Der "Falter" ohne Armin Thurnher ist möglich, aber kaum vorstellbar. Schon bei der Gründung der unbequemen Wochenzeitung aus Wien in den 70er-Jahren war er mit dabei. Später stieg er zum Chefredakteur und Herausgeber auf und prägte durch seine kritische Beobachtung des Politik- und Medienbetriebs das Blatt wie auch die öffentliche Debatte mit. Am Mittwoch, 21. Februar, wird Thurnher 75 Jahre alt. Genug hat er immer noch nicht, ist das Schreiben doch zu seinem Leben geworden. An Angriffslust mangelt es ihm ebenso wenig, bestätigt er im Interview.

Angriffslustig:
Angriffslustig: "Falter"-Herausgeber Armin Thurnher.
Angriffslustig: "Falter"-Herausgeber Armin Thurnher.
APA Hans Klaus Techt

"Müssen streiten lernen"

Mit seinen Worten, die er in Kommentare, seine über 1.200 Ausgaben zählende "Seuchenkolumne" oder auch Bücher gießt, kämpft Thurnher gegen eine in seinen Augen Krise des öffentlichen Gesprächs an. "Ja, wir müssen streiten lernen", sagte der Journalist vor mehreren Jahren. Denn es habe sich eine Streitvermeidungskultur etabliert. Zugleich würden die sozialen Netzwerke den Nährboden für einen neuen Irrationalismus schaffen, während die gesamte politische Kommunikation in der Zeit unter Sebastian Kurz (ÖVP) als Bundeskanzler zerstört worden sei. Auch mit Blick auf die Medienpolitik, die er einst als "Jahrzehnte dauernde Katastrophe" bezeichnete, ist Thurnher unglücklich. Eine vielfach von ihm kritisierte Verquickung von Politik und Boulevardmedien blieb über die Jahre weitgehend unangetastet.

Für das gegenwärtige überschaubare Vertrauen in Journalismus macht der Journalist aber auch Qualitätsmedien mitverantwortlich. Diese seien nach seinem Befund zu intransparent und oft auch zu dürftig, um das Renommee zu rechtfertigen, das sie für sich beanspruchen, meint er im APA-Interview. Dem "Falter" und seinen Redakteurinnen und Redakteuren attestiert er aber sehr gute Arbeit, wenngleich er sich jede Woche über etwas, das drinnen steht, ärgert – auch über Selbstgeschriebenes, zeigt sich Thurnher selbstkritisch: "Ich ärgere mich jede Woche über etwas, das drinnen steht – auch über das, was ich selber schreibe. So kritikfähig muss man sein. Ich finde aber, sie machen es sehr gut und professioneller, als meine Generation es je machen konnte. Der 'Falter' hat sehr gute junge Leute und ist auch viel weiblicher geworden."

"Schillernd und unberechenbar"

Mit dem linksliberalen Blatt wolle er unvoreingenommenen und gut geschriebenen Journalismus liefern. Die erste Ausgabe erschien 1977 als Versuch, einer "verpanzerten" Öffentlichkeit ein alternatives Forum entgegenzusetzen. Thurnher fungierte neben Walter Martin Kienreich als Gründer. "Wir waren am Anfang eine kulturorientierte, politisch ziemlich radikale Zeitung, die sich mit dem Angebot, über die Veranstaltungsszene zu informieren, verkauft hat", erinnerte sich Thurnher. Man wollte wie der Schmetterling auf dem allerersten "Falter" "schillernd und unberechenbar" sein. Thurnher: "Auf dem Cover wollen wir linker Boulevard und im Heft eine linksliberale Qualitätszeitung sein."

Thurnher war zum Zeitpunkt der ersten Ausgabe des "Falter" 28 Jahre alt. Geboren wurde er am 21. Februar 1949 in Bregenz. Direkt nach der Matura zog es ihn nach New York, wo er für ein Jahr Anglistik und Amerikanistik studierte. Daraufhin machte er sich auf nach Wien, wo er ebenfalls Studien verfolgte, sich in den 70er-Jahren aber auch als freier Autor betätigte und etwa gemeinsam mit Heinz Rudolf Unger das Stück "Stoned Vienna" verfasste.

Gänzlich band der schließlich gegründete "Falter" seine Aufmerksamkeit selten. So lieferte er in seiner Karriere auch Artikel an "Die Zeit" oder die "Die Woche". Auch in der "Arbeiter-Zeitung" oder weiteren österreichischen Medien wie der "Presse" und der "Kleinen Zeitung" fanden sich Kommentare von ihm. Seine Hinwendung zum nicht kommerziellen Rundfunk entfaltete er bei Okto TV, wo er Gründungs- und Ehrenmitglied ist und immer wieder als Kritiker von Förderkürzungen für den Communitysender auftrat.

Zudem verfasste er im Lauf seiner Karriere eine ansehnliche Zahl Bücher – etwa "Schwarze Zwerge. Österreichs Medienlandschaft und ihre Bewohner" (1992), "Heimniederlage. Nachrichten aus dem neuen Österreich" (2000) oder in jüngeren Jahren "Anstandslos: Demokratie, Oligarchie, österreichische Abwege" (2023), womit er die Ära Kurz aufarbeitete. Seine Liebe zum Kochen fand in "Thurnher auf Rezept. Die besten Kochideen aus Visa Magazin, Magazin Complete und Falter" (2010) Eingang, während er die vielen von ihm gehaltenen Lobpreisungen wie auch verfassten Nachrufe in seinem jüngsten Werk "Preis und Klage" bündelte. Diese verfasste er als persönlichen Herausforderung, aber auch als Ehrerbietung an die Gewürdigten in Hexametern.

Zerschlagung und Feschismus

2012 übernahm Thurnher die Herausgeberschaft des "Falter". Den Journalisten Florian Klenk machte er neben sich zum Chefredakteur. Bis wenige Jahre danach – konkret 2014 – schloss Thurnher jeden seiner Leitartikel mit: "Im Übrigen bin ich der Meinung, der Mediamil-Komplex muss zerschlagen werden." Damit bezog er sich auf die Eigentümerverstrickung der Mediaprint mit der News-Gruppe. Er stellte den Zusatz ein, weil er mittlerweile ein globales Monopolproblem ortete.

Als weitere Wortschöpfung kann Thurnher den "Feschismus" vorbringen – ein Mix aus den Wörtern fesch und Faschismus, der mit Blick auf Jörg Haider entstand. Der frühere FPÖ-Bundesparteiobmann habe fortwährend mit Anspielungen auf den Nationalsozialismus kokettiert und sich zugleich das Image eines Popstars gegeben, wobei der Popstarkult sehr mode- und körperbetont gewesen sei, erklärte Thurnher einst. Zum 25-Jahr-Jubiläum des Begriffs hielt Thurnher kürzlich in seiner "Seuchenkolumne" fest, dass ihm dieser Begriff heute nicht mehr einfallen würde. Denn zum gegenwärtigen FPÖ-Chef Herbert Kickl falle ihm "Faschismus, glattes A-A-A" ein. 2017 bezeichnete er Ex-ÖVP-Chef Sebastian Kurz als "Neofeschist", woraufhin sich der Presserat damit befasste, aber letztlich kein Versäumnis darin sah.

Für seine Arbeit wurde Thurnher vielfach ausgezeichnet. Er erhielt 2001 den Kurt-Vorhofer-Preis, 2002 den Karl-Renner-Publizistikpreis für sein Lebenswerk. 2005 folgte der Concordia-Preis in der Kategorie Pressefreiheit, 2013 der Otto-Brenner-Preis für sein Lebenswerk. Für sein Gesamtwerk wurde ihm zudem 2016 der Bruno-Kreisky-Preis für das politische Buch verliehen.

An der Spitze des "Falter" sah er sich schon lange Zeit nicht als unersetzbar an. Aber: "Solange ich das Gefühl habe, dass ich gebraucht werde, bleibe ich dort", sagt er der APA. Und wenn er sich als Herausgeber dann doch einmal verabschieden sollte, wird wohl weiterhin von ihm zu lesen sein: "Es ist leider so, dass das Schreiben mittlerweile zu meinem Leben geworden ist. Davon lässt sich kein Abschied nehmen. Solange es einigermaßen vernünftig funktioniert und mir keine Mitteilungen gemacht werden, dass ich es wegen zu deutlicher Senilität einstellen soll, solange werde ich weitermachen."

Hat er sich Gedanken über seine Nachfolge als Herausgeber beim "Falter" gemacht? "Solange ich das Gefühl habe, dass ich gebraucht werde, bleibe ich dort. Als Chefredakteur habe ich bei alljährlichen Besinnungstagen Zettel mit der Frage, ob ich bleiben oder gehen soll, verteilt. Die waren anonym, und trotzdem haben immer 100 Prozent gesagt, ich solle bleiben. Daraus habe ich den Schluss gezogen, dass ich ein schlechter Chef bin, weil zu gutmütig und zu beliebt. Ich habe mit den Umfragen aufgehört. Ich verlasse mich jetzt auf mein Gefühl."

Armin Thurnher über ...

O-Töne aus einem Interview mit Armin Thurnher, das APA-Medienredakteur Lukas Wodicka gerade mit dem "Falter"-Herausgeber führte:

... das Klima für unabhängigen Journalismus

"Es ist nicht nur rauer geworden. Es ist ein gesellschaftliches Problem, dass diese Art, sich der Wahrheit anzunähern, von gewissen gesellschaftlichen Kräften angegriffen wird. Ich denke hier nicht nur an die politisch extreme Rechte, die Desinformation zu ihrem Prinzip erhoben hat. Mechanismen der Digitalwirtschaft rücken mit ihren Algorithmen in den Vordergrund, was Aufsehen erregt. Die Wahrheit ist aber oft langweiliger, komplizierter und erfordert Geduld."

... Journalismus in einer Vertrauenskrise

"Die Vertrauenskrise existiert, aber nicht nur, weil es Verhaberung gibt – die gibt es in einem kleinen Land leider immer. Der Qualitätsjournalismus selbst ist nicht transparent genug. Er steht oft auf der Seite der Mächtigen, ohne zu erklären warum. Oft ist er auch zu dürftig, um das Renommee zu rechtfertigen, das er für sich beansprucht. Man muss überlegen, wie man die Gesellschaft weiterbringt. Mit Aufdeckerjournalismus sicher, aber auch, indem man einen Strang intellektueller Debatten mitgestaltet, der eine kritische Auseinandersetzung mit Politik und gesellschaftlichen Entwicklungen möglich macht. Das ist die Aufgabe von Journalismus."

... die dramatische wirtschaftliche Lage der Medien

"Es ist dramatisch. Den Leuten ist immer noch nicht bewusst, dass sie im Digitalbereich, wo die scheinbare Gratiskultur herrscht, mit ihren Daten teuer bezahlen. Auch die Finanzierung von Medien durch Werbung war meiner Meinung nach immer ein Problem. Sie hat stets für Grauzonen gesorgt und zum Glaubwürdigkeitsproblem beigetragen, weil das Publikum spürt, dass Dinge durchaus durch finanzielle Interessen gesteuert werden. Es gibt in Österreich kaum mehr Werbung, die geschaltet wird, ohne dass damit Geschichten verbunden sind. Wir beim 'Falter' zahlen den Preis dafür, dass wir das nicht machen und deswegen viel Werbung nicht bekommen."

Um den "Falter" sei es wirtschaftlich "gut bestellt, weil wir aufgrund der von uns aufgedeckten Skandale bei den Abos und im Verkauf so zugelegt haben, dass wir uns das zubilligen können". Eine Koalition aus FPÖ und ÖVP würde dem "Falter" nützen, erwartet Thurnher, "weil unsere Abo-Zahlen dramatisch steigen würden. Wenn ich gegen die FPÖ oder gegen eine blau-schwarze Koalition schreibe, bin ich der Feind meines eigenen Geldes. Und trotzdem werde ich es tun."

... blau-schwarze Zerschlagungsgefahr für den ORF

"Die FPÖ ist dezidiert an der Zerschlagung des ORF interessiert. Die ÖVP hat unter Sebastian Kurz gezeigt, dass sie der Schwächung des ORF nicht abgeneigt ist. Kriegen sie den ORF klein, wäre das in jeder Hinsicht fatal. Der ORF ist viel mehr als ein Nachrichtenmedium. Der ganze Kunst- und Kulturbereich wäre ohne den ORF eines wesentlichen Standbeins beraubt. Der FPÖ unterstelle ich, dass sie Medien durch Propaganda ersetzen will. Und die ÖVP will Medien durch Profit ersetzen, merkt aber nicht, dass es letztlich auf dasselbe hinausläuft. Die Idee des Öffentlich-rechtlichen und die Idee des Qualitätsjournalismus haben viel miteinander zu tun. Sie sind wesentlich mit Demokratie verbunden. Die Möglichkeit fairer, unbeeinflusster Kommunikation bildet die Grundlage für vernünftige Entscheidungen und gerechte Wahlen. Ist diese Möglichkeit weg, ist auch die Demokratie weg. Nicht von ungefähr haben illiberale Regime wie in Ungarn oder Polen immer zuerst den öffentlich-rechtlichen Rundfunk versucht auszuradieren oder tatsächlich ausradiert. Daher muss man sich um den ORF Sorgen machen und sich für ihn einsetzen – trotz seines aktuellen Zustands und seiner aktuellen Führung."

... den "Falter"

"Der 'Falter' ist so frisch wie je. Es ist eine ganz andere Generation am Werk, die neue Qualitäten hinzugebracht hat, ohne dass das Alte verschwunden wäre. Wir waren am Anfang eine kulturorientierte, politisch ziemlich radikale Zeitung, die sich mit dem Angebot, über die Veranstaltungsszene zu informieren, verkauft hat. Es gibt nach wie vor ein sehr starkes Bedürfnis nach diesem Angebot. Insgesamt sind wir offen für Veränderungen und kritisch im Sinne einer aufklärerischen Haltung, die eine demokratische Gesellschaft verteidigen will. Mehr an Aktualität braucht es nicht."

... Chefredakteur Florian Klenk

"Er ist das große Zugpferd, aber bei weitem nicht das einzige. Man muss ihm zugutehalten, dass er um die Gefahren der sozialen Medien weiß. Er leidet sehr unter deren Mechanismen, nutzt aber die Stärke, die er dort hat, für das eigene Medium."

... gezielte Provokation

"Auf dem Cover wollen wir linker Boulevard und im Heft eine linksliberale Qualitätszeitung sein. Das bringt mit sich, dass man aneckt. Es ist ja nicht so, dass man diese verlogene Partie, aus der die österreichische Medienlandschaft weitgehend besteht, ungeschoren davonkommen lässt. Von der ersten Ausgabe an haben wir Medienkritik gemacht. Dass das früher nicht größere Skandale gemacht hat, war unserer geringen Bekanntheit geschuldet. Wir greifen aber keine Persönlichkeitsrechte an. Das gehört zu seriösem Journalismus dazu – wie auch eine gewisse Angriffslust und die Verpflichtung, Kritik nicht so sehr in Watte zu packen, dass man nicht mehr merkt, dass es Kritik ist." (APA, 14.2.2024)