Joe Bidens derzeit gefährlichster politischer Gegner im US-Wahlkampf hat weder einen Namen noch ein festes Programm. Er sendet keine TV-Werbespots und besitzt keine Großspender. Und dennoch haben am Dienstag bei den demokratischen Präsidentschaftsvorwahlen im US-Bundesstaat Michigan mehr als 13 Prozent der Teilnehmer für "uncommitted" gestimmt, was so viel wie "unentschieden" bedeutet. Für den Präsidenten votierten 81 Prozent.

Joe Biden verlässt einen Helikopter
Lässt sich Joe Biden das Wahlergebnis von Michigan eine Lehre sein?
AFP/ANDREW CABALLERO-REYNOLDS

Nur auf den ersten Blick verfügt Joe Biden damit in dem von der Autoindustrie geprägten wichtigen Swing-State im Norden der USA über eine komfortable Mehrheit. Der Ausgang der Wahlen in Michigan ist nämlich immer knapp: 2016 hatte Donald Trump den Bundesstaat mit 11.000 Stimmen Vorsprung gewonnen. 2020 siegte Biden mit 155.000 Stimmen. Nun haben gut 100.000 Wählerinnen und Wähler dem Amtsinhaber ihre Stimme verweigert. Grund für das Weiße Haus, beunruhigt zu sein, zumal es keine einfache Lösung für das Problem gibt.

Der überwiegende Teil der "Unentschieden"-Stimmen dürfte nämlich von arabischstämmigen Amerikanern stammen, die damit gegen Bidens Unterstützung für Israel im Gazakrieg protestieren. In Michigan leben 200.000 registrierte muslimische Wählerinnen und Wähler, und 300.000 weitere Menschen haben Wurzeln im Nahen Osten. Sie verfolgen die israelische Militäroffensive im Gazastreifen, wo sie viele Bekannte oder Verwandte haben oder hatten, mit regelrechtem Horror. Und sie geben Biden eine Mitschuld an den mehr als 30.000 palästinensischen Toten. "Genocide Joe" (Völkermord-Joe) ist ein gängiger, bitterer Slogan bei Demonstrationen geworden.

"Listen to Michigan"

Vor ein paar Wochen hat eine Initiative mit dem Namen "Listen to Michigan" (Hört auf Michigan), die von prominenten Demokraten wie der Kongressabgeordneten Rashida Tlaib und dem Bürgermeister der Ford-Produktionsstadt Dearborn, Abdullah Hammoud, unterstützt wird, deshalb begonnen, für eine Anti-Biden-Stimmabgabe zu werben. Das Weiße Haus schickte Unterhändler in den Bundesstaat, Biden kritisierte den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu öffentlich und machte zuletzt Hoffnungen auf einen bevorstehenden Waffenstillstand. Doch das reicht den Kritikern bei weitem nicht. "Die sagen, dass wir unsere Außenpolitik verändern müssen, um ihr Vertrauen wiederzugewinnen", erklärt der linke kalifornische Kongressabgeordnete Ro Khanna: "Wenn wir das nicht tun, fürchte ich, dass wir den Swing-State nicht gewinnen."

Vorläufige Stimmenanteile der Republikaner und Demokraten: Trump, Haley und Biden; Quelle: AP; Die Auslieferung der APA-Grafiken als Embed-Code ist ausschließlich Kunden mit einer gültigen Vereinbarung für Grafik-Pauschalierung vorbehalten. Dabei inkludiert sind automatisierte Schrift- und Farbanpassungen an die jeweilige CI. Für weitere Informationen wenden Sie sich bitte an unser Grafik-Team unter grafik@apa.at. GRAFIK 0264-24, 88 x 96 mm
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Wie ernst diese Gefahr ist, zeigt ein genauerer Blick auf das Ergebnis der Vorwahlen vom Dienstag. Zwar holte Biden bei der demokratischen Kandidatenkür mit 81 Prozent relativ betrachtet mehr Stimmenanteile als Donald Trump (68 Prozent) bei den Republikanern. Aber die absoluten Zahlen wirken alarmierend: Für Biden stimmten nach Auszählung von 99 Prozent der Stimmzettel rund 618.000 Menschen, für Trump hingegen 756.000. Zwar weiß niemand, wie viele arabischstämmige Wählerinnen und Wähler im November tatsächlich für den offen rassistischen Donald Trump statt für Biden votieren würden. Aber Andy Levin, ein ehemaliger demokratischer Kongressabgeordneter aus dem Bundesstaat, ist überzeugt: "Es wird schwer bis unmöglich sein, Donald Trump in Michigan zu schlagen, wenn Biden nicht seinen Kurs ändert."

Derweil feierte sich bei den Republikanern Donald Trump einmal mehr als Sieger. Seine innerparteiliche Herausforderin Nikki Haley holte mit 26,5 Prozent deutlich weniger Stimmen als zuletzt in South Carolina. Auch bei diesen Wählerinnen und Wählern ist unklar, wie sie sich verhalten, falls Haley irgendwann nach dem Super Tuesday mit Vorwahlen in 15 Bundesstaaten am nächsten Dienstag aufgeben sollte. (Karl Doemens aus Washington, 28.2.2024)