Im Osten der Türkei sind durch einen enormen Erdrutsch in einer offenen Goldmine mindestens neun, nach Angaben von Experten aber bis zu 50 Bergarbeiter verschüttet worden. Da das Gold in der Mine mithilfe einer Cyanid-Lauge aus dem Gestein gewaschen wird, droht der abgerutschte Cyanid-haltige Abraum nun das Wasser der gesamten Region zu verseuchen.

Eine Luftaufnahme der Goldmine in in Ilic in der Provinz Erzincan.
Eine Luftaufnahme der Goldmine inİliçin der Provinz Erzincan.
AFP/DHA (Demiroren News Agency)/

Die Çöpler-Goldmine liegt in den Bergen unweit des Oberen Euphrat bei der Kleinstadt İliç, in der Nähe der Provinzhauptstadt Erzincan. Rund zehn Millionen Kubikmeter Abraum kamen am Dienstagnachmittag am Rand der Mine ins Rutschen und fluteten sowohl einen Teil der oberirdischen Mine als auch die Hänge unterhalb der Mine.

Giftige Lauge

Die Mine ist im Wesentlichen ein riesiges Loch von der Größe von 200 Fußballfeldern, das bis zu 1.200 Meter tief reicht. Das in der Mine abgebaute Gestein wird zerkleinert, und dann wird das Gold mithilfe einer Cyanid-Lauge aus dem Gestein gewaschen. Die Lauge wird in einem Rückhaltebecken aufgefangen, der verarbeitete Abraum wird hingegen rund um die Mine aufgeschichtet. Dieser Abraum war offenbar schlecht gesichert und rutschte jetzt, wie auf Handyvideos von Minenarbeitern zu sehen ist, sowohl außen den Berg hinab als auch in die Mine hinein. Dabei riss die Lawine alles mit, was ihr im Weg war. Auf einem Video ist zu sehen, wie Container und ein Lkw unter der Lawine begraben wurden.

Es dauerte, bis die abgelegene Mine von Rettungstrupps erreicht werden konnte, aber bis zum Abend waren dann rund 800 Mann Katastrophenschutz und Militär vor Ort, um nach den Verschütteten zu suchen. Die Rettungsarbeiten dauerten die ganze Nacht von Dienstag auf Mittwoch an. Um überhaupt eine Chance zu haben, unter der riesigen Geröllhalde womöglich noch überlebende Arbeiter zu finden, werden Geräte eingesetzt, die nach Wärmequellen unter dem Schutt suchen.

Offiziell ist von neun vermissten Arbeitern die Rede, Vertreter der Gewerkschaft und der Ingenieurs- und Bergwerkskammer befürchten jedoch, dass bis zu 50 Arbeiter unter dem Schutt begraben wurden. Umweltschützer und Bergwerksingenieure befürchten außerdem, dass der Cyanid-haltige Abraum das Wasser der Region verseuchen könnte – und falls er bis zu dem nur 600 Meter entfernten Euphrat gelangt, würde er das gesamte Flusssystem bis nach Syrien und Irak verunreinigen.

Der Vorsitzende der Bergbaukammer von Izmir, Aykut Akdemir, sagte, das Wasser des Euphrat würde die giftige Fracht bis nach Basra tragen, wo der Fluss in den Persischen Golf mündet. In den sozialen Medien wurden die Bewohner der Region aufgefordert, kein Wasser mehr aus den Wasserleitungen zu nutzen. Der an den Ort des Unglücks geeilte Gouverneur Hamza Aydoğdu wiegelte zwar sofort ab – doch selbst das Umweltministerium gab am Mittwoch bekannt, dass ein kleiner Fluss nahe der Mine abgesperrt worden sei, um so zu verhindern, dass auch der Euphrat kontaminiert wird. Von den verschütteten Arbeitern wurde bis Mittwochnachmittag niemand gefunden. Die Staatsanwaltschaft hat Ermittlungen aufgenommen. Vier Personen wurden vorläufig festgenommen.

Großer Bergbaukonzern

Die Mine wird betrieben von der Firma Anagold Madencilik, die zu 80 Prozent der kanadischen SSR Mining und zu 20 Prozent der türkischen Çelik Holding gehört. Die kanadische Mutterfirma ist einer der größten Bergwerkkonzerne weltweit, die Holding ist ein mit der Regierung eng verbundener türkischer Großkonzern.

Die Goldmine, die zweitgrößte der Türkei, wird vom Staat de facto geschützt und konnte schon einmal vor zwei Jahren einen schweren Unfall politisch und wirtschaftlich nahezu unbeschadet überstehen. Damals platzte ein Rohr, das ein Cyanid-Gemisch führte. Giftwasser gelangte schon damals in großen Mengen in den Euphrat. Dennoch wurde die Lizenz nicht infrage gestellt, und nach einer dreimonatigen Unterbrechung konnte Anagold Madencilik weitermachen.

Gegen heftigen Widerstand von Umweltschützern genehmigte der damalige Umweltminister Murat Kurum, der zurzeit für das Amt des Oberbürgermeisters für Istanbul kandidiert, sogar danach noch den Ausbau der Mine um das Dreifache. Gegen diese Entscheidung wurde geklagt, die Klage ist immer noch bei Gericht anhängig.

Die Mine ist offenbar schon jetzt für die Betreiber sehr lukrativ: SSR Mining soll in den Jahren von 2020 bis 2023 ausweislich ihrer in Kanada vorgelegten Bilanz dort 334,6 Millionen Dollar Gewinn gemacht haben. Auch die Calik Holding soll an der Mine hervorragend verdient haben. (Jürgen Gottschlich aus Istanbul, 14.2.2024)