Rätselraten um das Begräbnis des Kreml-Kritikers Alexej Nawalny. Am Samstag gab es Gerüchte, das Begräbnis sei für Sonntag geplant, auf dem Moskauer Friedhof Chowanskoje, dem größten der mehr als 100 Ruhestätten der russischen Hauptstadt. Seitdem hüllten sich alle in Schweigen: die zuständigen Behörden, Nawalnys Team und seine Mutter.

Auch am Wochenende legten Menschen Blumen für Nawalny nieder.
Auch am Wochenende legten Menschen Blumen für Nawalny nieder.
REUTERS/NACHO DOCE

Tagelang hatte Ljudmila Nawalnaja in Sibirien, wo ihr Sohn gestorben war, um die Herausgabe der sterblichen Überreste gekämpft. Am Samstag dann hatte die Mutter den Leichnam erhalten, das teilte Nawalnys Sprecherin Kira Jarmysch auf X (vormals Twitter) mit. Angehörige und Unterstützer Nawalnys hatten die russische Führung seit Tagen zur Herausgabe des Toten aufgefordert, um ihn menschenwürdig beerdigen zu können.

Nawalnys Vertrauter Leonid Wolkow sagte, dass wunderbare Leute auf der ganzen Welt den "Menschenfresser" Wladimir Putin dazu gebracht hätten, den Toten freizugeben und nicht weiter die Leiche seines Opfers zu verhöhnen. Es sei eine Niederlage für Putin, weil er nicht erreicht habe, den Toten einfach unter Verschluss zu halten, so Wolkow, der im Exil lebt.

Nicht nur Familie trauert

Kira Jarmysch sagte, dass nun die Beerdigung vorbereitet werden solle. "Wir wissen nicht, ob die Behörden es so ablaufen lassen, wie es die Familie will und wie es Alexej verdient", so Jarmysch. Ljudmila Nawalnaja hatte eine öffentliche Beerdigung gefordert, damit sich neben der Familie auch Anhänger Nawalnys verabschieden können.

Alexej Nawalny starb am 16. Februar. Die Umstände seines Todes sind nach wie vor nicht geklärt. Der durch einen Giftanschlag und wiederholte Einzelhaft im Lager geschwächte Politiker soll bei einem Rundgang auf dem eisigen Gefängnishof zusammengebrochen und trotz Wiederbelebungsversuchen gestorben sein. Nach Angaben von Nawalnys Team ist in der Todesurkunde von "natürlichen" Ursachen die Rede. Aber was heißt "natürlich"?

Nawalny hatte ein jahrelanges Martyrium hinter sich. Erst vor kurzem wurde er in die Strafkolonie IK-3 im Autonomen Kreis der Jamal-Nenzen verlegt. IK-3 in Sibirien ist auch bekannt unter dem Namen "Polarwolf". Es ist die nördlichste Strafkolonie Russlands. Im Winter hat es hier zweistellige Minusgrade.

In die internationalen Schlagzeilen kam Nawalny, als er im Sommer 2020 mit dem Nervenkampfstoff Nowitschok vergiftet wurde. Nowitschok ist einer der stärksten Giftkampfstoffe, die es gibt. Nawalny wurde zwei Tage in Russland behandelt, bevor er auf Druck seiner Familie nach Deutschland, in die Berliner Charité, verlegt wurde. Dort kämpften die Ärzte tagelang um sein Leben; nach 32 Tagen konnte Nawalny das Spital verlassen. Nach seiner Rückkehr nach Russland wurde Nawalny direkt bei seiner Ankunft auf dem Flughafen in Moskau festgenommen.

Verschärfte Bedingungen

Erst im vergangenen August war Nawalnys ursprünglich neunjährige Haftstrafe wegen "Extremismus" auf 19 Jahre erhöht worden. Das Gericht ordnete zudem seine Überführung in eine Strafkolonie mit schärferen Haftbedingungen an.

Unter normalen Bedingungen leben Häftlinge im Straflager mit anderen Sträflingen in einem Schlafsaal, dürfen pro Jahr drei Pakete empfangen und monatlich für rund 70 Euro im Gefängnisladen einkaufen. Doch Alexej Nawalny lebte unter "verschärften Bedingungen": Zellentrakt statt Schlafsaal, weniger Einkauf, weniger Besuche, nur ein Paket pro Jahr. Immer wieder wurde er in eine Einzelzelle gesperrt. Seine Unterstützer kritisierten, die Justiz wolle seinen Widerstand brechen und ihn als abschreckendes Beispiel für andere Regierungskritiker vorführen. Sie sprachen von Folter.

In einem auf Instagram veröffentlichten Beitrag zum zweiten Jahrestag seiner Inhaftierung schrieb Nawalny, dass ihm in der Einzelhaft ein psychisch kranker Mann in die Zelle gegenüber gesetzt worden sei. "Er schreit 14 Stunden am Tag und drei in der Nacht", teilte Nawalny mit. Bekanntlich sei Schlafentzug eine der wirksamsten Foltermethoden. "Alles, was ihr lest über den Horror und die faschistischen Verbrechen unseres Gefängnissystems, das ist alles die Wahrheit. Mit einer Richtigstellung: Die Wirklichkeit ist noch schlimmer", so Nawalny.

Blumen und Festnahmen

Ungereimtheiten gibt es um die Todesursache. Zunächst behauptete der russische Staatssender RT, der 47-jährige Nawalny sei an einem "abgelösten Blutgerinnsel" gestorben, einer Thrombose. Dem widersprach sein Arzt Alexander Polupan: Nawalny habe seiner Kenntnis nach keine Vorerkrankungen gehabt, die eine Thrombose wahrscheinlich machen würden. Zum damaligen Zeitpunkt habe er "keine akuten gesundheitlichen Probleme" gehabt. Von "Herzstillstand" war dann die Rede und nun von "natürlicher" Todesursache.

Ungeachtet der jüngsten Polizeigewalt erinnerten am Wochenende erneut Menschen in Russland an Nawalny. Laut dem unabhängigen Portal ovd.info gab es 38 Festnahmen, als Menschen Blumen im Andenken an den verstorbenen Kreml-Gegner niederlegten. (Jo Angerer aus Moskau, 26.2.2024)