Näherinnen.
Die Lieferkettenrichtlinie soll die Arbeitsbedingungen in Produktionsländern verbessern.
IMAGO/Habibur Rahman

In seinem Gastbeitrag erklärt der Rechtswissenschafter Adolf Peter, wozu die Richtlinie Unternehmen wirklich verpflichtet – und wozu nicht.

Die Abstimmung im EU-Rat zur neuen EU-Lieferkettenrichtlinie (CSDD-RL) wurde kürzlich aufgeschoben. Einer der Hauptkritikpunkte in Bezug auf die CSDD-RL ist der zivilrechtliche Haftungstatbestand. So hat etwa in Österreich die Industriellenvereinigung in einer Presseaussendung behauptet, dass es nicht gehe, "dass Unternehmen für Unzulänglichkeiten in ihren Lieferketten haftbar gemacht werden, wenn sie diese nicht direkt verursacht haben oder sie entsprechende Sorgfaltspflichten getroffen haben, um diese zu verhindern".

Dabei muss es sich aber offensichtlich um ein Missverständnis handeln. Ein von der CSDD-Richtlinie direkt erfasstes Unternehmen kann laut CSDD-RL ausdrücklich keinesfalls für Aktivitäten von direkten oder indirekten Geschäftspartnern (zum Beispiel in Produktionsstätten in Asien) zivilrechtlich haftbar gemacht werden, wenn es die entstandenen Schäden nicht zumindest vorsätzlich oder fahrlässig mitverursacht hat.

Keine Haftung bei ausreichender Sorgfalt

Darüber hinaus ist eine zivilrechtliche Haftung ausgeschlossen, wenn den Sorgfaltspflichten der Richtlinie nachgekommen wird. Unternehmen müssen demnach etwa Präventions- bzw. Korrekturmaßnahmenpläne umsetzen, notwendige Investitionen für die Umsetzung der Sorgfaltspflichten tätigen und alle Lieferkettenmitglieder vertraglich an unternehmensinterne Verhaltenskodizes binden, die die entsprechenden menschen- und umweltrechtlichen Schutzbestimmungen enthalten.

Zudem müssen Unternehmen ihre Geschäfts- bzw. Einkaufspolitik anpassen und Klein- und Mittelbetriebe (KMUs), die an der Lieferkette beteiligt sind, unterstützen. Die Überprüfung der menschen- bzw. umweltschutzrechtlichen vertraglichen Zusicherungen kann durch unabhängige Dritte (zum Beispiel Wirtschaftsprüfer) erfolgen oder mittels geeigneter Industrieinitiativen oder Initiativen von multiplen Interessengruppen (inklusive NGOs). Die Vertragsbeendigung ist im Falle von schwerwiegenden Schäden das letzte Mittel.

Unterstützung für KMUs

KMUs sind von der CSDD-RL zwar nicht direkt erfasst, werden aber indirekt über vertragliche Konstruktionen dazu verpflichtet sein, ihrerseits nur Geschäftspartner auszuwählen, die die hohen EU-Standards erfüllen. Sehr positiv ist in diesem Kontext, dass KMUs von den direkt erfassten Konzernen unterstützt werden müssen (zum Beispiel durch zinsgünstige Darlehen oder zukünftige Abnahmegarantien), wenn dadurch ihre wirtschaftliche Überlebensfähigkeit gefährdet ist.

Besonders wichtig und leider in den öffentlichen Diskussionen oftmals ignoriert ist auch die Tatsache, dass die von der CSDD-RL direkt erfassten Unternehmen die Kosten für ESG-Audits bei KMUs durch unabhängige Dritte vollständig zu tragen haben.

Fehlender Klimaschutz

Tatsächlich problematisch ist allerdings die unüberschaubare Anzahl von Menschenrechts- und Umweltübereinkommen (aufgelistet in einem Anhang zur CSDD-RL), deren Einhaltung entlang der Lieferketten gefordert wird. Hier wäre es mit Blick auf eine effektive Umsetzung begrüßenswert, sich auf einen konkreten und zentralen Kern von Menschenrechten sowie Klima- und Umweltschutztatbeständen zu einigen.

Angesichts des fortschreitenden Klimawandels, des European Green Deal und des Europäischen Klimagesetzes (Klimaneutralität bis 2050) ist es zudem unverständlich, dass das Pariser Übereinkommen mit seinem 1,5-Grad-Ziel nicht in diesem umfangreichen Anhang aufgenommen wurde. Diesbezügliche Forderungen des EU-Parlaments konnten im Rat (bestehend aus Regierungsvertretern der Mitgliedsstaaten) keine ausreichende Unterstützung finden. Das hat zur Konsequenz, dass negative Klimaauswirkungen sowie die notwendige Reduzierung von Treibhausgasemissionen nicht Teil des Sorgfaltspflichtenmechanismus der CSDD-RL sind und damit auch nicht unter den zivilrechtlichen Haftungstatbestand der CSDD-RL (keine Klagsbefugnis) fallen.

Darüber hinaus bezieht sich auch der von den direkt erfassten Unternehmen einzurichtende Beschwerdemechanismus (unter anderem müssen Beschwerden von geschädigten Personen, Gewerkschaften sowie NGOs entgegengenommen und bearbeitet werden) nicht auf negative Klimaauswirkungen. Stattdessen fordert die CSDD-RL von den direkt erfassten Unternehmen bloß einen Plan zur Erreichung des 1,5-Grad-Ziels.

Ohne einklagbare Rechte und ohne strenge kaskadenartige vertragliche Verpflichtungen (entlang internationaler Lieferketten) zur Reduzierung von Treibhausgasemissionen wird die Erreichung des 1,5-Grad-Ziels aber eine Utopie bleiben. (Adolf Peter, 18.2.2024)