Eine 50 mal 40 Zentimeter große Hundebox steht auf einem Tisch im Schwurgerichtssaal des Landesgerichts für Strafsachen Krems.
Das schauerlichste Beweisstück, das den Geschworenen am Landesgericht Krems präsentiert wurde, ist zweifelsohne der Behälter, in dem ein Zwölfjähriger von seiner Mutter immer wieder stundenlang eingesperrt wurde.
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Krems – "Wie kommen Sie als Mutter auf die Idee, Ihren zwölfjährigen Sohn, weil er ins Bett genässt hat, auf einem Hundenest schlafen zu lassen?", ist Monika Fasching-Lattus, die Vorsitzende des Geschworenengerichts, fassungslos. Noch fassungsloser ist man als Zuhörer im Schwurgerichtssaal des Landesgerichts Krems, wenn man die Antwort der 33-jährigen Erstangeklagten auf diese Frage hört: "Dass er mir folgt und tut, was ich sag", gibt die unbescholtene Frau W. nämlich bekannt, ehe sie zu weinen beginnt.

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Ihr wird versuchter Mord an ihrem Kind vorgeworfen, der komatöse Bub wurde am 22. November 2022 ins Krankenhaus Waidhofen an der Thaya gebracht. Seine Körpertemperatur betrug nur noch 26,5 Grad Celsius, sein Körpergewicht bei einer Größe von rund 1,65 Metern nur mehr 40 Kilogramm. Dazu hatte er Beulen, Hämatome und eitrige Wunden an den Beinen.

Die arbeitslose Österreicherin bekennt sich nur teilweise schuldig: Das Quälen und Vernachlässigen Unmündiger, die fortgesetzte Gewaltausübung und die Freiheitsentziehung bei ihrem Sohn gibt sie zu. Den von Staatsanwältin Anna Weißenböck vorgeworfenen Mordversuch bestreitet sie aber. W.s Verteidigerin Astrid Wagner geht in ihrem Eröffnungsplädoyer sogar noch weiter: Sie gibt der Zweitangeklagten, der 40 Jahre alten Frau B., die Hauptschuld an dem Martyrium des Zwölfjährigen.

Mutter ein "Patscherl" und "Hascherl"

Denn, so Wagner, nach dem Krebstod ihrer Mutter sei ihre Mandantin in eine Art Hörigkeitsverhältnis zu ihrer älteren Freundin geraten. "Sie wurde ja von manchen Medien als 'Horror-Mutter' tituliert. Bevor ich sie das erste Mal gesehen habe, da glaubt man, man wird dem personifizierten Bösen begegnen. In Wahrheit war sie dann eine hilflose Person, ein Patscherl, ein Hascherl", erklärt Wagner den Laienrichterinnen und -richtern.

W. sei "eine Frau mit sehr wenig Selbstbewusstsein", intellektuell unterbegabt, sei "von Anfang an mit der Erziehung völlig überfordert gewesen". Nach dem Tod der Mutter habe ihre Mandantin eine "dependente Persönlichkeitsstörung entwickelt", ist die Verteidigerin überzeugt und verweist auf das psychiatrische Gutachten von Sachverständigem Peter Hofmann. Die Geschiedene sei unglücklicherweise "in den Sog eines bösen, sadistisch veranlagten Menschen geraten" – in den Einflussbereich der Zweitangeklagten, einer vierfachen Mutter.

Die habe W. völlig beeinflusst, sie sozial isoliert, habe ihr eingeredet, der Zwölfjährige sei ein übersexualisierter "böser Bub", der bestraft gehöre, und habe sich an den von der Erstangeklagten übermittelten Bilder und Videos ergötzt. Zusätzlich habe sie sie auch finanziell ausgenommen – W. und das Kind hätten manchmal wirklich kein Geld für Essen mehr gehabt, während die Zweitangeklagte und ihre Kinder "in Saus und Braus" gelebt hätten. Die Zweitangeklagte habe nach ihrer ungewollten Trennung "einen gewissen Hass auf das Männliche" entwickelt und dieses Gefühl auf einen völlig Unschuldigen projiziert, ist die Verteidigerin überzeugt.

Zweitangeklagte "nicht ganz unschuldig"

Sascha Flatz, Verteidiger der Zweitangeklagten B. und staubedingt sieben Minuten zu spät, kontert. "Ich muss jetzt abweichen von meinem vorbereiteten Plädoyer", kündigt er an. Ja, seine Mandantin "ist nicht ganz unschuldig. Sie wusste, dass die Erstangeklagte völlig überfordert ist und völlig falsch erzieht", konzediert er. Aber: "Sie wusste nicht, dass die Misshandlungen in dem Ausmaß sind!", beschwört er die Geschworenen. B. habe ihre Freundin immer wieder aufgefordert, sich Hilfe zu holen, die Reaktion der Erstangeklagten sei gewesen: "Wenn du mich auch noch verlässt, dann bring ich mich und das Kind um." Flatz ist der festen Überzeugung: "W. hat es geschafft, alle zu manipulieren: die Lehrer, die Sozialarbeiter, die Ärzte, meine Mandantin."

Er spricht damit den Elefanten im Raum an: Denn bereits am 25. Oktober gab es eine Gefährdungsmeldung durch die Sonderschule, am 10. November von Spitalsärzten, die sich dringend für einen stationären Aufenthalt des entkräfteten und verwundeten Buben aussprachen – gegenüber dem Jugendamt gab die Erstangeklagte offenbar immer nicht eingelöste Versprechen ab. Wie sich im Prozessverlauf herausstellt, wusste selbst die Polizei Bescheid: Das Kind war im Oktober vom Balkon aus dem ersten Stock gesprungen, hatte sich verletzt und bettelte dann in Lokalen und Geschäften um Lebensmittel und Essen. Die Exekutive fand den Buben – und brachte ihn der Mutter zurück.

Dort wurde er ab den Sommerferien 2022 gequält: Er musste in den beiden kleinen Hundenestern schlafen, die die Vorsitzende nach der Präsentation ob ihres Gestanks wieder aus dem Saal bringen lässt. Er musste hungern, wenn er "nicht brav" war. "Haben Sie ihm ausreichend zu essen gegeben?", fragt Fasching-Lattus die Erstangeklagte. "Nein. Am Anfang war es wirklich so, dass er übergewichtig war", lautet die Antwort. "Hat Ihr Kind Sie um Essen gebeten?" – "Er hat immer wieder gesagt, dass er einen Hunger hat." – "Und? Haben Sie ihm etwas gegeben?" – "Ich habe Frau B. angerufen, die hat gesagt: 'Das gibt es ja nicht, er bekommt ja eh in der Schule etwas!'" Sie selbst habe dafür manchmal heimlich am Klo gegessen, damit der Sohn es nicht mitbekomme, gibt W. zu.

Schweigsame oder einsilbige Erstangeklagte

Immer wieder schweigt die Erstangeklagte oder antwortet nur einsilbig. "Frau W., die Worte können nicht schlimmer sein als das, was Sie bereits gemacht haben!", fordert die Vorsitzende ausführlichere Stellungnahmen. Wie zum Beispiel, dass sie den Zwölfjährigen mit kaltem Wasser übergoss und dann eine Stunde lang vor einem offenen Fenster stehen ließ – bei Außentemperaturen von minus vier bis plus sechs Grad.

Schließlich lässt Fasching-Lattus das Beweisstück in den Raum tragen, das diesen Fall so notorisch macht: eine 50 mal 40 Zentimeter große Hundebox – die Erstangeklagte hatte zwei Tiere. Immer wieder wurde das Kind dort stundenlang eingesperrt. "Was hat der Bub in einer derartigen Box zu suchen?", fragt die Vorsitzende, die es nicht auf ihrem Richterinnenstuhl hält, sodass sie vor dem Mikrofon immer hin- und hergeht oder mit vor der Brust verschränkten Armen dasteht. "Weil er immer gedroht hat, dass er wieder vom Balkon runterspringt", bietet W. eine Erklärung. "Als Strafe" habe sie ihn dann in den Behälter gezwängt. "Damit a si's merkt und nimma mocht!" Wie sie auf Nachfragen zugeben muss, wurde diese "Strafe" aber öfters angewendet.

Welches Martyrium der Zwölfjährige erlebt hat, wird deutlich, als die Vorsitzende nach dem zeitlichen Ablauf fragt: Ab Juli musste er hungern und wurde geschlagen, im Stakkato fragt Fasching-Lattus dann zu den zwölf Tagen zwischen dem Alarm der Ärzte und der Rettung in letzter Sekunde. "Hat er in diesen zwölf Tagen im Bett geschlafen?" – "Nein." – "Haben Sie ihn in diesen zwölf Tagen mit Wasser übergossen?" – "Ja" – "Haben Sie ihn in diesen zwölf Tagen nass vor dem Fenster stehen lassen?" – "Ja".

Bilder und Videos von Martyrium

Von vielen der Peinigungen hat W. Aufnahmen gemacht und an die Zweitangeklagte, der Bestimmungstäterschaft zur fortgesetzten Gewaltausübung angelastet wird, geschickt. Hunderte Seiten sind die Whatsapp-Chats lang, die die beiden Frauen ausgetauscht haben. Für Staatsanwältin Weißenböck lassen sich aus einigen durchaus sadistische Motive der Zweitangeklagten herauslesen. Etwa in einem Nachrichtenaustausch, in dem es um den Plan ging, den Bub mit kaltem Wasser zu überschütten, um ihn aufzuwecken. "Hast ihn eh gut erwischt?", erkundigt sich die Zweitangeklagte. "Nein, er war schon wach", antwortet die Kindsmutter. "Schade", lautet die enttäuschte Reaktion. Immer wieder fragte die Erstangeklagte auch Frau B. schriftlich, ob sie und der Zwölfjährige die Wohnung verlassen dürfen. Warum, bleibt während der Aussage der Erstangeklagten offen.

Ihr drohen bei einer anklagekonformen Verurteilung wegen Mordversuchs zehn bis 20 Jahre oder lebenslange Haft, zusätzlich hat die Anklagebehörde die strafrechtliche Unterbringung in einem forensisch-therapeutischen Zentrum wegen Gefährlichkeit beantragt. Ob es dazu kommt, wird frühestens am Donnerstag entschieden, zunächst geht die Verhandlung am Dienstag weiter. Für das Kind werden die angeklagten Qualen möglicherweise nie vorbei sein, wie Privatbeteiligtenvertreter Timo Ruisinger, der für den Buben 150.000 Euro plus mögliche zukünftige Folgekosten fordert, sagt. "Körperlich ist er soweit wieder in Ordnung. Psychisch werden ihn die Folgen noch jahrelang begleiten." (Michael Möseneder, 26.2.2024)