Luftaufnahme, Boden des Amazonas-Regenwalds in Brasilien brennt und qualmt über die Baumwipfel hinweg, Menschen versuchen, den Brand zu löschen
Ein illegaler Brand wird im brasilianischen Regenwald bekämpft. Selbst einzelne Feuer und Dürren können Auslöser der Savannenbildung sein.
AFP/MICHAEL DANTAS

Klimastress wird weltweit sichtbar – als Dürre, Höchsttemperaturen an Land und im Meer und häufigere Extremereignisse. Je größer die Belastung, desto eher verstärken sich diese nachteiligen Effekte: Ökosysteme werden weniger resilient, Arten können sich nicht schnell genug an den Wandel anpassen. Eine neue Studie im Fachjournal "Nature" hat sich mit einem wichtigen Klimapfeiler befasst, dem Amazonas-Regenwald. Laut den Ergebnissen der Analyse könnte er schon 2050 einen Kipppunkt erreichen. Denn zehn bis 47 Prozent der Amazonaswälder dürften dann unter gewaltigem Wasserstress leiden, der zum Kollaps dieses Ökosystems führen kann.

Für diesen Wasserstress sorgen fünf Faktoren, die das internationale Forschungsteam mit Beteiligung des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) und der Technischen Universität München berücksichtigt hat:

"Unsere Beweise zeigen, dass steigende Temperaturen, extreme Dürreperioden und Brände die Funktionsweise des Waldes beeinträchtigen und die Baumarten verändern können, die sich in das Waldsystem integrieren", sagt Studienautorin Adriane Esquivel-Muelbert von der beteiligten Universität Birmingham in Großbritannien.

Vom Wald zur Savanne

"Weil Regenwälder die Luft mit viel Feuchtigkeit anreichern, die die Grundlage für die Niederschläge im Westen und Süden des Kontinents bildet, kann der Verlust von Wald an einem Ort den Verlust von Wald an einem anderen Ort nach sich ziehen", erläutert ihr Kollege Boris Sakschewski vom PIK. Das führe zu sich selbst verstärkenden Rückkopplungseffekten – und im Extremfall zum sogenannten Kippen des Systems. Die Konsequenz: Beinahe die Hälfte des Amazonas-Regenwalds könnte sich in savannenartige Vegetation verwandeln.

Luftaufnahme eines Motorboots, das zwischen Bäumen über Wasser fährt
Hochwasser am Fluss. Der Wasserhaushalt Südamerikas könnte durch den Wandel des Regenwalds empfindlich gestört werden.
André Dib

Als Auslöser sind einzelne Dürren und Waldbrände vorstellbar, beides kommt immer häufiger vor. Damit wäre die gesamte Region als wichtige Kohlenstoffsenke bedroht. Derzeit entspricht der dort gespeicherte Kohlenstoff 15 bis 20 Jahren an Treibhausgasemissionen. Der kombinierte Effekt der Stressfaktoren könne aber zu einem bedrohlichen Kipppunkt führen, an dem der Wald derart empfindlich wird, dass schon kleinste Störungen eine abrupte Veränderung in seinem Zustand hervorrufen können. Auch lokale Folgen der Klimakrise dürften durch eine solche massive Veränderung schlimmer ausfallen, und fehlende Feuchtigkeit würde in weiten Teilen Südamerikas für weniger Regen sorgen.

Opportunistischer Bambus

Das Team um Erstautor Bernardo Flores von der Universidade Federal de Santa Catarina im brasilianischen Florianópolis zog für die Analyse Daten von Klimamodellen, Satellitenaufzeichnungen seit den 1980er-Jahren und Paläodaten der vergangenen 65 Millionen Jahre heran. Die beobachteten Effekte, die sich gegenseitig verstärken, können starke Veränderungen des Ökosystems bewirken – selbst in Zonen, die bislang als widerstandsfähig galten, etwa die feuchten Wälder des westlichen und zentralen Amazonasgebiets.

Zwar sind die Waldteile vielleicht noch in der Lage, sich etwa von einem Waldbrand zu erholen. Sie seien dann aber in einem degradierten Zustand, heißt es in einer Aussendung der beteiligten Universität Birmingham. Dann werden sie von opportunistischen Pflanzen dominiert, etwa von Bambus und Lianen. Das kann die Biodiversität nachhaltig schädigen. Der Amazonas-Regenwald allein macht zehn Prozent der Biodiversität der Erde aus. Der rapide Rückgang der Artenvielfalt schwächt weltweit Biome und Nahrungsnetze, mit kaum absehbaren Folgen für alle Lebewesen.

Waldbrandschneise im brasilianischen Regenwald
Knapp die Hälfte des Ökosystems Amazonas-Regenwald könnte 2050 kollabieren. Ein Teil ist bereits jetzt von einer Kohlenstoffsenke zur Kohlenstoffquelle geworden.
REUTERS/Leonardo Benassatto

Klimaforscher wie Joachim Schellnhuber sehen den Amazonas-Regenwald als einen jener Kipppunkte, die wir am frühesten erreichen dürften. "Was uns die größten Sorgen bereitet, sind wechselwirkende Kippelemente mit Rückkopplungsprozessen", sagt der neue Leiter des IIASA in Laxenburg bei Wien im STANDARD-Gespräch. So kommen zu den menschengemachten Emissionen an Treibhausgasen auch noch immense natürliche Emissionsquellen hinzu. "Schwerwiegende Rückkopplungseffekte könnten sich etwa durch den Verlust der tropischen Regenwälder sowie durch das Auftauen der Permafrostböden und der Methaneis-Vorkommen auf den Kontinentalschelfen ergeben."

Maßnahmen für mehr Resilienz

Für Flores und sein Team zeigt die Arbeit klar, dass man hier Vorsichtsmaßnahmen treffen müsste, um den Amazonas-Regenwald resilienter zu machen. Dazu gehört vor allem das Ende der Entwaldung. Zugleich müsste das Wiederaufforsten des Regenwaldes gefördert werden, der dann wieder mehr CO2 aus der Atmosphäre holen könnte als jetzt. Studien aus Südostasien deuten jedoch darauf hin, dass einmal gerodeter Wald nicht mehr genauso aufgebaut werden kann wie zuvor. "Das südöstliche Amazonasgebiet hat sich bereits von einer Kohlenstoffsenke zu einer Kohlenstoffquelle gewandelt", sagt Sakschewski. Das bedeutet, das es mehr Kohlenstoffdioxid in die Atmosphäre abgibt, als es aufnimmt. "Der derzeitige Druck, der von Menschen erzeugt wird, ist zu groß, als dass die Region ihren Status als Regenwald auf lange Sicht beibehalten könnte."

Noch trägt der Amazonas-Regenwald insgesamt zu einem kühlenden Effekt auf die Erde bei und stabilisiert somit das Klima, doch das könnte sich ändern. Je stärker er geschädigt wird, desto eher schwächt sich dieser Effekt ab, sodass es dann noch wärmer wird. Das Forschungsteam plädiert abgesehen vom lokalen Waldschutz aber auch für globale Maßnahmen wie niedrigere Emissionen und das Ablösen fossiler Rohstoffe als Energieträger. Klimaexpertinnen und -experten weltweit sind sich einig: Je früher weitgreifende Maßnahmen getroffen werden, desto besser. (Julia Sica, 14.2.2024)