Die Vienna 1903. Stehend ganz rechts Heinrich Lenczewski. Das universell einsetzbare Raubein spielte sechsmal für Österreich.
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Also doch! Das Wort, das da in Kurrentschrift auf dem Totenbeschaubefund von Heinrich Lenczewski zu lesen ist, lautet eindeutig "Dachboden". Und dann macht alles Sinn. Die Vermutung, dass der alte Vienna- und sechsmalige Nationalspieler, der für alle nur der "Lintsch" war, nicht zufällig am 12. Februar 1934 gestorben ist. Aber der Reihe nach.

Das Blau-Gelb, das die Gründerväter des First Vienna Football Club fünf Jahre zuvor den Rothschilds entlehnt hatten, war noch frisch, als sie der 17-Jährige 1899 erstmals trug. Zweimal war der "Lintsch" in den folgenden 17 Jahren kurz abtrünnig geworden, hat ein paar Monate beim WAC und auch beim WAF verbracht, aber Einsätze gegen seinen Stammklub verweigert.

Auf dem Spielfeld war er ein harter Knochen oder, wie es das Neue Wiener Journal formulierte, "ein ,G’selchter‘, wie das Publikum von den ,enteren‘ Gründen sagte. 'Lintsch' legte nicht auf elegantes Spiel Gewicht, sondern auf wirkungsvolles Spiel, und dabei kam es ihm auf einige 'Foul' mehr oder weniger nicht an." Dass der gelernte Baupolier nicht den feinen Kreisen aus der Döblinger Cottage zuzurechnen war, konnte man 1913 auch dem Illustrierten Sportblatt entnehmen. Nach zahlreichen groben Fouls im Spiel gegen die Amateure (die spätere Austria) habe das Publikum "in heftiger Weise" gegen ihn Stellung genommen, "doch deutete Lintsch wiederholt durch die Gebärde des Aufhängens an, dass ihn dies wenig geniere".

Bauleiter

Dabei war Lenczewski zu diesem Zeitpunkt bereits seit drei Jahren mit Josefine verheiratet, Tochter aus gutbürgerlichem jüdischem Haus. Schwiegervater Edmund Kiesler war Privatlehrer und befreundet mit Engelbert Pernerstorfer, neben Victor Adler einer der legendären Parteiführer der Sozialdemokratie. Und auch seine "Pepschi" wusste sich in der Zuckerlfabrik, in der sie als Büroangestellte arbeitete, für die Rechte der Frauen einzusetzen, ab 1919 auch in der Partei.

Als ihr Mann 1916 mit angegriffenem Herz aus dem Krieg heimkehrte, versuchte er sich noch einmal bei der Vienna, 1920 hielt der Klub aber eine viel wichtigere Rolle für den Neo-Funktionär bereit. Edi Schönecker, der für Rapid, den Klub seines Bruders Dionys, schon mit dem Bau der Pfarrwiese geübt hatte, entwarf für die Vienna eine gigantische, 80.000 Menschen fassende Naturarena, die Lenczewski als Bauleiter in die Realität umsetzte.

Als die Hohe Warte am 19. Juni 1921 feierlich eröffnet wurde, erholte sich ihr Schöpfer bereits als Trainer in Italien von den Strapazen auf dem Bau. Während er in der ersten Hälfte der 1920er der Reihe nach Sampierdarenese (Genua), Mantua und Forli betreute, übte sich seine Ehefrau als Rednerin in Döblinger Parteilokalen und Bildungseinrichtungen, trieb vor allem "unter den Hausgehilfinnen in den Villen des Nobelbezirkes ihre stille und erfolgreiche Werbearbeit für den Sozialismus" voran, wie die Frauenzeitschrift Die Unzufriedene schrieb. Josefine Lenczewski kletterte in der Parteihierarchie und zog schließlich im November 1933 als eine von 14 Frauen der SDAP (Sozialdemokratische Arbeiterpartei) in den Gemeinderat des immer noch roten Wien ein.

Der letzte Tag

Als sich vier Monate später, am 12. Februar 1934, die politischen Auseinandersetzungen im autoritären Ständestaat des Engelbert Dollfuß in den Februarkämpfen entzündeten, war das auch der letzte Tag im Leben des Heinrich Lenczewski, der gerade einmal 51-jährig einem Schlaganfall erlegen sein soll, wie es in den spärlichen Nachrufen hieß.

Als Ehemann einer Gemeinderätin war er vermutlich relativ gut und schnell informiert über die ersten Schüsse in Linz, den Generalstreik in Wien, die Auflösung des Wiener Gemeinderats und die Inhaftierung von Bürgermeister Karl Seitz, die ihn wohl um seine Frau bangen ließ. Das dürfte zu viel gewesen sein für den kranken Mann, der laut Totenbeschaubefund an "Herzkranzschlagaderverkalkung, Herzmuskelentartung und Herzlähmung" starb und um 19 Uhr in der Gymnasiumstraße 64 tot aufgefunden wurde. Zu einem Zeitpunkt, als in Wien der Republikanische Schutzbund der Sozialisten und die Heimwehr schon aufeinander schossen.

Dort, neben der Adresse des Sterbeortes, steht auch das Wort "Dachboden", das Spielraum für allerlei Spekulationen lässt. Was hat er auf dem Dachboden eines Wohnhauses, das nicht das seine war, gemacht? Hat er dort seine Frau versteckt? Gab es dort gar eine Stellung des Schutzbundes? Womöglich haben ihn auch die Bewegungen der Heimwehr Richtung "seiner" Hohen Warte, die er von da oben verfolgt haben könnte, derart mitgenommen, dass er nicht mehr erlebt hat, wie am nächsten Tag von der Anlage, die er mit eigenen Händen geschaffen hat, mit Kanonen auf den Karl-Marx-Hof geschossen wurde.

Die letzten Jahre

Am 16. Februar wurde die Leiche Heinrich Lenczewskis in der Feuerhalle Simmering eingeäschert. Seine Witwe durfte der Einäscherung noch beiwohnen. Danach wurde sie inhaftiert. Wie sie als Jüdin die Jahre nach 1938 verbrachte, ist nicht bekannt. Josefine Lenczewski starb am 7. April 1941 an einer Darmerkrankung. Im Rothschildspital, dem einzigen Krankenhaus, in dem jüdische Ärzte jüdische Patienten noch behandeln durften. Ihre letzte Adresse war eine Sammelwohnung für Juden in der Lichtenfelsgasse 5, neben der heutigen ÖVP-Zentrale. Die Transporte in die Vernichtungslager sind ihr erspart geblieben. Ihren zwei Brüdern nicht. Sie wurden 1943 in Auschwitz ermordet. (Horst Hötsch, 12.2.2024)