Im Zusammenhang mit Plänen für eine israelische Offensive gegen mutmaßliche Hamas-Bastionen im Süden des Gazastreifens berichtet das "Wall Street Journal" von einem bisher nicht offiziell vorgestellten Hilfs- und Evakuierungsplan für innerhalb des Gazastreifens vertriebene Menschen.

Diese waren seit Beginn der israelischen Offensive im vergangenen Oktober zu Hunderttausenden zuerst vom dichtbesiedelten Norden rund um Gaza-Stadt in den mittleren Teil des rund 40 Kilometer langen Gebiets, rund um den Wadi Gaza, geflüchtet.

Ein improvisiertes Flüchtlingslager im Gazastreifen, an der Grenze zu Ägypten.
Ein improvisiertes Flüchtlingslager im Gazastreifen, an der Grenze zu Ägypten.
EPA/HAITHAM IMAD

Als die israelischen Militäroperationen sich von Gaza-Stadt weiter Richtung Süden verlagerten, mussten sie neuerlich fliehen. Nun halten sich über eine Million Menschen in und um Rafah im äußersten Süden des Gazastreifens auf. Weiter können sie nicht, denn Ägypten erlaubt den palästinensischen Flüchtlingen nicht den Grenzübertritt.

Kritik der USA

Schon in den vergangenen Wochen haben internationale Vermittler, vor allem die US-Regierung unter Präsident Joe Biden, Israel dazu aufgerufen, seine Offensive zu stoppen, um eine humanitäre Katastrophe zu verhindern. Doch der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu will davon in dieser Form nichts wissen: Die oberste Priorität für die Israel Defence Forces (IDF) sei die Zerschlagung, die Vernichtung der Hamas. Und deren Führung habe sich – so sie noch nicht getötet worden sei – mit der Verschiebung des Kampfgeschehens ebenfalls in den Süden abgesetzt. In Rafah habe sie eine der letzten Hochburgen – inmitten hunderttausender unschuldiger Flüchtlinge.

Israel schlägt nun laut "Wall Street Journal" – bisher inoffiziell – eine Umsiedlung hunderttausender binnenvertriebener Palästinenser und Palästinenserinnen innerhalb des Gazastreifens vor. Finanziert werden soll dieses Vorhaben von den USA und deren Partnern unter den arabischen Golfstaaten, so die US-Zeitung. Netanjahu signalisiere auf diese Weise Biden, seine Warnungen nicht einfach in den Wind zu schlagen.

Der US-Präsident hat mehrfach – zuletzt am Montag – gefordert, eine israelische Militäroperation in Rafah dürfe nicht ohne "glaubwürdigen Plan zur Gewährleistung der Sicherheit und Unterstützung von mehr als einer Million Menschen, die dort Zuflucht gefunden haben", stattfinden.

Wie sieht der Plan aus?

Der Evakuierungs- bzw. Umsiedlungsplan sieht die Errichtung von bis zu 15 Zeltstädten mit jeweils rund 25.000 Einheiten vor. Unter der Annahme, dass in jedem Zelt vier Personen untergebracht werden, würde so Unterkunft für 1,5 Millionen Menschen geschaffen, zitiert das "Wall Street Journal" namentlich nicht genannte ägyptische Verhandler. Ägypten soll dem Bericht zufolge übrigens selbst seinen Teil beitragen: Es wäre für die Errichtung der Lager und für die Feldlazarette zuständig. Ägypten würde in Abstimmung mit Israel auch entscheiden, ob und welche verwundeten Palästinenser den Gazastreifen verlassen können, zitiert das "Wall Street Journal" ägyptische Verhandler.

Das wohl größte Zeltlager würde sich über dutzende Kilometer entlang der Al-Rashid-Küstenstraße erstrecken – also im äußersten Westen des Gazastreifens, de facto direkt am Strand.

Am südlichen Ende dieser Strecke liegt Al Mawasi. Das Dorf wurde bereits Mitte Oktober 2023, also in der Anfangsphase der israelischen Bodenoffensive, als "sichere Zufluchtsstätte" innerhalb des Kriegsgebiets bezeichnet. Es bietet Richtung Landesinneres zahlreiche brachliegende Flächen oder Äcker, die offenbar für die Zeltstädte verwendet werden sollen.

Im nördlichen Bereich des Gazastreifens soll das Areal rund um den ehemaligen Vergnügungspark Sharm verwendet werden. Es handelt sich dabei um eine kilometergroße Brach- und Ackerfläche im Südwesten von Gaza-Stadt.

Auf die Frage nach einer Evakuierungsaktion hieß es von UN-Sprecher Stéphane Dujarric, die Vereinten Nationen würden "bei einer erzwungenen Vertreibung von Menschen nicht mitmachen". Aktuell gebe es "keinen sicheren Ort im Gazastreifen".

Südafrika geht vor Gericht

Alarmiert ist auch Südafrika, das ja schon bisher mit einer Klage vor dem Internationalen Strafgerichtshof ICC eine Einstellung der Kämpfe erwirken wollte. Wegen der angekündigten Rafah-Offensive erneuerte Pretoria nun die Aufforderung.

Weit über eine Million Menschen drohen also aktuell zwischen den Interessen dreier Kräfte zerrieben zu werden: der Hamas-Führung, die inmitten dieser Menschen selbst Schutz sucht, um weiter operieren zu können; Israels, das die Terrororganisation erklärtermaßen vernichten will; und Ägyptens, das auch erklärt hat, den Friedensvertrag mit Israel von 1979 auszusetzen, sollten die Palästinenser und Palästinenserinnen aus dem Gazastreifen von den IDF über die ägyptische Grenze getrieben werden.

Offizielle Reaktionen auf die vom "Wall Street Journal" berichteten Pläne gab es vorerst nicht; weder die israelische noch die ägyptische Führung waren für die Zeitung zu Stellungnahmen bereit.

Kommt eine Waffenruhe?

Die Pläne werden zu einer Zeit bekannt, in der US-Präsident Biden, der am Montag (Ortszeit) den jordanischen König Abdullah II. im Weißen Haus empfangen hat, die Öffentlichkeit darüber informierte, dass die USA weiter an einem Deal zwischen Israel und der Hamas arbeiten, der eine "sofortige und anhaltende Ruhe im Gazastreifen für mindestens sechs Wochen" bedeuten würde. In dieser Phase sollten dann weitere Verhandlungen vorangetrieben werden, die eine dauerhafte Beendigung aller Kämpfe ermöglichen sollen.

Noch am Dienstag wird CIA-Chef William Burns neuerlich nach Kairo reisen und de facto auf Chefebene mit Vertretern von Israel, Ägypten und Katar weitere Gespräche über die Freilassung der verbliebenen Hamas-Geiseln führen. Burns war bereits vor wenigen Tagen für diesen Zweck nach Paris gereist. (Gianluca Wallisch, 13.2.2024)