Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni.
REUTERS/GUGLIELMO MANGIAPANE

"Der Wind hat gedreht", jubelten am Dienstag sowohl Elly Schlein, Chefin des sozialdemokratischen Partito Democratico (PD), als auch Ex-Premier Giuseppe Conte, der Anführer der Fünf-Sterne-Protestbewegung. Die Euphorie mag zwar etwas übertrieben erscheinen, wenn man bedenkt, dass die Mitte-links-Koalition aus PD und Fünf Sternen in Sardinien Melonis Rechtsblock nur mit einem hauchdünnen Abstand von rund 3.000 Stimmen distanziert hat und dass in Sardinien lediglich drei Prozent der italienischen Wahlberechtigten leben. Aber Sieg ist Sieg, und der Triumph in Sardinien war umso schöner, als ihn kaum jemand erwartet hatte.

Zur neuen Präsidentin Sardiniens wurde Alessandra Todde von den Fünf Sternen gewählt, die 45 Prozent der Stimmen erzielte. In der Regierung von Mario Draghi (2021–2022) war die 55-Jährige Vizeministerin für wirtschaftliche Entwicklung gewesen. Mit der Wahl Toddes erlebt Sardinien gleich zwei Premieren: Erstmals wird die Insel nun von einer Frau regiert, und erstmals stellt die seit fünfzehn Jahren existierende Anti-System-Partei des ehemaligen Komikers Beppe Grillo einen Regionalpräsidenten beziehungsweise eine Regionalpräsidentin. Die Wahl hat landesweit große Beachtung gefunden – nicht nur wegen des überraschenden Ausgangs, sondern auch, weil die Regionalwahlen in Sardinien fast immer nationale Trends vorwegnehmen.

Giuseppe Conte, Alessandra Todde und Elly Schlein freuen sich.
EPA/FABIO MURRU

Doppelt bitter

Für Ministerpräsidentin Giorgia Meloni war die Niederlage doppelt bitter: Zum einen verlor die Chefin der postfaschistischen Fratelli d'Italia zum ersten Mal seit dem Sieg im September 2022 wieder einmal eine Wahl, und sei es nur eine regionale. Zum anderen muss sie sich von ihrem Koalitionspartner Matteo Salvini nun vorwerfen lassen, mit ihrem Kandidaten Paolo Truzzo aufs falsche Pferd gesetzt zu haben. Truzzo galt von Anfang an als schwacher Kandidat; seine herausragende Eigenschaft ist der Schriftzug "Trux", den er sich hat tätowieren lassen. Es handelt sich um eine Wortkombination aus Truzzo und Dux (lateinisch für "Duce", zu Deutsch "Führer"). Lega-Chef Salvini wollte den amtierenden Regionalpräsidenten Christian Solinas für eine zweite Amtszeit gewinnen. Meloni lehnte dies brüsk ab.

Die Aura der Unbesiegbarkeit, die Meloni seit dem Herbst 2022 umgab, ist sie nun auf jeden Fall los. Und das Scheitern ihres Kandidaten und Weggefährten "Trux" dürfte das ohnehin schon angespannte Verhältnis zwischen der Regierungschefin und ihrem Vizepremier Salvini noch zusätzlich belasten. Meloni wird von ihren kleineren Koalitionspartnern Lega und Forza Italia hinter der Hand schon lange vorgeworfen, dass sie als Chefin der stärksten Partei in der Regierung alle Posten mit eigenen Leuten besetzen wolle, während für die Juniorpartner nur die Brosamen übrig blieben. Bei den nächsten Regionalwahlen dürfte es für Meloni schwieriger werden, ihre eigenen Vertrauten als Kandidaten durchzuboxen.

Sitzmehrheit im Parlament

Die Opposition hat dagegen bewiesen, dass sie noch siegen kann – vorausgesetzt, dass sie geeint antritt. Schon bei den Parlamentswahlen im Herbst 2022 hatten die Parteien des Mitte-links-Lagers mehr Stimmen erzielt als Melonis Rechtskoalition, aber weil die Linke damals getrennt angetreten war, eroberten Meloni und ihre Partner dank des italienischen Wahlgesetzes, das Koalitionen begünstigt, die Sitzmehrheit im Parlament. In Sardinien haben der PD und die Fünf Sterne aus ihrem Fehler gelernt und sich auf die gemeinsame Kandidatin Todde verständigt. Sie gewannen die Wahl sogar trotz der gleichzeitigen Kandidatur des ehemaligen Regionalpräsidenten Renato Soru, der ebenfalls dem Mitte-links-Lager zugerechnet wird und der knapp neun Prozent der Stimmen erzielte.

Die Qual der Wahl auf Sardinien.
EPA/FABIO MURRU

Der Wahlsieg von PD und Fünf Sternen in Sardinien kann freilich nicht darüber hinwegtäuschen, dass zwischen den beiden Parteien auf nationaler Ebene grundsätzliche politische und auch persönliche Differenzen bestehen. Die pazifistischen Fünf Sterne lehnen zum Beispiel Waffenlieferungen an die Ukraine ab, während der PD von Elly Schlein zustimmt. Außerdem ist die Hierarchie zwischen Ex-Premier Conte und PD-Chefin Schlein ungeklärt. Rein von den Stimmenanteilen her ist der PD stärker als die Fünf Sterne, auch in Sardinien, aber Conte erweckt sehr oft den Eindruck, dass er sich als Ex-Premier als den eigentlichen Platzhirsch in der Opposition betrachtet. Die Einigkeit, die Conte und Schlein in Sardinien an den Tag legten, ist eine trügerische. (Dominik Straub aus Rom, 27.2.2024)