Die Eilt-Meldung hatte am Mittwoch aufhorchen lassen: "Separatisten in Transnistrien bitten Moskau um Schutz vor Moldau". Erinnerungen an den verhängnisvollen Lauf der Dinge kurz vor Wladimir Putins Überfall auf die Ukraine vor fast genau zwei Jahren wurden wach. Auch diesen hatte der russische Machthaber mit dem Schutz der Russischsprachigen in der Ostukraine gerechtfertigt. Und dass das Nicht-Nato-Mitglied Moldau über kurz oder lang das nächste Opfer von Moskaus imperialen Ambitionen werden könnte, ist seither fixer Bestandteil westlicher Katastrophenszenarien. Doch droht nun der nächste Krieg?

DER STANDARD beantwortet die wichtigsten Fragen zu dem neuen, alten Konflikt um Transnistrien.

Transnistrischer Polizist schaut auf Grenze.
Ein transnistrischer Grenzpolizist überwacht einen Übergang von der Separatistenregion in die Ukraine.
AFP/DANIEL MIHAILESCU

Frage: Wo befindet sich Transnistrien überhaupt – und warum ist es umstritten?

Antwort: Wie der Name schon sagt, liegt Transnistrien am Ostufer des Flusses Dnister und gehört völkerrechtlich zu der Ex-Sowjetrepublik Moldau, die seit 2022 offiziell EU-Beitrittskandidatin ist – so wie auch die Ukraine, die im Osten an Transnistrien grenzt. Flächenmäßig ist Transnistrien kleiner als das Burgenland, es führt aber im Gegensatz dazu bis heute die Sowjetinsignien Hammer und Sichel auf seiner Flagge. Nur die beiden prorussischen Entitäten Abchasien und Südossetien in Georgien erkennen sie an, nicht aber Moskau, das nun vom Regime in der Hauptstadt Tiraspol um "Schutz" gebeten wurde.

Die selbsternannte "Pridnestrowische Moldauische Republik" entstand 1991 nach einem kurzen Bürgerkrieg, als die dort seit Sowjetzeiten stationierte 14. russische Gardearmee aufseiten der Separatisten eingriff und die moldauische Polizei vom Ostufer des Dnister vertrieb. Bis heute sind etwa 1.500 russische Soldaten dort stationiert, mehr als die Hälfte der etwa 375.000 Einwohnerinnen und Einwohner sollen aktuell russische Pässe besitzen, teils parallel zu moldauischen. Ein Munitionsdepot in Cobasna im Norden der Region, das die russischen Soldaten bewachen, gilt als eines der größten in Europa. Eine Landgrenze mit Russland hat Transnistrien nicht.

Video: Moldau: Separatisten in Transnistrien bitten Moskau um "Schutz"
DER STANDARD

Frage: Was hat es mit der Meldung vom Mittwoch auf sich?

Antwort: Am Mittwoch hatte die autoritäre Führung in Tiraspol einen Kongress veranstaltet, auf dem harsche Kritik an der prowestlichen Regierung Moldaus geübt wurde. Diese schränke die Menschenrechte der Transnistrierinnen und Transnistrier ein und setze den freien Handel unter Druck, hieß es in einer Resolution, die von dem Konvent verabschiedet wurde und an das russische Parlament gerichtet war. Unterzeichnet wurde sie von Machthaber Vadim Krasnoselski höchstpersönlich.

Hintergrund dürfte das neue Zollregime sein, das die Republik Moldau seit Jahresbeginn gegenüber ihrer abtrünnigen Region betreibt und das vom Regime dort als "Wirtschaftsblockade" betrachtet wird – vor allem im Bereich medizinischer Produkte, wie beklagt wird. Auf Ex- und Importe nach Transnistrien wird seit Jänner nämlich die moldauische Mehrwertsteuer fällig, die an den Checkpoints an der Demarkationslinie eingehoben wird. Moskau, hieß es in der Resolution, solle daher "Maßnahmen einleiten, um Transnistrien angesichts des zunehmenden Drucks durch Moldau zu verteidigen". Wie genau, ließen die Machthaber in Tiraspol offen. Einen Anschluss an die Russische Föderation forderte Tiraspol nicht, auch von einer militärischen Intervention ist nicht die Rede – jedenfalls vorerst.

Frage: Wie hat Moskau auf das "Schutzgesuch" seiner Vasallen am Dnister reagiert – und was sagt der Westen?

Antwort: Russische Nachrichtenagenturen zitierten am Mittwoch das Außenministerium in Moskau mit den Worten, "der Schutz der Interessen der Bewohner Transnistriens, unserer Landsleute, ist eine der Prioritäten". Freilich: Was am Vortag noch international für Aufsehen gesorgt hatte, war Kreml-Chef Wladimir Putin am Donnerstag bei seiner stundenlangen Rede zur Lage der Nation keinen Satz wert.

Matthew Miller, der Sprecher des US-Außenministeriums, erinnerte Russland postwendend an die Unterstützung Moldaus "in seinen international anerkannten Grenzen". Außenminister Alexander Schallenberg warf Putin – vor dessen Rede – ein "sehr gefährliches Spiel mit dem Feuer" vor.

Wappen Transnistrien.
Klare Reminiszenzen an die alten Zeiten: ein transnistrisches Wappen.
AFP/SERGEI GAPON

Frage: Warum erkennt Russland seine transnistrischen "Landsleute" nicht als Staat an?

Antwort: "Tiraspol buhlt seit dem ersten Tag seines Bestehens um Anerkennung durch Russland", sagt der Leipziger Historiker und Transnistrien-Experte Stefan Troebst dem STANDARD. Vergebens. Bis heute gebe es dort nicht einmal ein russisches Generalkonsulat, dafür habe Moskau aber in großem Maßstab russische Pässe verteilt und bezahle die Pensionen der Transnistrierinnen und Transnistrier. "Das Land anzuerkennen hätte ganz einfach praktische Nachteile für Moskau, etwa bei Waffenexporten, die von Tiraspol etwa nach Afrika gehen. Da ist es für Russland günstiger, nicht direkt mit den Fingern im Teig erwischt zu werden."

Frage: Ist eine russische Militärintervention in Transnistrien überhaupt realistisch?

Antwort: Kurzfristig kaum, sagt Troebst. Seit dem Ukrainekrieg ist die Grenze zwischen Transnistrien und der Ukraine geschlossen, es gibt also keine Verbindung auf dem Landweg zwischen Tiraspol und Russland. Weil Flugzeuge entweder über ukrainisches Gebiet oder über Nato-Staaten wie Polen und Rumänien fliegen müssten und Transnistrien nicht über einen Seehafen verfügt, kann Russland seine Verbündeten faktisch nicht erreichen. Zwar sei die Eroberung eines Korridors zwischen den eroberten Gebieten im Süden der Ukraine und Transnistrien 2022 ein klares Ziel der russischen Armee gewesen. Aktuell sei das kaum vorstellbar. "Eine militärische Intervention würde ich im Moment ausschließen."

Dass die transnistrischen Truppen, etwa 10.000 Paramilitärs, gemeinsam mit den Resten der 14. russischen Gardearmee von der abtrünnigen Republik aus in der Ukraine eine weitere Front eröffnen, glaubt der Forscher auch nicht: "Das hätte fatale Folgen für die russischen und transnistrischen Truppen." Dass Moskau seinen Plan, die ehemalige zaristische Provinz Bessarabien, also Moldau, langfristig wieder an Russland zu binden, aufgegeben hat, bezweifelt er gleichwohl.

Selenskyj und Sandu auf einem Gipfeltreffen.
Moldaus Präsidentin Maia Sandu und ihr ukrainischer Kollege Wolodymyr Selenskyj sind enge Verbündete.
REUTERS/Florion Goga

Frage: Wie wappnet sich Moldau?

Antwort: Bisher wiegelt man in Chișinău ab. Der Sprecher der proeuropäischen moldauischen Regierung, Daniel Voda, betonte, dass die Behörden die "Forderungen und Beschlüsse des sogenannten Sonderkongresses" der abtrünnigen Region "gelassen" zur Kenntnis genommen hätten. Sowohl die Separatistenführer in Tiraspol als auch der Kreml würden offenkundig auf "Panikmache" und "mediale Hysterie" setzen. Tatsächlich war es am Mittwoch auch nicht zu der befürchteten Bitte um einen Anschluss an Russland gekommen.

Militärisch wäre das kleine Land an strategisch wichtiger Stelle zwischen dem Nato-Staat Rumänien, wo die USA am Flughafen Constanța Kampfjets stationiert haben, und der Ukraine aber einer Konfrontation kaum gewachsen. Laut dem Global Firepower Index von 2024 rangiert die Wehrkraft Moldaus auf Rang 144 von 145 Ländern, es verfügt weder über eine Luftwaffe noch über Kampfpanzer. 8.500 Berufssoldaten hat Chișinău aktuell unter Waffen. (Florian Niederndorfer, 29.2.2024)