Wolodymyr Selelskyj beim Brüsseler EU-Gipfel im Februar 2023. Im Spiegel EU-Ratspräsident Charles Michel.
Wolodymyr Selenskyj beim Brüsseler EU-Gipfel im Februar 2023. Im Spiegel EU-Ratspräsident Charles Michel.
IMAGO/Nicolas Economou

Ginge es nach den Beschlüssen beim EU-Gipfel im Dezember, sollte die Ukraine bereits beim nächsten Treffen der 27 Staats- und Regierungschefs der Union Ende März eine konkrete Antwort darauf bekommen, wann die EU-Beitrittsverhandlungen beginnen. Damals war die Kommission beauftragt worden, zu prüfen, ob das Land alle formalen Bedingungen bereits erfüllt. Ein Bericht dazu sollte die Grundlage sein für einen einstimmigen Beschluss zum Start.

Danach sieht es derzeit aber nicht aus. In nicht einmal vier Monaten finden Europawahlen statt. Mit der Klärung, dass Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen als Spitzenkandidatin der Europäischen Volkspartei (EVP) antritt, ist der Wahlkampf angelaufen.

Das sei nicht gerade die Zeit, ein so zentrales neues Projekt zu beginnen, heißt es nun in diplomatischen Kreisen. Durch die Zuspitzung der Kriegslage in der Ukraine sei man nicht gerade angetan, jetzt groß über einen Beitritt des riesigen Landes im Kriegszustand zu reden.

"Im dichten Unterholz des Krieges"

Zwar hat sich an der grundsätzlichen Unterstützung der EU für das Land "mit allem, was notwendig ist, und solange es nötig ist", nichts geändert. Aber alle Aufmerksamkeit ist im Moment darauf gerichtet, wie man der Regierung in Kiew mit Waffenlieferungen unter die Arme greifen muss, damit das Land dem Druck der russischen Armee auf den Schlachtfeldern standhalten kann. "Wir sind im dichten Unterholz" des Krieges, ist die Einschätzung in der Kommission. Kurz: keine gute Zeit für Gespräche über Abbau von Handelshemmnissen und EU-Standards.

Dazu kommt, dass wichtige Mitgliedsstaaten wie Frankreich, Polen und Deutschland damit gerade ihre Not haben. So würde damit die gemeinsame Agrarpolitik durch den starken Agrarsektor der Ukraine und durch billige Produkte auf den Kopf gestellt. Angesichts der Bauernproteste kein erfreuliches Thema für die Regierungen in Paris und in Warschau. Die Ampelregierung in Deutschland, die über Umfang und Art der Abwehrraketenlieferungen zerstritten ist, sorgt sich um die Finanzierung.

Bremser Ungarn im EU-Vorsitz

Da schnelle Fortschritte in Richtung EU-Beitritt real ohnehin nicht zu erwarten sind, wie Präsident Wolodymyr Selenskyj hofft, ist eine Verzögerung beim Start der Verhandlungen kein Beinbruch. Das wird die neue EU-Kommission im Herbst wieder aufnehmen müssen – während Ungarns EU-Vorsitz, ausgerechnet. Premier Viktor Orbán ist ein strikter Gegner des EU-Beitritts der Ukraine, hat mehrere EU-Gipfel mit Vetodrohungen dazu behindert.

Umso mehr werden sich die EU und der gesamte Westen am zweiten Jahrestag des russischen Angriffs am Samstag symbolisch und demonstrativ auf die Seite der Ukraine stellen. Die USA haben am Freitag ein weiteres, großes Sanktionspaket gegen Russland beschlossen. Als Grund wurden vom Weißen Haus der Krieg und der Tod des Regimekritikers Alexej Nawalny genannt. Es umfasst Exportbeschränkungen gegen 100 Firmen, die die russische Kriegsmaschinerie unterstützen. Präsident Joe Biden sagte, die Maßnahmen sollen dafür sorgen, dass Wladimir Putin "einen höheren Preis zahlen" soll.

Italiens Premierministerin Giorgia Meloni ruft am Samstag per Video zu einer Sitzung der Regierungschefs der G7-Staaten. Ihr Land hat dort den Vorsitz. Es wird ein starkes Zeichen der Solidarität erwartet. Zudem wird die EU das 13. Sanktionspaket gegen Russland offiziell beschließen. 200 Firmen und Personen sind betroffen, es soll vor allem die Drohnenproduktion getroffen werden. (Thomas Mayer, 23.2.2024)