Gewalt in der Familie betrifft überwiegend Frauen und Kinder. Um sie zu verhindern, setzt man in Wien auf die Zusammenarbeit zwischen Polizei, Justiz und privaten Organisationen.
IMAGO / Jesus Merida

Wien – Es ist kein Zufall, dass die Wiener Polizei, das Gewaltschutzzentrum Wien und der Bewährungshilfeverein Neustart just am Valentinstag zu einem Pressegespräch zum Thema "Gewalt in der Privatsphäre" (GIP) ins Dachgeschoß der Landespolizeidirektion am Schottenring laden. Denn: "Auch am Valentinstag werden wieder Betretungsverbote verhängt und Gefährder kontaktiert", erklärt Nicole Krejci, Geschäftsführerin des Gewaltschutzzentrums. Aus diesem Grund wollen die drei Organisationen berichten, was sie unternehmen, um Opfern von häuslicher Gewalt zu helfen und die Täterinnen und Täter aus der Aggressionsspirale zu bringen.

Zwischen 350 und 360 Betretungsverbote werden in der Bundeshauptstadt jeden Monat von der Polizei ausgesprochen, erläutert Nina Lepuschitz, Leiterin des im Oktober ins Leben gerufenen Pilotprojekts Opferschutzzentrum im Landeskriminalamt. Die Maßnahme bedeutet nicht nur, dass der oder die Verdächtige die Wohnung verlassen muss, gleichzeitig muss sich die Person zwei Wochen lang mindestens 100 Meter von den Betroffenen fernhalten und erhält automatisch ein Waffenverbot.

Das sei aber nur der Anfang, seit Oktober 2021 müssen Gefährder – gut 88 Prozent sind Männer – auch verpflichtend eine sechsstündige Gewaltpräventionsberatung bei Neustart absolvieren. 9.000 Menschen mussten bisher dort erscheinen, wie Bewährungshilfe-Chef Nikolaus Tsekas referiert. Er wertet die Zahl aber auch als positives Zeichen, zeige sich doch, dass es gelungen sei, das Thema aus dem tabuisierten Bereich hervorzuholen. Die Gewaltbetroffenen wiederum werden von Einrichtungen wie dem Gewaltschutzzentrum aktiv kontaktiert, um die Situation und mögliche Lösungen zu besprechen.

Bis zu sieben Prozent Hochrisikofälle

Ziel der Kooperation der einzelnen Stellen ist es, ein möglichst umfassendes und realistisches Bild der Situation zu erhalten. Fünf bis sieben Prozent der Fälle werden als sogenannte Hochrisikosituationen, beispielsweise bei bevorstehenden Trennungen, bewertet, wo also eine umfangreichere Intervention und Betreuung notwendig ist. In diesen Fällen sind zu 98 Prozent Männer die Gefährder. Neustart-Leiter Tsekas gibt zu, dass die vorgeschriebenen sechs Stunden manchmal zu wenig sind, man habe aber mittlerweile ein enges Netzwerk auch mit anderen privaten und öffentlichen Einrichtungen geknüpft, um eine engmaschige Betreuung zu ermöglichen.

Dabei müsse immer auf den Einzelfall eingegangen werden, betont Krejci: "Wir wissen auch aus internationalen Erfahrungen, dass es für die Opfer am wichtigsten ist, dass es einen Gewaltstopp gibt und nicht unbedingt eine Verurteilung vor Gericht." Das sei auch der Grund, warum es immer wieder vorkomme, dass Betroffene vor Gericht von ihrem Recht auf Aussageverweigerung gegen Familienangehörige Gebrauch machen, was dann meistens zu einem Freispruch führt. "Wir bemühen uns, auf die Opfer einzuwirken", sagt die Geschäftsführerin des Gewaltschutzzentrums. Es gäbe aber Konstellationen, wo das schwierig sei, weiß sie. "Das klassische Beispiel ist die Mutter mit einem schizophrenen Sohn, die sechsmal die Polizei ruft, wenn er gewalttätig wird, aber nicht will, dass er ins Gefängnis kommt."

Man bemühe sich in der Zusammenarbeit mit der Exekutive aber auch zu überlegen, welche Möglichkeiten es bereits im Ermittlungsverfahren gibt, um Beweise zu sichern, die zu einer Verurteilung führen können, selbst wenn das Opfer schweigt. Tsekas wiederum warnt davor, den Opfern Schuld zuzuweisen, wenn sie von ihrem Recht auf Aussageverweigerung Gebrauch machen. Einen Lösungsansatz für die Problematik sieht er in der Möglichkeit, im Rahmen einer Diversion einen außergerichtlichen Tatausgleich zu vereinbaren. "Das ist eine Möglichkeit, als Staat nicht reaktionslos zu bleiben", sagt er und zeigt sich davon überzeugt, dass eine Verurteilung nicht immer das beste Mittel ist.

Polizeiliche Maßnahmen

Für die Exekutive verweist Lepuschitz auf drei Maßnahmen: Seit 2021 seien speziell geschulte Beamtinnen und Beamten im sogenannten GIP-Support im Einsatz, die von ihren uniformierten Kolleginnen und Kollegen vor Ort angerufen werden und eine Risikoeinschätzung abgeben können, nachdem ihnen die Situation geschildert wird. Dabei hilft seit vergangenem Oktober auch eine im Innenministerium entwickelte Software, das Risk-Assessment-Tool. Damit kann anhand von auf wissenschaftlicher Erfahrung basierenden Parametern eruiert werden, ob ein Hochrisikofall vorliegt, der einer genaueren Beobachtung bedarf. Und schließlich sei ebenfalls im Oktober das Opferschutzzentrum im Assistenzdienst des Landeskriminalamts eingerichtet worden. Vorerst bis März, ob das Projekt erfolgreich war und in den Regelbetrieb übernommen wird, habe die Polizeiführung aber noch nicht entschieden.

Bedarf wird es wohl weiter geben, denn die Polizei soll der erste Anlaufpunkt für Opfer von Gewalt sein. "Wichtig ist, dass jede und jeder Betroffene die Polizei rufen soll", appelliert Tsekas an die Öffentlichkeit. So könne auch das Dunkelfeld weiter verkleinert werden, denn die Erfahrung zeige, dass es immer noch zu Verbrechen kommt, die eine Vorgeschichte haben, die aber den Behörden und Organisationen nicht bekannt war. (Michael Möseneder, 14.2.2024)