Die Simon-Janashia-Straße im Tifliser Stadtteil Vera, benannt nach einem berühmten Historiker Georgiens, könnte auch in Moskau oder Sankt Petersburg liegen. Hier wird Russisch angesprochen, es gibt zwei Cafés, die von Russinnen betrieben werden. In der Buchhandlung Auditoria gibt es Literatur in kyrillischer Schrift, im Keller werden experimentelle Filme aus Russland gezeigt. Nebenan, im Easy Art, feiern russische Kinder eine Geburtstagsparty, während die Eltern einen Drink an der Bar nehmen. Es ist Leben wie zu Hause, als wäre nichts passiert – und genau das provoziert viele hier in der georgischen Hauptstadt Tiflis.

"Liebe Russischsprachige! Hört auf, so laut zu sein, sprecht leise, laut sein könnt ihr in eurem eigenen Land – und zwar, um gegen euer verdammtes Reich zu protestieren." Es ist schwer, hier einen Häuserblock ohne anti-russische Grafittis zu finden. Wobei manche der Urheber auch differenzieren wollen, einer von ihnen erzählt etwa: "Ich schreibe nicht 'Fuck Russians', ich spraye 'Fuck Russia' – um nicht Menschen zu diskriminieren. sondern um gegen den Kreml zu protestieren." An einer anderen Wand findet sich der schon fast lyrische Spruch "unfuck russia".

Antirussische Graffiti in Tiflis
"Ruzzland ist ein Terrorstaat" – Russland schlägt in Tiflis meist nur Hass und Ablehnung entgegen.
Nikolai Atefie

Seit Wladimir Putins Befehl, die Ukraine anzugreifen, sind Millionen Russinnen und Russen ausgewandert – um dem Militärdienst zu entgehen, weil man gegen das Regime ist, aber auch, weil es hier bequemer ist als in einer Heimat, die im Kriegszustand ist. In Georgien haben sich seit Februar 2022 rund 100.000 Russinnen und Russen niedergelassen. Offizielle Zahlen gibt es nicht. Einen Aufenthaltstitel zu bekommen ist schwer, dafür kann man mit russischem Pass genau 360 Tage in Georgien als Langzeittourist leben. Dann muss man zumindest einmal ausreisen, um den Aufenthalt zu verlängern.

Die meisten, die Russland verlassen konnten, haben auch entsprechende finanzielle Mittel – und das treibt die Preise in der georgischen Hauptstadt enorm an. Die Kosten für Lebensmittel haben sich mehr als verdoppelt, die Miet- und Immobilienpreise sind mittlerweile mit Wiener Außenbezirken vergleichbar – und das, obwohl der Durchschnittslohn gerade mal um die 600 Euro liegt.

Grobes Imageproblem

Profiteure sind bloß die wenigen Georgierinnen und Georgier, die bereits vor der Krise wohlhabend waren. Einer von ihnen ist Data – Georgisch für David. Er sitzt in einem Café in der Innenstadt und wartet auf seine Mitarbeiter. Data renoviert mit seiner Firma Wohnungen, seine Kunden sind vor allem Russen. "Es ist eine Katastrophe, mit ihnen zu arbeiten, sie bezahlen nie das, was man ausgemacht hat", schimpft er. "Ich habe noch nie einen guten Russen kennengelernt." Ihr Geld nimmt er trotzdem gern. Data spricht, wie die meisten Georgier und Georgierinnen über dreißig, fließend Russisch und bedient sich auch hier im Café dieser Sprache.

Bei den Jungen sei das ganz anders, sagt Inhaberin Elena, die aus dem Westen Russlands kommt und vor einem Jahr nach Tiflis gezogen ist. Am Tag der Eröffnung hatte die Mittdreißigerin gleich einen Sticker an der Tür mit einer klaren Botschaft "Russians are not welcome here". Manche Gäste würden sie auch anschreien und aus dem Café stürmen, wenn sie Elenas russischen Akzent hören. Sie seufzt: "Es ist absurd und dumm, die Leute machen mich für eine Politik verantwortlich, für die ich absolut nichts kann."

Im Kulturbereich und in der Gastronomie macht sich die Abneigung gegenüber den Russen besonders bemerkbar. Im Bassiani, dem zurzeit angesagtesten Techno-Club des Kaukasus, haben sie Hausverbot. Russische Musiker sind in den meisten georgischen Spielstätten nicht willkommen, und auch in der hippen Dedaena Bar muss vor einem allfälligen "Nastrowje" (Prost) von russischen Staatsbürgern erst ein Manifest gegen Putin unterschrieben werden.

Elena erzählt von einem Restaurant in Tiflis, das allen, die dort Russisch sprechen, einen Preisaufschlag verrechnen. "Zwanzig Prozent muss man dann mehr zahlen – das ist die gleiche Prozentzahl wie die des von Russland besetzten Gebiets in Georgien."

Krieg in den Knochen

Der Kaukasuskrieg im August 2008 steckt vielen Georgiern und Georgierinnen noch heute tief in den Knochen. Damals bombardierte die russische Armee mehrere Dörfer und Kleinstädte sowie den Flughafen von Tiflis. Danach besetzte Russland die abtrünnigen Regionen Südossetien und Abchasien und erkannte sie als "unabhängig" an. Hartnäckige Gerüchte besagen, dass russische Truppen auch heute noch nachts heimlich Grenzlinien weiter ins georgische Landesinnere versetzen würden. Das aber könnten die EU-Beobachter derzeit nicht bestätigen, erzählt Klaas Maes, Sprecher der EU-Beobachtermission in Georgien (EUMM). "Im Gegenteil: Wir sehen eine Verfestigung der sogenannten administrativen Grenzlinie – mit Gräben, Zäunen, Stacheldraht und teilweise auch mit Wachtürmen." Diese Zäune seien permanent und ließen sich nicht unbeobachtet versetzen.

Aber diese verfestigte De-facto-Grenzlinie schafft viele Probleme für die Lokalbevölkerung auf beiden Seiten des Konflikts. Alle zwei Monate treffen sich daher Vertreter Georgiens, Russlands und der abtrünnigen Regionen in einem Zelt an der Grenzlinie, um unter Vermittlung der OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) und EU über Verbesserungen für die Menschen zu verhandeln. Es geht um die Wasserversorgung der Bauern auf beiden Seiten der Konfliktlinie, aber auch darum, wie ethnische Georgier und Georgierinnen aus den besetzen Gebieten ihre Verwandten in von Georgien kontrollierten Gebieten besuchen können, sagt der EUMM-Sprecher. "Die Übergänge sind nur an manchen Tagen offen, und wir versuchen, zu wichtigen Feiertagen – wie Ostern – eine Öffnung zu erwirken. Denn jedem, der über den Zaun klettert, drohen in Abchasien und Südossetien bis zu zwei Jahre im Gefängnis." (Nikolai Atefie aus Tiflis, 27.2.2024)