Die Warnung, mit der Mike Turner, republikanischer Vorsitzender des Geheimdienstausschusses des US-Repräsentantenhauses, am Mittwoch an die Öffentlichkeit ging, klang so kryptisch wie beunruhigend. Es bestehe eine "ernsthafte Bedrohung der nationalen Sicherheit" der USA, hieß es von ihm. Dass er damit nicht etwa seinen Parteigenossen Donald Trump meinte, der zuletzt Russland indirekt zu einem Angriff auf seine eigenen Verbündeten ermunterte, wurde wenig später klar. Präsident Joe Biden, ein Demokrat, möge zügig "alle Informationen bezüglich dieser Bedrohung" öffentlich zugänglich machen, forderte er.

Die Nachrichtenagentur Reuters lüftete das Geheimnis schließlich: Es gehe um neue Erkenntnisse zu russischen Atomwaffen. Die New York Times wurde wenig später noch konkreter: Moskau arbeite an neuen, nuklearen Waffen, die Satelliten im Weltraum zerstören können sollen. Auch einige US-Verbündete wurden über die neuen Erkenntnisse informiert. Fachleute halten die angebliche russische Superwaffe aber für wenig plausibel. Die Aufregung in den USA ist trotzdem groß. DER STANDARD beantwortet die wichtigsten Fragen.

Frage: Um welche Art von Waffen geht es genau?

Antwort: Soweit bisher bekannt, entwickelt Russland eine Waffe, die im Orbit eingesetzt werden soll und Satelliten angreifen kann, die die USA für die Kommunikation mit ihrem Atomarsenal verwenden. Ob es sich dabei um tatsächlich nuklear bestückte Raketen handelt oder um Raketen, die nuklear betrieben werden, ist ebenso unklar wie der Stand ihrer Entwicklung. Noch seien sie jedenfalls nicht in der Erdumlaufbahn, heißt es. CNN zufolge geht es jedenfalls nicht um Atomwaffen, die gegen Menschen eingesetzt werden könnten. Zwar hätten auch andere Länder ähnliche Systeme bereits getestet, wird der US-Forscher Hans Kristensen zitiert, Russlands Pläne stellten aber auf jeden Fall eine "Eskalation" dar – "egal, ob nuklear oder nicht". Auch wenn die Gefahr also womöglich noch lange nicht akut ist, müssen sich die USA und ihre Verbündeten offenbar auf eine neue Gefahr für ihre Sicherheit einstellen – von ganz oben.

Putin vor Satellitenmodell
Wladimir Putin will Russlands Militärmacht im Weltall stärken.
via REUTERS/SPUTNIK

Frage: Warum halten die USA sie für so gefährlich?

Antwort: Washington, so der Forscher weiter, würde "sehr kraftvoll" auf einen Angriff auf seine Satelliten reagieren, schließlich stellten diese einen "essenziellen" Teil der US-Atomwaffenfähigkeiten dar. Viel mehr, als zu reagieren, könnte die US-Armee aber ohnehin nicht tun, die notwendige Technologie, ihre Satelliten tatsächlich zu schützen, steht den USA laut der New York Times nämlich nicht zur Verfügung. Würde Russland tatsächlich Atomwaffen in die Erdumlaufbahn bringen, würde das Land einen viele Jahrzehnte alten Vertrag verletzen, den noch die Sowjetunion 1967 mit den USA geschlossen hat: Laut dem sogenannten Outer Space Treaty muss der Weltraum A-Waffen-frei bleiben. Um auf Angriffe auf Satelliten besser reagieren zu können, hatte die Nato bereits 2021 beschlossen, dass Angriffe aus oder im Weltraum künftig nach Artikel fünf zur kollektiven Verteidigung als Bündnisfall behandelt werden können – also so wie Angriffe am Boden oder im Luft-, See- oder Cyberraum.

Frage: Was sagen Fachleute zu dem angeblichen russischen Plan?

Antwort: Daryl G. Kimball, Vorsitzender des US-Thinktanks Arms Control Association (ACA), hält die Aufregung für übertrieben. "Man braucht keine Atomwaffen, um einen Satelliten im Orbit zu sprengen. Alle derartigen Objekte im Weltall sind so empfindlich, dass man sie mit viel weniger als einer nuklearen Detonation zerstören kann", wird er im britischen Guardian zitiert. Pavel Podvig vom Uno-Institut für Abrüstungsforschung sagte derselben Zeitung, er sei "sehr skeptisch", was die berichtete Bedrohung betreffe. "Es ist leider unmöglich, dieser Tage irgendetwas auszuschließen. Ich finde aber nicht, dass das plausibel ist."

Frage: Wie reagiert das offizielle Washington?

Antwort: Mit seiner alarmistischen Erklärung dürfte Turner das Weiße Haus auf dem falschen Fuß erwischt haben. Bisher hat US-Präsident Joe Biden die Berichte weder bestätigt noch dementiert. Bidens Nationaler Sicherheitsberater Jake Sullivan machte ebenfalls keine weitergehenden Angaben, kündigte allerdings noch für Donnerstag ein Treffen mit der sogenannten Gang of Eight an, den führenden Personen in Senat und Repräsentantenhaus. Der republikanische Mehrheitssprecher im "House", Mike Johnson, wiegelte jedenfalls erst einmal ab: "Kein Grund für Alarm."

Frage: Und was sagt Russland zu den Berichten?

Antwort: Der Kreml hat die US-Warnung postwendend als "bösartige Fälschung" zurückgewiesen. Man sei Zeuge eines Versuchs der US-Regierung, den Kongress zu weiteren Hilfen für die Ukraine und zur "Bekämpfung Russlands" zu bewegen, sagte Wladimir Putins Sprecher Dmitri Peskow am Donnerstag. Und: "Wir werden sehen, welche Tricks das Weiße Haus anwenden wird." (Florian Niederndorfer, 15.2.2024)