"Wir sind alle empört über das, was geschieht, über dieses Blutbad" – mit deutlichen Worten ließ Kardinalstaatssekretär Paolo Parolin am Dienstag am Rande eines Treffens mit der italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni und Außenminister Antonio Tajani aufhorchen. Der Vatikan habe das Massaker der Hamas vom 7. Oktober 2023 an israelischen Zivilisten und Zivilistinnen von Anfang an vorbehaltlos verurteilt und auch das Recht auf Selbstverteidigung Israels nie infrage gestellt. "Gleichzeitig fordere ich aber auch, dass dieses Recht auf Verteidigung, das zur Rechtfertigung des militärischen Vorgehens im Gazastreifen angeführt wird, verhältnismäßig sein muss – und das ist es bei 30.000 Toten sicherlich nicht", betonte Parolin. Bei demselben Treffen hatte auch Tajani von einer unverhältnismäßigen Reaktion Israels im Gazastreifen gesprochen.

Demonstranten am Petersplatz in Rom
Demonstranten auf dem Petersplatz in Rom.
AP/Andrew Medichini

Der israelische Botschafter am Heiligen Stuhl, Raphael Schutz, hat die Äußerungen Parolins – der Kardinal gilt als Chef der vatikanischen Diplomatie protokollarisch nach Papst Franziskus als Nummer zwei im Kirchenstaat – als "beklagenswert" bezeichnet. In einer Note bekräftigte Schutz die bekannte Haltung der israelischen Regierung von Benjamin Netanjahu, wonach die Schuld am Krieg "die Hamas und nur die Hamas" trage. Der Gazastreifen sei von der Organisation in das "größte Terroristencamp verwandelt worden, das die Welt je gesehen hat". Viele palästinensische Zivilisten hätten sich am Massaker beteiligt. Und: Bei der israelischen Militäraktion im Gazastreifen würden auf einen getöteten Terroristen drei tote Zivilisten kommen. Bei den Militäraktionen der Nato und der USA in Syrien, im Irak oder in Afghanistan seien jeweils "neun bis zehn" Zivilisten pro getöteten Terroristen ums Leben gekommen.

Die diplomatischen Beziehungen zwischen dem Vatikan und Israel sind mit dem Schlagabtausch vom Dienstag am Gefrierpunkt angelangt. Dies zeigt auch der eher ungewöhnliche Umstand, dass der Vatikan noch am selben Tag auf die Vorwürfe des israelischen Botschafters reagierte. Auf der Titelseite des "Osservatore Romano", der Zeitung des Kirchenstaats, betonte der vatikanische Mediendirektor Andrea Tornielli, dass die Opfer unter der Zivilbevölkerung nicht einfach als "Kollateralschaden" im Kampf gegen Terrorismus abgetan werden könnten, und forderte Israel auf, das "Gemetzel" zu beenden.

Es liegt auf der Hand, dass ein solcher Leitartikel nur mit dem Einverständnis von Papst Franziskus persönlich abgedruckt werden kann. Und damit ist auch klar, dass der Papst, der sich seit jeher für eine Zweistaatenlösung in Nahost einsetzt, ähnlich ungehalten über das israelische Vorgehen im Gazastreifen ist wie US-Präsident Joe Biden.

Bilateraler Eklat

Dass es wegen des Gazakriegs früher oder später zum diplomatischen Eklat zwischen dem Vatikan und Israel kommen würde, hatte sich schon länger abgezeichnet. Schon kurz nach dem Massaker vom 7. Oktober hatte Papst Franziskus Angehörige israelischer Geiseln und palästinensischer Gefangener gemeinsam im Vatikan empfangen – und sich damit von israelischer Seite dem Vorwurf ausgesetzt, sich in eine "kalte Gleichsetzung von Opfern und Tätern" zu flüchten. Später hatten israelische Regierungsvertreter den Lateinischen Patriarchen von Jerusalem, Kardinal Pierbattista Pizzaballa, ins Visier genommen, weil er eine humanitäre Feuerpause verlangt hatte. Und dass zwei christliche Frauen, die in einer katholischen Pfarre in Gaza Schutz gesucht hatten, Mitte Dezember bei einem israelischen Angriff ums Leben kamen, hat ebenfalls wenig zur Entspannung beigetragen.

Aufgrund des früheren jahrhundertelangen Antijudaismus in der katholischen Kirche, aufgrund der Ghettos und der Verfolgungen ist das Verhältnis zwischen den Juden und dem Vatikan historisch belastet. Hochrangige Vatikanvertreter betonen deshalb in diesen Tagen immer wieder, dass die gegenwärtige Krise in den diplomatischen Beziehungen keinesfalls auf einen Rückfall in dunkle Zeiten hindeute oder die Freundschaft zu Israel infrage stelle – im Gegenteil: Erst vor kurzem habe der Papst in einem Brief bekräftigt, dass Hassbekundungen gegen Juden eine "Sünde gegen Gott" darstellten. Aber die Diplomatie des Vatikans sei von der Überzeugung geleitet, dass man "Freunden es sagen darf und muss, wenn sie Fehler machen". Die heutige Kritik sei eine politische, nicht eine religiöse. (Dominik Straub, 16.2.2024)