55 Prozent bis 2030, hundert Prozent bis 2050 – um so viel müssen die Treibhausgasemissionen laut den Klimazielen der EU sinken. Umsetzen müssen die Klimaschutzmaßnahmen aber die Mitgliedsstaaten. Den Stand der Dinge protokollieren die EU-Länder in ihren Nationalen Energie- und Klimaplänen (NEKP), die alle fünf Jahre bei der EU eingereicht werden müssen. Die Deadline für den aktuellen Entwurf: Juni 2023.

In drei Schritten sollen die Nettoemissionen in der EU bis 2050 auf Null sinken.
AP/Charlie Riedel

Doch die von Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) vergangenen Sommer nach Brüssel geschickte Vorabversion von Österreichs NEKP zog Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) wenige Tage später wieder zurück. Der Entwurf sei von den Grünen nicht mit dem Koalitionspartner abgestimmt worden, hieß es. Inzwischen hat die EU-Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich eingeleitet.

Klimaplan mit Nachbesserungsbedarf

Doch den Klimazielen wird die aktuelle Version des NEKP ohnehin nicht gerecht. Denn laut dem Klimaplan würden Österreichs Emissionen bis 2030 in den nicht ohnehin vom Emissionshandel umfassten Bereichen nur um 35 Prozent sinken. Das EU-Ziel schreibt aber 48 Prozent vor. Das Klimaschutzministerium hat in einer öffentlichen Konsultation deshalb über 1.000 Verbesserungsvorschläge gesammelt.

55 Forschende rund um das Climate Change Center Austria (CCCA) haben diese Maßnahmen nun bewertet und priorisiert. Die Ergebnisse wurden am Mittwoch vorgestellt. Rund 600 Ideen schafften es in die höchste Prioritätsstufe – diese Vorschläge sind laut den Forschenden vergleichsweise einfach und kostengünstig umzusetzen und bringen eine hohe CO2-Ersparnis. "Sie bieten eine sehr gute Basis, um die Ziellücke zu schließen", sagte Klimaforscher Karl Steininger vom Wegener Center für Klima und Globalen Wandel der Universität Graz.

Langsamer fahren ist ein einfacher Weg zur Emissionsminderung, sagen die Expertinnen und Experten.
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Weniger Tempo auf Straßen

Besonders viele Hebel würden sich im Bereich Mobilität finden. Hocheffektiv sei etwa eine Temporeduktion auf 100 Kilometer pro Stunde auf Autobahnen, 80 auf Landstraßen und 30 im Ortsgebiet. Rund 1,8 Millionen Tonnen CO2 könnten so eingespart werden, zudem würde es nach Prognose der Fachleute rund 28 Prozent weniger Verkehrstote geben.

Eine flächendeckende Parkraumbewirtschaftung, also ein Ende des Gratisparkens bei Einkaufszentren, öffentlichen Institutionen oder Veranstaltungsorten, würde ebenfalls auf die Klimaziele einzahlen. Bei einer Parkgebühr von zwei Euro pro Stunde beziffern die Fachleute die Einsparung auf 350.000 Tonnen CO2, bei vier Euro sogar auf 870.000 Tonnen.

Die Umrüstung auf Wärmepumpen und die Dekarbonisierung der Fernwärme sind wichtige Schritte, um in Zukunft klimafreundlicher zu heizen.
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Bessere Energiepläne gefordert

Viele Einsparungen gibt es auch in der Energiewirtschaft zu holen. Bei Photovoltaik, Windkraft, Geothermie, Solarthermie und Abwärmenutzung sehen die Autorinnen und Autoren die größten Potenziale, um künftig Treibhausgasemissionen zu mindern. Hier fordern die Fachleute vor allem eine bessere Energieraumplanung der Bundesländer, damit Flächen für Solar- und Windenergieanlagen schneller ausgewiesen werden können. Wasserkraft und Biomasse werden in Österreich hingegen bereits gut genutzt – hier gebe es eher Optimierungs- als Ausbaupotenzial.

Die Dekarbonisierung des Fernwärmenetzes würde zwischen 0,5 und 1,3 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente einsparen, die Nutzung von grünem Wasserstoff in der Industrie und als Pufferspeicher bis zu zwei Millionen Tonnen.

Der Ausbau von Solar- und Windenergie gehört zu den wichtigsten Klimaschutzmaßnahmen im Energiebereich.
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Weniger Fleisch und Milch

Durch CO2-Abscheidung und -Speicherung könnten bis 2030 rund zwei Millionen Tonnen eingespart werden. "Hier ist es wichtig, CO2 nur aus Quellen abzuscheiden, wo Emissionsreduktionen nur schwer zu erreichen sind", sagt Keywan Riahi vom Internationalen Institut für angewandte Systemanalyse und nennt die Müllverbrennung und die Zementproduktion als Beispiele. Im Bauwesen könnten Emissionen eingespart werden, indem vermehrt Bauteile wiederverwendet würden und die Abwärme besser genutzt werde.

Im Bereich der Landwirtschaft sind die Berechnungen schwieriger, da die Effekte meist zeitverzögert eintreten, erklärt Klimaforscherin Helga Kromp-Kolb von der Universität für Bodenkultur Wien. Würde sich Österreich im Jahr 2050 nach der "Planetary Health Diet" ernähren, würden bis dahin jeden Jahr zwei und zwölf Millionen Tonnen CO2 weniger entstehen. Diese enthält rund 60 Prozent weniger Fleisch und um 25 Prozent weniger Milchprodukte als die heutige durchschnittliche Ernährungsweise.

Auch mehr Biolandwirtschaft würde dem Klima guttun. "Viele Maßnahmen sind aber nur in Kombination sinnvoll", sagt Kromp-Kolb. Da die Biolandwirtschaft mehr Fläche benötige, würde die Ernährungssicherheit leiden, wenn sich die Essgewohnheiten nicht gleichzeitig veränderten.

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DER STANDARD

Tempolimits unbeliebt

"All diese Maßnahmen sind nicht einmal das Papier wert, auf dem sie gedruckt sind, wenn sie nicht umgesetzt werden", sagt Benjamin Schemel vom Institut für ökologische Ökonomie der Wirtschaftsuniversität. Deswegen wurde im Rahmen der Studie auch untersucht, was die Bevölkerung von den vorgestellten Ideen hält. Dazu wurden im Jänner und Februar 1.500 repräsentativ ausgewählte Menschen vom Meinungsforschungsinstitut Gallup befragt. Die überwiegende Mehrheit würde 24 der 27 abgefragten Maßnahmen akzeptieren.

So würden mehr als 80 Prozent den Ausbau der Öffi-Netze befürworten oder stark befürworten, bei der Erweiterung der Radinfrastruktur sind es rund 70 Prozent. Für mehr erneuerbare Energien gibt es ebenso eine Mehrheit wie für den Abkehr von fossilen Brennstoffen. Auf überwiegende Ablehnung stößt hingegen ein Verbot von Verbrennungsmotoren, ebenso Tempolimits. Bei der Frage nach dem Stopp von großen Infrastrukturprojekten wie dem Lobautunnel ist die Bevölkerung gespalten.

Umweltorganisationen begrüßten, dass die gesammelten Vorschläge nun auch wissenschaftlich analysiert wurden. "Mit der CCCA-Bewertung ist die Grundlage für eine wissenschaftsbasierte Klimapolitik gelegt, wie sie auch dem Pariser Klimavertrag entspricht", sagt Karl Schellmann, Klimasprecher beim WWF Österreich, in einer Aussendung. "Das einzig Richtige ist es nun, auf die Wissenschaft zu hören, die notwendigen Maßnahmen im Klimaschutzplan zu verankern und schnellstmöglich nach Brüssel zu schicken", so Jasmin Duregger, Klima- und Energieexpertin bei Greenpeace.

Bis Ende Juni 2024 müssen die EU-Staaten die finale Version ihrer Nationalen Energie- und Klimapläne einreichen. (Philip Pramer, 29.2.2024)