Verteidigerin Astrid Wagner umringt von Fernsehteams im Landesgericht Krems.
Einen Medienauftrieb wie beim "Hundebox-Prozess" hat das Landesgericht Krems bereits länger nicht erlebt. Der aufsehenerregende Fall beschäftigt die Öffentlichkeit auch nach der Urteilsverkündung.
APA / HELMUT FOHRINGER

Krems – Als Unbescholtener hat man im Normalfall vor österreichischen Strafgerichten einen großen Vorteil: Man wird nicht zur Höchststrafe verurteilt. Der "bisherige ordentliche Lebenswandel", wie es im Juristendeutsch heißt, zählt neben einem Geständnis zu den wesentlichsten Milderungsgründen, die bei der Strafzumessung berücksichtigt werden. Im Normalfall, aber nicht in einem "Jahrhundertfall", wie der psychiatrische Sachverständige Peter Hofmann den Kremser Prozess gegen eine Mutter und ihre Freundin, die den zwölfjährigen Sohn der Erstangeklagten beinahe zu Tode gequält haben, nannte. 20 Jahre fasste Donnerstagnacht die 33-jährige Mutter für Mordversuch aus, 14 Jahre ihre 40 Jahre alte Bekannte, selbst eine vierfache Mutter. Beide Urteile sind nicht rechtskräftig.

Wie sind diese Entscheidungen des Geschworenensenats unter Vorsitz von Monika Fasching-Lattus einzuordnen? Sie sind streng, aber in sich logisch. Bei der Erstangeklagten Mutter liegt die Strafhöhe auf der Hand: Ihre Unbescholtenheit und die Tatsache, dass das Kind überlebt hat, bedingen beim vorgesehenen Strafrahmen von zehn bis 20 Jahren oder lebenslang die zeitliche Höchststrafe, für lebenslang muss noch ein Spielraum bleiben, wäre der Bub wirklich gestorben.

Anders sieht es bei der älteren Anstifterin aus: Sie wurde der Bestimmung zur fortgesetzten Gewaltausübung an einem Unmündigen mit schweren Dauerfolgen für schuldig befunden. Möglich waren fünf bis 15 Jahre Haft, 14 erscheinen auf den ersten Blick sehr hart, ist es doch beinahe an der Höchststrafe. Bei näherer Betrachtung muss man dem Schlussplädoyer der glänzend disponierten Staatsanwältin Anna Weißenböck aber zustimmen: "Die beiden Frauen haben den Buben zerstört, zumindest seelisch", prangerte die Anklägerin die sadistischen Maßnahmen, mit denen das intelligenzverminderte und verhaltensauffällige Kind gefoltert wurde, an. Und die Schuld der Zweitangeklagten, die trotz belastender Chats samt Videos der Qualen, die die 40-Jährige mit tränenlachenden Smileys quittierte, leugnete, ist in Relation zur Strafe für die Mutter so durchaus korrekt geahndet.

Wichtige Unterbringung

Und nicht zu vergessen ist, dass beide Frauen strafrechtlich in einem forensisch-therapeutischen Zentrum untergebracht werden. Nicht weil sie psychisch krank und zurechnungsunfähig sind, das hat der Sachverständige Hofmann ausgeschlossen. Sondern da aus seiner Sicht das Risiko hoch ist, dass sie auch in Zukunft ähnliche Taten begehen, wenn sie nicht behandelt werden. Das werde mehrere Jahre dauern, prognostiziert er aufgrund seiner Erfahrung. Besonders bei der Zweitangeklagten, die sich primär in der Opferrolle gefiel, dürfte das ein mühsamer Weg werden, bei dem noch ungewiss ist, ob das Ziel erreicht werden und sie ihre sadistische Störung erkennt und aufarbeiten kann.

Aber aufgearbeitet gehört zweifelsohne auch, warum es der Mutter gelungen ist, das Umfeld des Zwölfjährigen so lange zu täuschen. Jugendamt, Schule, Polizei, Ärzte, Nachbarn: Sie alle hatten Hinweise, dass etwas grauenhaft schiefläuft. Ein damaliger Mitarbeiter der Kinder- und Jugendhilfe gab als Zeuge sogar zu, in der eiskalten Wohnung gewesen zu sein, aber nicht mit dem eingeschüchterten Kind allein gesprochen zu haben. Ein Besuch bei einer Psychiaterin war erst eine Woche nachdem das Kind unterernährt und fast erfroren ins Koma gefallen war terminisiert. Erklärung: Die Fachfrau ordiniere nur alle 14 Tage. Eine Beratungslehrerin aus der Sonderschule des Buben hat nach der Gefährdungsmeldung an das Jugendamt sogar mehrmals mit dem Zeugen telefoniert und auf die Dringlichkeit hingewiesen und wollte wissen, welche Schritte unternommen werden. "Was haben Sie dann erfahren?", wollte die Vorsitzende im Prozess von dieser Zeugin wissen. "Eigentlich nichts", lautete die ernüchternde Antwort.

Auch die Polizei schöpfte ganz offensichtlich keinen Verdacht, als der Zwölfjährige von daheim flüchtete, um Essen bettelte und schließlich gegen 22 Uhr bei wildfremden Menschen anläutete und um eine Übernachtungsmöglichkeit bat. Da die Mutter eine Abgängigkeitsanzeige gestellt hatte, wurde das Kind postwendend zu ihr zurückgebracht. Aus den Chats mit der Zweitangeklagten weiß man, dass die 33-Jährige sich große Sorgen machte, ob nun neuerlich das Jugendamt komme – die Exekutivbeamten sahen aber offenbar keinen Grund, diese Behörde zu verständigen. Ob es etwas gebracht hätte, bleibt offen – schließlich gab es ohnehin bereits eine zweite Gefährdungsmeldung durch ein Krankenhaus. (Michael Möseneder, 1.3.2024)