Bayern-Trainer Thomas Tuchel ist angezählt.
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Andreas Herzog sagt dem STANDARD, Thomas Tuchel sei ein Supertrainer. Österreichs ehemaliger Rekordinternationale (wurde von Marko Arnautovic überholt) schränkt freilich ein: "Er ist nur mehr Passagier."

Die Lokomotive heißt Bayern München, nach dem 2:3 gegen die internationale Fußballgroßmacht Bochum droht sie zu entgleisen. Eine dritte Niederlage in Serie geht nämlich gar nicht. Die Vorgänger waren das 0:3 gegen Bayer Leverkusen und das 0:1 in der Champions League gegen den italienischen Mittelständler Lazio Rom. In der Bundesliga beträgt der Rückstand auf Leverkusen acht Zähler. Herzog lehnt sich nicht extrem weit aus dem Fenster, wenn er sagt: "Der zwölfte Meistertitel in Serie ist auszuschließen."

Es sei freilich zu einfach, die Schuld ausschließlich dem Trainer zu geben. "Da greift ein Rädchen ins andere." Der 50-jährige Tuchel verfällt vor TV-Kameras, wirkt bei Interviews gereizt, spricht schmallippig, könnte unter Appetitlosigkeit leiden. Herzog: "Das ist Stress pur, er hat viel probiert, kommt aus dem Antilauf nicht raus." Dabei sei Tuchel durchaus authentisch. "Er schreit rein, bemüht sich. Andererseits versinkt er auf der Bank, leidet, steckt den Kopf in die Hände. Das ist eine negative Ausstrahlung, die bei den Spielern nicht ankommt." Carlo Ancelotti, der sich um Real Madrid kümmert, sei ebenfalls authentisch. "Die Außen- und Innenwirkung ist eine andere. Der Italiener hat während eines Matches einen Ruhepuls von gefühlten 40. Diese Souveränität strahlt auf die Mannschaft und den ganzen Verein aus."

Monströs

Bayerns Vorstandschef Jan-Christian Dreesen sagte am Sonntagabend nach der Bochum-Pein, bei der der Oberösterreicher Kevin Stöger per Elfer den dritten Treffer erzielt hatte: "Es geht mir beschissen." Und er fügte an: "Ich halte nichts von diesen monströsen Trainer-Unterstützungsbekundungen." Ob Tuchel am Samstag gegen Leipzig noch auf der Bank sitzt? "Selbstverständlich."

Herzog wundert sich. "Normalerweise ist man mit diesen Resultaten nicht mehr Bayern-Trainer." Nachsatz: "Bei einer Niederlage gegen Leipzig ist er weg." Die Bayern sind laut Herzog speziell. "Das Sagen haben immer noch Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge. Wer sich nicht mit ihnen arrangiert, hat es schwer." Als Beispiele führt er aus der Vergangenheit Jürgen Klinsmann, Louis van Gaal oder auch Otto Rehhagel an. Herzog kickte 1995 bei den Bayern, Rehhagel hatte ihn aus Bremen mitgenommen.

Andi Herzog: "Normalerweise ist man mit diesen Resultaten nicht mehr Bayern-Trainer."
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Tuchel, so die Vermutung des 55-jährigen Wieners, dürfte nicht der Sehnsuchtscoach von Hoeneß und Rummenigge sein. "Er sagt zu oft, was er denkt." Beispiel Joshua Kimmich. Tuchel hält ihn nicht für den idealen Sechser, auch mit der alternden Legende Thomas Müller tut er sich schwer. "Man muss ihn verstehen, er wehrt sich", sagt Herzog. Die Bayern hätten den Umbruch verpasst. "Wenn man dauernd Meister wird, lässt die Konzentration nach, man gibt, ohne es zu merken, nur 95 Prozent. Dafür kann Tuchel nichts."

Leverkusen nützt das schamlos aus. "Die spielen einen großartigen Fußball. Nach dem 3:0 wissen sie, dass sie besser sind." Herzog verweist auf die Saison 1992/93, als Bremen die Bayern 4:1 deklassiert und er einen Treffer beigesteuert sowie zwei Elfer rausgeholt hatte. "Danach wussten wir, dass nichts mehr anbrennt." Bayern entwickelt kaum selbst Spieler. Nach David Alaba ist diesbezüglich praktisch nichts passiert, Jamal Musiala vielleicht ausgenommen. "Sie waren immer nur gut, wenn sie die besten deutschen Spieler hatten." Aktuell ist Florian Wirtz der beste Deutsche. Der 20-Jährige geigt in Leverkusen.

Armer Kane

Herzog bedauert Harry Kane. Der Engländer schießt Tor um Tor, ist nach München gekommen, um endlich irgendwo Meister zu werden. Tottenham war dazu nicht in der Lage. "Es muss der Horror sein."

Man dürfe den Stress bei den Bayern aber auch nicht überbewerten. Supertrainer Pep Guardiola war in München tätig, ist jetzt für Champions-League-Sieger Manchester City verantwortlich. Herzog: "Er hat gesagt, dass Bayern und Manchester extrem sind. Aber im Vergleich zu Barcelona sind sie harmlos." (Christian Hackl, 20.2.2024)