In Nicole Wesner (46) brennt das Feuer für den Boxsport wie eh und je. Sie trainiert, ähnlich wie früher, zweimal täglich, achtet nun mehr als früher auf ihren Körper.
Xavi Vegas

Spitzensport in fortgeschrittenem Alter? Kein Problem! Mit dem verstärkten Einsatz der Wissenschaft und moderner Trainingssteuerung wird die Zahl derer größer, die länger als üblich nicht an das Karriereende denken. Man findet Routiniers in mittlerem und höherem Alter in vielen Sparten: Tennisass Novak Djokovic etwa ist mit 36 Jahren noch einer der Jüngeren dieser Kategorie. Der Serbe spielt seit 20 Jahren schon auf der ATP-Tour. Er hat 98 Turniersiege errungen, ist mit 24 Titeln Grand-Slam-Rekorder und Nummer eins der Weltrangliste.

Simon Eder frönt auch noch mit 41 seiner Leidenschaft Biathlon. Der siebenfache Medaillengewinner bei Großereignissen startet seit 21 Jahren im Weltcup, war zuletzt bei der WM in Nove Mesto über 20 Kilometer Zwölfter und bester Österreicher.

Oldies but Goldies

Der französische Skirennläufer Johan Clarey hat im Vorjahr mit 42 seine Karriere beendet. Im Snowboarden wäre er einer von vielen (gewesen). Da ist der 43-jährige Andreas Prommegger seit Samstag, da er im Parallel-Riesenslalom in Krynica, Polen, im Finale den gleichaltrigen Italiener Roland Fischnaller schlug, der älteste Weltcupsieger ever. Seine Landsfrau Claudia Riegler fährt auch mit 50 noch im Weltcup und visiert sogar die Olympischen Spiele 2026 an. Für die Weltmeisterin 2015 am Kreischberg ist das Alter "nur eine Zahl". Es reize sie, zu erfahren, was noch möglich sei.

Claudia Riegler
Riegler
Claudia Riegler fährt mit 50 noch Snowboardrennen.
IMAGO/pepphoto / Horst Mauelshagen

Was geht, zeigt auch Pepe. Das portugiesische Raubein avancierte beim 2:0 des FC Porto gegen Royal Antwerpen im November mit 40 Jahren und 254 Tagen zum ältesten Torschützen in der Champions League. Vergangene Woche absolvierte er gegen Arsenal den 119. Einsatz in der "Königsklasse". Ältester aktiver Profikicker ist übrigens der seit Montag 57-jährige Japaner Kazuyoshi Miura. "King Kazu" ist mit 55 Toren in 89 Länderspielen einer der erfolgreichsten Nationalspieler Japans und noch bis Sommer bei Portugals Zweitligisten UD Oliveirense engagiert.

Kazuyoshi Miura
Kazuyoshi Miura
Kazuyoshi Miuratritt mit 57 noch professionell Fußbälle.
IMAGO/Kyodo News

Lang durchgehalten hat auch US-Footballstar Tom Brady, der 2022 mit 45 zurücktrat. Weiter aktiv ist hingegen Japans 51-jährige Skispringerlegende Noriaki Kasai, der zuletzt bei seinem 570. Weltcupeinsatz 30. in Sapporo wurde. Oder Tschechiens Eishockeylegende Jaromir Jágr: Der 52-Jährige spielt die 36. Profisaison und jagt in der erstklassigen tschechischen Liga bei HC Kladno dem Puck hinterher.

Jagr
Jaromir Jágr jagt mit 52 noch dem Puck hinterher.
Reuters/Charles LeClaire-USA TODAY Sports

Auch das Boxen funktioniert lange auf Topebene. Bernard Hopkins bestritt mit fast 52 seinen letzten Kampf. Sein US-Landsmann George Foreman boxte bis 48. Ein Comeback mit 56 soll nur am Veto seiner Frau gescheitert sein.

In Nicole Wesner brennt das Feuer für den Boxsport wie eh und je. "Sonst würde ich das nicht machen", sagt die in Wien lebende 46-jährige Deutsche dem STANDARD. "Noch wichtiger als das Alter ist die Motivation. Wenn das Feuer nicht mehr brennt, musst du aufhören", sagt die siebenmalige Weltmeisterin.

Dass Hopkins so lange auf höchstem Level boxte, bezeichnet Wesner als "motivierende Botschaft". Viele würden das Alter als Entschuldigung nehmen. "Dann rolle ich mit den Augen. Wenn du keinen Bock hast, dann hast du keinen Bock, aber schiebe dein Alter nicht vor." Wesner sieht immer wieder ältere Menschen, die zwar Falten im Gesicht, aber auch Muckis am Körper haben. "Viele denken sich, sie müssten sich schonen, dann bekommen sie Probleme mit den Bandscheiben, dies und das und gehen mit dem Rollator." Krafttraining sei "eine Medizin. Das müsste man eigentlich verschreiben. Eine Trainingseinheit pro Tag hört sich viel an, aber eigentlich ist es nur der Ausgleich dafür, dass man acht Stunden auf seinen vier Buchstaben sitzt."

Adaptiertes Training

Gewisse Dinge, sagt Wesner, müsse sie nun natürlich intensiver trainieren, zum Beispiel die Explosivität. Zudem muss sie darauf achten, dass die Beweglichkeit und die Schnelligkeit nicht nachlassen. Reaktionsschnelligkeit hänge aber auch mit Übersicht und Routine im Ring zusammen. "Erfahrene Boxer sehen an verschiedenen Faktoren, was passieren wird. Wenn die Schulter zuckt oder sich ein Fuß bewegt, dann wissen sie, dass ein Schlag kommt." Dazu brauche es aber viel Erfahrung.

Wettkämpfe bestreite sie hauptsächlich, weil sie dadurch fokussierter trainiere und durch diesen Prozess eine bessere Boxerin werde. Das half ihr auch zu Beginn, als sie sich aus dem Fitnessumfeld kommend entschloss, einen Kampf zu machen, damit sie gezwungen sei, wie eine Leistungssportlerin zu trainieren.

Boxen, tanzen und vortragen

Ihr Trainingsumfang ist fast unverändert, sie übt zweimal täglich. Manchmal verordnet sie sich auch eine Pause, sie achte nun mehr auf den Körper als früher. Neben ihrer Priorität Boxen tanzt Wesner, die als Keynote-Speakerin in Unternehmen zum Thema Motivation vorträgt, für ihr Leben gern. Zudem sei es gut für den Körper, nicht immer das Gleiche zu machen. "Tanzen ist so umfassend, schult alle koordinativen Fähigkeiten." Sie empfiehlt es allen Leistungssportlern, um ihr Körpergefühl zu verbessern.

Nach der Finalteilnahme an der ORF-Show Dancing Stars 2019 an der Seite von Dimitar Stefanin hatte sie eine Mörderkondition, sagt sie. "Die hätte ich mir durch Laufen und so weiter nicht aufbauen können. Am Schluss vor dem Finale haben wir sechs Stunden am Tag getanzt."

Bounce Fight Night

Das Tanzen könnte ihr auch zugute kommen, wenn sie am 6. April im Rahmen der Bounce Fight Night im Wiener Hotel Intercontinental (live ORF Sport Plus) ihren WM-Titel gegen die 20 Jahre jüngere Serbin Nina Pavlovic verteidigen will. Auch Österreichs Mittelgewicht-Staatsmeisterin Michaela Kotaskova (32) wird bei der Gelegenheit zu einem WM-Fight in den Ring steigen.

Gedanken ans Aufhören kamen Wesner bis dato nicht in den Sinn. "Wenn man anfängt, zu überlegen, es sein zu lassen, ist es eigentlich eh schon der Anfang vom Ende", sagt sie. Zudem sei ihr Trainingsalter ja noch jung, weil sie erst mit 32 angefangen habe.

Äußerst spät aufgehört, an Wettkämpfen teilzunehmen, hat Wesners 98-jährige Landsfrau Johanna Quaas. Die "Turnoma" beendete ihre Karriere 2017 erst mit 92. Bis ins hohe Alter zu trainieren kann kein Fehler sein. (Thomas Hirner, 26.2.2024)