeben worden; die Informationen hätten nicht ausgereicht, um Ermittlungen einzuleiten. Auch die Staatsanwältin gab an, man hätte einen Belastungszeugen gebraucht, um ein Verfahren einzuleiten. Aber sie sagte auch aus, Holzer und Kollegen die ersten Ermittlungsschritte überlassen zu haben.

Scheuba
Scheuba
Florian Scheuba (ganz links) mit seinen Kollegen Robert Palfrader und Thomas Maurer
APA/ROBERT JAEGER

Es ist bereits der zweite Prozess, der in der Sache stattfindet. Oder, genauer gesagt: Es ist die Wiederholung des ersten Prozesses. Zunächst war Scheuba freigesprochen worden, weil die Aussagen aufgrund des unter Beweis gestellten Tatsachensubstrats zulässig seien.

Holzer bekämpfte das Urteil beim Oberlandesgericht Wien, das eine Neudurchführung des Verfahrens anordnete. Von einer Satire könne keine Rede sein, weil bei der Leserschaft der Vorwurf ankäme, Holzer habe gezielt die nötigen Ermittlungsschritte verweigert, hieß es sinngemäß in der Entscheidung. Deshalb ging der Fall zurück an das Straflandesgericht Wien, wo nun bereits mehrere Verhandlungstage stattfanden. Am Dienstag wird nun Holzers Mitarbeiter Dieter Csefan befragt. Womöglich könnte dann auch ein Urteil gefällt werden.

Kritik an Privatanklage

Eine Besonderheit im Fall Scheuba ist, dass dem Kabarettisten sogar eine strafrechtliche Verurteilung droht. Auch deshalb haben einige NGOs deutliche Kritik an Holzers Klage geäußert. "Es ist klar Satire eines Satirikers, die sehr gut recherchiert ist", sagt Rainer Schüller, Mitglied der STANDARD-Chefredaktion.

Strache
Strache
Heinz Christian Strache reiste für "Puls4" zurück nach Ibiza
Puls 4

DER STANDARD übernimmt die Kosten von Scheubas Verteidigung, vertreten wird er von Maria Windhager. Sie sagt: "Wir gehen wie im ersten Rechtsgang davor aus, dass Scheuba angesichts Holzers unbestrittener Untätigkeit zulässige Kritik geübt hat. Das strafrechtliche Vorgehen von Holzer ist unverhältnismäßig und ein grober Einschüchterungsversuch."

Holzers Anwalt Peter Zöchbauer sagt auf Anfrage: "Die Meinungsäußerungsfreiheit rechtfertigt keine unwahren Tatsachenvorwürfe." Sie sei kein absolutes Grundrecht, sondern mit anderen Grundrechten abzuwägen, etwa auch mit dem Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, das auch die Ehre einer Person schütze.

Holzer war zuvor schon wegen anderer Vorwürfe gegen den Verlag Kremayr & Scheriau vorgegangen; der lieferte fortan Peter Pilz’ Buch Kurz. Ein Regime nicht mehr aus. (Fabian Schmid, 12.2.2024)