"Skull & Bones" ist nach elf Jahren Entwicklungszeit endlich erschienen.
Ubisoft

Das Holzbein klopft auf die Planken des Stegs, als wir zum Piratentreffen gehen. Gemeinsam mit anderen Kapitänen planen wir einen Überfall auf eine spanische Schatzgaleone. Dafür brauchen wir aber nicht nur ein Schiff, nein, in der örtlichen Hafentaverne rekrutieren wir die verwegensten Haudegen von Scheibbs bis Tortuga. Schließlich ist es so weit, wir stechen in See. Da, das spanische Schiff mit seiner Eskorte. Alles auf Gefechtsstation, volle Breitseite!

So hätte "Skull & Bones" sein sollen. Ein Piratenabenteuer voll mit Klischees, Augenklappen und sprechenden Papageien. Was haben wir bekommen? Einen Loot-Shooter auf hoher See, der versucht, fehlende Kreativität mit Grind und den schlechtesten Elementen der Ubisoft-Formel wettzumachen.

Ahoi, ihr Landratten! "Skull & Bones" verbreitet in den besten Momenten solide Piratenstimmung.
Screenshot/DER STANDARD

Schon das Tutorial lässt Böses ahnen: Nachdem wir unseren Kapitän aus einer Handvoll vordefinierter Gesichter erstellt haben, finden wir uns mitten in einer Seeschlacht wieder. Warum wir gegen ein Schiff der Royal Navy antreten? Keine Ahnung. Dann die nächste Überraschung: Unsere Kanonen feuern nicht wie Schiffsgeschütze aus dem 17. Jahrhundert, sondern eher wie moderne Maschinengewehre. Nach zwei, drei Salven explodiert der Kahn vor uns. Bis ein neuer spawnt, und noch einer, und noch einer. Jemand an Bord schreit: "Die ganze Royal Navy", während immer mehr Schiffe erscheinen.

Salve für Salve schicken wir sie zu den Haien, aber die Flut hört nicht auf. Im Eifer des Gefechts übersehen wir die unsichtbare Levelbegrenzung. Die Crew meutert, wirft den Kapitän über Bord, nur um dann selbst spontan am Ende der Zwischensequenz tot umzufallen. Was zur Hölle ist hier los?

Die Ubisoft-Formel

Wir merken, es handelt sich um das Tutorial, welches genau diesen Ausgang gesucht hat. Die Spielerin beziehungsweise der Spieler finden sich also nass von oben bis unten, bis sie von einer zweiköpfigen Besatzung einer unbewaffneten Nussschale aus dem Wasser gezogen werden. Die Retter haben sogar Namen und sind vollvertont, eine Rolle spielen sie deswegen noch lange nicht. Da, die erste Quest: Wir sollen mit dem gefürchteten Piratenkapitän reden. Der wohnt auf einer Insel, die jeder kennt, außer uns.

Da hat sich ein anderer Spieler mit den Falschen angelegt.
Screenshot/DER STANDARD

Also bringen wir dem schleimigen Matrosen auf einer namenlosen Insel Craftingmaterial, das wir mühsam von der Wasseroberfläche aufsammeln. Danach erzählt er uns, dass seine Leute sich besaufen, weil sie Angst haben, sie würden auf der Insel verdursten, wenn nicht bald Rettung kommt. Hätte er bloß die dutzenden Spielerschiffe im Hafen bemerkt, seine Laune wäre gleich besser. Als wir ihm das gewünschte Material geben, lacht er uns aus: Haha, reingelegt, er verrät uns nicht, wo sich das Piratenversteck (das jeder kennt, aber der Matrose ist die einzige Person mit der wir sprechen können) befindet.

Es erscheint ein Pin auf der Karte. Es ist der Weg zum Sitz des Piratenfürsten. Wahrscheinlich hatte die Spielfigur einen Geistesblitz und ihr ist wieder eingefallen, wo das prominente Eiland sich zu verstecken pflegt. Dort angekommen reden wir mit dem Anführer der Seeräuber, der uns erklärt, dass wir eh nichts taugen und uns erstmal ein besseres Schiff besorgen sollen. Das bekommen wir, indem wir dem Schiffsbauer, dem Schmied und dem Zimmermann mehr Craftingressourcen bringen. Dazu schippern wir mit unserer Nussschale durch die Meere, fahren nahe an Land heran um in einem Säge-Minispiel im richtigen Moment die Maustaste zu drücken. Hurra, wir haben ein Stück Holz! Aber nicht nur das, denn eigentlich haben wir alles gesehen, was "Skull & Bones" zu bieten hat. Ein wenig Ballern, Grinden und Abklappern von Map-Symbolen sowie ein Prise Minigame von anno 2008.

Es macht doch Spaß, irgendwie

Nicht falsch verstehen: Die Schiffsgefechte machen durchaus Spaß, vor allem wenn man zu zweit oder zu dritt den indischen Ozean unsicher macht. Noch dazu sind die Seeschlachten einigermaßen spektakulär inszeniert: Holz splittert, Segel reißen, Feuer bricht an Bord aus. Doch man merkt sofort, dass Ubisoft den Sparstift angesetzt hat um das Spiel nach elf Jahren endlich auf den Markt zu werfen, und zwar egal wie.

Haben wir einem Schiff genügend Schaden zugefügt, können wir es entern. Doch man darf sich nicht an Seilen von Deck zu Deck schwingen und die gegnerische Besatzung mit Vorderladerpistole und Entersäbel bekämpfen. Nein, ein Entermanöver ist eine automatisierte Zwischensequenz, bei der wir zum Zuschauen verdammt sind, während um uns herum die Seeschlacht weiter tobt.

So toll die Seeschlachten aussehen: Bei den NPCs wurde leider weniger Aufwand betrieben.
Screenshot/DER STANDARD

Dazu kommen Designentscheidungen, die absolut aus der Zeit gefallen sind: Warum hat unser Schiff einen Ausdauerbalken, der selbst bei ereignislosen Reisen ständig verlangt, dass wir langsamer segeln? Warum kann man zwar seine Bordbewaffnung managen, aber nicht die Crew? Wo ist der erste Maat, der im Lauf der Zeit bessere Fähigkeiten bekommt? Die Kanonierin, die besser Schwachstellen ins Visier nehmen kann? Das alles sind Grundlagen, die in ein Open World Spiel im Jahr 2024 dazugehören. "Skull & Bones" hat nichts davon, ja selbst "Assassin's Creed: Black Flag" bietet neben Assassinen-Gameplay mehr Möglichkeiten auf hoher See. Sogar in "Sid Meier's Pirates!" von 1987 konnte man Entermanöver spielen, indem man den gegnerischen Kapitän im Duell besiegte.

Natürlich kann man sein Schiff anpassen und etwa die Bewaffnung verändern.
Screenshot/DER STANDARD

Kommen wir zu den positiven Aspekten des Spiels: Die Grafik weiß durchaus zu beeindrucken. Wenn ein Sturm aufzieht, die See aufpeitscht und das feindliche Schiff hinter einer gewaltigen Welle verschwindet, dann kommt richtig Seefahrerstimmung auf. Wenn dann auch noch die Crew beginnt mitten im heulenden Sturm aus vollen Kehlen ein Seefahrer-Shanty zu grölen, dann verursacht das beim ersten Mal schon einen kleinen Gänsehautmoment – und führt vor Augen, wie schön das Piratenabenteuer hätte sein können.

Fazit von Peter: Ewig schade drum

Es gibt wenig, womit man mir eine größere Freude machen kann, als mit einem Glas Rum in der Hand einen Piratenfilm zu schauen. Je mehr Augenklappen, Holzbeine und Dreispitze, umso besser. Wie habe ich mich auf "Skull & Bones" gefreut, schließlich habe ich schon "Assassin's Creed: Black Flag" nur wegen der Seeschlachten gespielt. Ich war auch innerhalb der STANDARD-Redaktion immer noch der Optimist, die vergangenen eineinhalb Jahre habe ich meine Kollegen mit meiner Vorfreude genervt. Doch als Yves Guillemot das jüngste Werk seines Unternehmens als erstes AAAA-Spiel der Welt ankündigte, wuchs auch bei mir die Skepsis. Und nüchtern betrachtet hatten meine Kollegen recht: "Skull & Bones" ist ein lieblos aus alten Ubisoft-Versatzstücken zusammengenagelter Fischkutter mit einem Leck zu viel im Rumpf.

Nach einem Schluck Rum allerdings, schaut meine Welt wieder ganz anders aus: Ich tüftle ja gerne an einer neuen Bewaffnung für mein Schiff, auch wenn auch nichts anderes ist als etwa das Loadout in "The Division". Ich jage gerne Salve um Salve aus meinen Halbkanonen in die Schiffsrümpfe dieser garstigen französischen Handelskompanie. Wenn dann meine Crew noch ein Lied anstimmt, dann würde ich am liebsten Mitsingen. Doch leider haben die Entwicklungs-Hölle, die Servicegame-Seuche und Ubisoft selbst zu viel vom Traum kaputt gemacht. Nicht das Spiel selbst, sondern die Art wie mit "Skull & Bones" umgegangen wurde, macht mich traurig. Ich werde dennoch noch einige Nachmittage damit Spaß haben und hoffe, dass im Endgame alles besser wird und die Spieler-gegen-Spieler-Gefechte das Spielspaßruder herumreißen. 60 Euro würde ich jedoch nicht dafür ausgeben. Auch hier hat sich Ubisoft massiv verkalkuliert: "Skull & Bones" ist kein Vollpreisspiel.

Fazit von Alex: Eine Leistung, aber keine gute

"Skull & Bones" ist leider Opfer eines zu langen Entwicklungsprozesses und vermutlich zu konträren Meinungen innerhalb Ubisofts geworden. Aus dem für mich besten "Assassin's Creed" zehn Jahre später ein halbgares Videospiel zu machen, das ist tatsächlich eine Leistung – leider keine gute. Die wenig innovativen Minispiele, das wie Arbeit wirkende Aufsammeln von Dingen im Meer und das automatisierte Entern von anderen Schiffen, all das wirkt lieblos, hingepfuscht und eines großen Ubisoft-Spiels eigentlich nicht würdig. Hier wurden so viele falsche Entscheidungen getroffen, dass mir alle Beteiligten wirklich leid tun.

Die Idee, ein spannendes Piratenspiel zu machen, bei dem die Crew singt, andere Schiffe spektakulär überfallen werden können und man sogar gemeinsam mit Freunden in See stechen kann, das hätte sich ein gutes Spiel verdient. Ach ja, es gibt schon "Sea of Thieves", allerdings noch nicht für alle Plattformen und in einem Grafikstil, der mir wenig zusagt. Schade, kann ich da nur sagen. Einziger Lichtblick: ein Remake von "Assassin's Creed: Black Flag" soll bereits in Arbeit sein. Wann dieses erscheinen soll, steht allerdings noch in den Sternen. (Alexander Amon, Peter Zellinger, 19.2.2024)