Der Sieg und damit eine fünfte Amtszeit war Ilham Alijew sicher. Trotzdem überließ der Präsident von Aserbaidschan am 7. Februar 2024 nichts dem Zufall: Verhaftungen von Journalistinnen und Journalisten ließen kritische Stimmen rechtzeitig verstummen, den Wahltermin hatte Alijew vorverlegt. Die Gunst der Bevölkerung wegen des Sieges im Konflikt um Bergkarabach sollte sich wohl im Wahlergebnis niederschlagen. Symbolträchtig schritt Familie Alijew in der ehemaligen Hauptstadt von Bergkarabach zur Wahlurne.

Am Ende konnte der autokratische Herrscher – bei einer Wahlbeteiligung von über 80 Prozent – angeblich 92 Prozent der Stimmen auf sich vereinen. Zur Inszenierung dieser Wahl, die kaum mehr war als eine Farce, zählten auch Menschen aus aller Welt, die die Wahl beobachteten. 790 internationale Wahlbeobachter aus 89 Ländern hatte die aserbaidschanische Wahlkommission eingeladen, in staatsnahen Medien war von über 90.000 Beobachtern insgesamt die Rede. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) schickte 335 Beobachterinnen und Beobachter aus 42 Ländern.

Ilham Alijew
Alijew bei der Stimmabgabe Anfang Februar.
IMAGO/Press Service of the Presi

Auch der Schweizer Nationalrat Nik Gugger (EVP) war als OSZE-Wahlbeobachter akkreditiert. Doch als er mit weiteren Schweizer Mitgliedern der Delegation anreiste, wurde ihm die Einreise verwehrt. Beamte nahmen ihm seinen Diplomatenpass ab und verfrachteten ihn, nachdem er drei Stunden am Flughafen hatte ausharren müssen, von der Polizei begleitet in die nächste Maschine nach Istanbul. Erst im Nachhinein wurde ihm erklärt, dass es sich um ein Missverständnis gehandelt habe: Gugger sei eben nicht nur Nationalrat der Schweiz, sondern sitze auch noch im Europarat, führte der aserbaidschanische Botschafter in der Schweiz aus. Und dessen Mitglieder waren nicht eingeladen. Man sei aber mit Gugger "in konstruktivem Austausch", hieß es von der Botschaft.

Durch Kritik in Ungnade gefallen

Eine Recherche von STANDARD und Forbidden Stories weckt Zweifel an der Aussage des Botschafters. Denn Gugger war nicht der einzige Wahlbeobachter, der mit einem Doppelmandat auch noch im Europarat saß. Doch andere Abgeordnete wurden nicht an der Einreise gehindert. Er habe keinerlei Probleme gehabt, weder bei der Ein- noch bei der Ausreise, erklärte der frühere slowenische Außenminister Anže Logar auf Anfrage. Auch Christine Thellmann aus Rumänien, Giuseppe de Cristofaro aus Italien und der FPÖ-Nationalratsabgeordnete Axel Kassegger waren Teil der Wahlbeobachtungsmission, wie dem STANDARD bestätigt wurde. Wodurch unterscheiden sich die vier von Gugger?

Der Tag, an dem Gugger bei den Behörden in Baku in Ungnade fiel, war wohl der 23. Jänner 2024. An diesem Tag entzog die Parlamentarische Versammlung des Europarats der aserbaidschanischen Delegation für ein Jahr das Stimmrecht, unter anderem weil das Land "seinen Verpflichtungen nicht nachgekommen" sei. 76 Personen, darunter Gugger, stimmten dafür, zehn dagegen.

Die schwarze Liste von Baku

Experten gehen davon aus, dass jene, die für den Ausschluss Aserbaidschans sorgten, auf einer Art Schwarzen Liste landeten. Die Recherche zeigt: Anders als Gugger waren die eingereisten Beobachter mit Doppelmandat bei der Abstimmung alle nicht präsent.

"Diese Abstimmung war der größte Rückschlag für Aserbaidschans Diplomatie in den letzten 20 Jahren", sagt Gerald Knaus, Mitbegründer der Europäischen Stabilitätsinitiative, eines Thinktanks, der 2012 systematische Korruption durch Aserbaidschan im Europarat aufgedeckt hatte. "Aserbaidschan ist extrem unzufrieden mit dem, was in der Parlamentarischen Versammlung passierte, und baut weiter Druck auf die Mitgliedsstaaten auf."

Kickl und Kassegger
FPÖ-Chef Herbert Kickl (links) und Axel Kassegger.
APA/EVA MANHART

Während sich Gugger in der Vergangenheit kritisch zu Aserbaidschan äußerte, taucht Kassegger in einem wohlwollenden Bericht der aserbaidschanischen Nachrichtenagentur auf: Im Juli 2017 saß er gemeinsam mit zwei FPÖ-Parteikollegen vor aserbaidschanischen Flaggen und einem gerahmten Alijew-Porträt einer offiziellen Delegation gegenüber. Es wurden "Aussichten für den weiteren Ausbau der interparlamentarischen Beziehungen zwischen Aserbaidschan und Österreich" diskutiert, hieß es im Bericht. Die FPÖ sieht in dieser Reise "nichts Unübliches": "Parlamentarische Freundschaftsgesellschaften gibt es mit vielen Ländern."

Tags darauf wurde die dreiköpfige FPÖ-Delegation – mit von der Partie war auch der umstrittene Dimitrij Grieb, mittlerweile Co-Büroleiter der Dritten Nationalratspräsidentin Anneliese Kitzmüller – über die aserbaidschanische Sicht auf den Konflikt in Bergkarabach informiert.

Persilschein für Autokraten

Kassegger war bereits in der Vergangenheit als Wahlbeobacher in Erscheinung getreten. Er wird von der NGO Europäische Plattform für demokratische Wahlen (EPDE) als "Politisch voreingenommener Beobachter" gelistet. 2018 reiste er nach Kambodscha, um die Parlamentswahl zu beobachten. Das Königreich wird seit fast 40 Jahren vom Autokraten Hun Sen beherrscht, die Opposition wird unterdrückt. Kassegger war Teil einer 30-köpfigen Delegation, die von der regierungsfreundlichen kambodschanischen Civil Society Alliance koordiniert und allem Anschein nach geleitet wurde. Im Nachhinein attestierte Kassegger, dass sich das Wahlverfahren auf dem Qualitätsniveau der westlichen Welt befinde.

Ähnliche Töne waren Anfang Februar auch in Aserbaidschan zu vernehmen: Beobachter priesen eine reibungslose Durchführung der Wahl, Transparenz und Demokratie. Lob für eine "absurde Wahl", sagt Gerald Knaus. Die Zitatgeber stammen aus Angola, Mexiko, Russland – Stimmen aus der EU kamen kaum vor. Auch das kritische Urteil der OSZE fand in aserbaidschanischen Medien keinen Niederschlag. Die Organisation berichtete von Hinweisen auf Wahlmanipulation und beklagte einen Mangel an echten politischen Alternativen.

Von seiner Reise nach Aserbaidschan zur Wahl am 7. Februar sind von Kassegger keine Statements bekannt, gegenüber dem STANDARD wollte er die Wahl ebenfalls nicht einordnen. Der blaue Abgeordnete äußerte sich bis Redaktionsschluss nicht, auch sämtliche aserbaidschanischen Behörden ließen eine Anfrage unbeantwortet. Kassegger war vergangenen Herbst als außenpolitischer Sprecher der FPÖ zurückgetreten, nachdem er eine Reise ehemaliger Abgeordneter zu den afghanischen Taliban mitorganisiert hatte. (Maria Retter, Hakan Tanriverdi, Sophia Stahl, Elisa Simantke, Frederik Obermaier, 20.2.2024)