Dass Italiens Staatspräsident Sergio Mattarella seine sprichwörtliche Zurückhaltung ablegt, hat Seltenheitswert. Aber am Wochenende war das Maß für das 82-jährige italienische Staatsoberhaupt voll. "Der Präsident der Republik", so hieß es in einer Note aus Mattarellas Amtssitz, "hat dem Innenminister in Erinnerung gerufen, dass sich die Autorität der Sicherheitskräfte nicht am Einsatz von Schlagstöcken ermessen lässt, sondern anhand ihrer Fähigkeit, für öffentliche Sicherheit zu sorgen und gleichzeitig das Recht auf freie Meinungsäußerung zu garantieren. Schlagstöcke gegen Jugendliche einzusetzen ist Zeichen eines Versagens."

Mit Schlagstöcken gegen friedliche Demonstranten in Pisa und in Florenz (Bild).
Mit Schlagstöcken gegen friedliche Demonstranten in Pisa und in Florenz (Bild).
EPA/CLAUDIO GIOVANNINI

Am Tag zuvor hatten Polizeibeamte in der toskanischen Stadt Pisa wahllos auf vorwiegend junge und schulpflichtige Demonstrantinnen und Demonstranten eingeschlagen, die sich an einer zuvor friedlich verlaufenen Kundgebung für eine Feuerpause im Gazastreifen beteiligt hatten. Mindestens zehn minderjährige Teilnehmer wurden dabei verletzt, darunter auch Mädchen; ein 25-jähriger Demonstrant erlitt ein Schädeltrauma. Auch in Florenz wurden jugendliche Demonstrationsteilnehmer blutig geschlagen. Die Polizeigewalt hat im ganzen Land Empörung ausgelöst, auch beim Bürgermeister von Pisa, der einer Rechtskoalition nach dem Muster der nationalen Regierung in Rom vorsteht. "Was hier passiert ist, hat mich zutiefst getroffen, auch als Vater", erklärte Michele Conti.

Scharfe Kritik kam auch von der Opposition. Die Chefin des sozialdemokratischen Partito Democratico (PD), Elly Schlein, sprach von inakzeptablen Szenen und kritisierte, die rechte Regierung von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni verhalte sich gegenüber Andersdenkenden immer autoritärer und schaffe ein "Klima der Repression" im Land. Der Anführer der Fünf-Sterne-Bewegung, Ex-Premier Giuseppe Conte, betonte, die Vorkommnisse in Pisa und in Florenz seien "eines Landes wie Italien unwürdig". Während der von Mattarella gescholtene Innenminister Matteo Piantedosi eine interne Untersuchung der Einsätze ankündigte, schwieg Regierungschefin Giorgia Meloni zu den Gewaltexzessen und auch zur Kritik des Präsidenten und der Opposition.

Die Polizeiübergriffe von Pisa und Florenz waren alles andere als ein Einzelfall: In den vergangenen Wochen ist es bei mehreren Pro-Palästina-Demonstrationen linker Gruppierungen zu Gewaltanwendungen seitens der Sicherheitskräfte gekommen. Aber auch abseits von Demonstrationen und Kundgebungen kommt es vermehrt zu Einschüchterungsversuchen durch Beamte. Als im vergangenen Herbst ein Zuschauer bei der Saisoneröffnung der Mailänder Scala "es lebe das antifaschistische Italien" rief, musste er anschließend seine Personalien angeben und wurde registriert. Dasselbe passierte vor einer Woche auch mehreren Personen, die in einem Mailänder Park Blumen für den vom Kreml liquidierten russischen Dissidenten Alexej Nawalny niederlegten. Als dagegen im Jänner hunderte "Faschisten des Dritten Jahrtausends" mit ausgestrecktem rechten Arm paramilitärisch durch Rom marschierten, war weit und breit kein Polizist zu sehen.

Neue Straftatbestände

Natürlich ist Italien immer noch weit davon entfernt, ein autoritäres Regime zu sein: Im Unterschied etwa zu Ungarn ist die Justiz weiterhin unabhängig (und ermittelt verstärkt gegen rechte Politiker); es gibt eine große Medienvielfalt, und bei der Mehrzahl der Demonstrationen müssen die Teilnehmer auch nicht befürchten, von der Polizei niedergeknüppelt zu werden. Doch wenn Oppositionschefin Schlein von einem zunehmend autoritären und repressiven Klima spricht, kann ihr kaum widersprochen werden. Die Law-and-Order-Mentalität der Rechtskoalition zeigt sich nicht zuletzt auch daran, dass die Regierung glaubt, jedes soziale Problem und jedes von der Norm abweichende Verhalten mit der Schaffung von neuen Straftatbeständen oder mit Strafverschärfungen lösen zu können.

Die Zahl der neuen Strafnormen, die die Regierung Meloni in den 16 Monaten seit dem Amtsantritt erlassen hat, ist höher als in jeder vorangegangenen Legislaturperiode. Unter anderem wurde das Strafgesetzbuch um den Tatbestand der "illegalen Rave-Party" bereichert – den Organisatoren drohen nun bis zu sechs Jahre Gefängnis. Wer gegen einen Lehrer oder gegen medizinisches Personal handgreiflich wird, muss mit bis zu sieben Jahren Haft rechnen. Eltern, die nicht dafür sorgen, dass ihre Kinder zur Schule gehen, können für zwei Jahre hinter Gitter wandern. Hausbesetzer riskieren ebenfalls zwei Jahre Gefängnis. Migranten können bis zu 18 Monate in Abschiebezentren interniert werden, auch wenn sie keine Straftat begangen haben. Minderjährigen, die mit Drogen handeln, drohen fünf Jahre Jugendgefängnis.

Die oben genannten Beispiele sind nur ein kleiner Ausschnitt der bereits erlassenen Verschärfungen. Interessant ist im Übrigen auch, wo die Regierung von Meloni keinen gesetzgeberischen Handlungsbedarf sieht: bei der grassierenden Steuerhinterziehung. Hier setzt die Rechte Italiens vielmehr auf Amnestien und die Reduktion der Sanktionen. (Dominik Straub aus Rom,26.2.2024)