Handybildschirm.
Kindersicherungen reichen laut Bürgermeister Vincent Paul-Petit nicht aus, um Heranwachsende zu schützen.
IMAGO/Guido Schiefer

Seine-Port liegt südlich von Paris und, wie sein Name sagt, an einem kleinen Hafen der Seine, die sich hier durch den äußersten Vorortegürtel der französischen Metropole schlängelt. Man sieht es dem beschaulichen Ort mit 2.000 Einwohnerinnen und Einwohnern nicht an, aber er hat etwas von dem berühmten gallischen Dorf, das gegen die römische Übermacht kämpft.

Übermacht? "Das sind Internetkonzerne wie Meta, bekannt für die Plattformen Facebook und Instagram", sagt Bürgermeister Vincent Paul-Petit (64) in seinem Büro mit Sicht auf den Stadtpark. "Ihre Programmierer tüfteln ständig nach neuen Wegen, um Jugendliche in ihre Applikationen zu ziehen. Ihren eigenen Kindern untersagen sie allerdings den Bildschirmzugang, weil sie wissen, dass die Jüngsten dabei verdummen."

Harte Worte von einem freundlichen Herrn, der so gar nichts von Asterix hat: Der frühere Unternehmer war erstmals 2008 zum Bürgermeister von Seine-Port gewählt worden, ist fünffacher Vater und achtfacher Großvater. Beim Schulfest vor der letzten Sommerpause machte er der Bevölkerung eine leicht kryptische Ankündigung: Die Kinder sollten während der Ferien weniger telefonieren, dafür mehr herumrennen, lesen oder nichts tun – Langweile mache bekanntlich kreativ. Er selbst, so sagte Paul-Petit, werde in dieser Zeit über den Umgang mit Smartphones nachdenken.

"Erzieherische Katastrophe"

Zum Schulbeginn im Herbst legte der Mann mit den festen Überzeugungen dann eine Charta "für einen guten Umgang mit den Bildschirmen" vor. Kernpunkt ist nichts weniger als ein Handyverbot im öffentlichen Raum. Viele Einwohner staunten oder empörten sich: Ein Verbot? "Ja, denn alles andere funktioniert nicht", entgegnete der resolute Bürgermeister und kündigte eine kommunale Volksabstimmung zum Thema an. In der an alle Haushalte verschickten Broschüre zitierte er den neuen, erst 34-jährigen Premierminister Gabriel Attal: "Was die Benutzung von Bildschirmen anbelangt, steuern wir auf eine gesundheitliche und erzieherische Katastrophe für Kinder und Jugendliche zu."

Die Abstimmung fand Anfang Februar statt und ergab 54 Prozent Ja-Stimmen; 46 Prozent waren dagegen. Darauf legte der Gemeinderat fest, wo es untersagt ist, sein Handy zu zücken: vor den Schulen, in den Geschäften, auf der Straße; in Gruppen auch im öffentlichen Raum, zum Beispiel bis in die Vereine.

Hört man sich heute in Seine-Port herum, bleiben die Meinungen geteilt. Ein Vater, dessen Töchterchen mit dem Kinderfahrrad unterwegs ist, begrüßt das Verbot: "Wenn wir Eltern mit einem Handyverbot nicht alleingelassen werden, bin ich dafür." Der Gemüsehändler beim Eingang zum Stadtpark verdreht ablehnend die Augen, sagt aber nichts. Die zwei jungen Leiterinnen des Friseurladens finden, die Gemeinde sollte angesichts der vielen Einbrüche "zuerst einmal genügend Überwachungskameras einrichten". Die Wirtin des Bistros La Terrasse leistet Widerstand gegen den Widerstand: "Hier am Tresen verbieten wir das Handy nicht."

Rat von Fachleuten

Vincent Paul-Petit versteht die Einwände. Er macht klar, dass er nicht den Gemeindepolizisten spielen oder "Handys konfiszieren" werde. Auch betont er, sein Ansatz sei unpolitisch. Er selbst gehört den konservativen Republikanern an, bezeichnet sich aber als "liberal"; und er sagt, dass zwei Nachbargemeinden, die von den Sozialisten und den Kommunisten regiert würden, nun auch über ein Handyverbot nachdächten.

In der Sache aber ist der langjährige Dorfvorsteher unnachgiebig. In seinem Büro legt er mit Schwung drei Sachbücher auf den Tisch, eines trägt den Titel "Wie man digitale Dummköpfe fabriziert". Die anderen behandeln Themen wie Videogewalt, Internetpornografie, Cybermobbing und raffinierte Lockmethoden der Games-Anbieter. "Handys sind eine wahre Droge für Kinder", sagt Paul-Petit kategorisch. Es gehe um mehr als die Benützung von Smartphones durch die jüngere Generation: "Wir stehen vor der Frage, wie wir zusammen leben wollen." Immer wieder erzählten ihm Eltern, dass ihr Sprössling zunehmend aggressiv werde, wenn seine Handyzeit eingeschränkt werde.

In der Abstimmungsbroschüre hat die Gemeinde Telefonnummern für Ratsuchende angegeben, dazu Tipps von Psychologen und Neurologen: bis drei Jahre keinen Bildschirm; bis sechs Jahre nur täglich eine Stunde, davon ein Drittel zusammen mit den Eltern; und ab zehn nicht mehr als 45 Minuten. Wohlgemerkt, das betrifft alle Bildschirme – von TV, Handy, PC, Tablet oder Videospiel. "Was darüber hinausgeht, bewirkt Konzentrations- oder gar Hirnschäden", sagt der Bürgermeister.

Und wenn die Kinder den Eltern in den Ohren liegen, all ihre Klassenkameradinnen und -kameraden hätten ein iPhone, und wer keins habe, ernte auf dem Pausenplatz Mitleid oder Spott? Der Gemeinderat schenkt den Einwohnern ein einfaches Sprechtelefon mit neun Tasten und der SMS-Funktion – gegen die Verpflichtung, den Kindern bis zum 15. Altersjahr kein Smartphone anzuschaffen. "Das Ziel ist es", so Paul-Petit, "dass alle das gleiche Gerät haben."

Internationaler Trend?

Der Dorfvorsteher gibt zu, dass er auch nicht auf alles eine Antwort habe. Aber der Trend sei klar: Immer mehr Länder wie China oder Regionen wie Katalonien erließen strikte Regeln für die Handybenutzung durch Kinder. In Frankreich hat Präsident Emmanuel Macron eine Digitalkommission eingesetzt, die bis Ende März Vorschläge ausarbeiten soll, wie die übermäßige Bildschirmzeit kontrolliert und eingeschränkt werden könnte. Es gehe nicht an, dass all diese Bildschirme die "affektive, sensorielle und kognitive Entwicklung" der Kinderhirne behindern, sagte der Staatschef. Er gab der Kommission zwei präzise Fragen mit: "Ab welchem Alter soll man ein Verbot aussprechen? Und das vielleicht mit Sperren oder mit Einschränkungen?"

Paul-Petit erwartet nicht allzu viel von dieser Expertengruppe. Kindersicherungen ließen zu viele Umgehungsmöglichkeiten offen und nützten zu wenig, findet er. "Die beste Lösung wäre, Jugendlichen das Handy bis 18 zu verbieten. So lange kommen sie an der Schule auch ohne aus."

Ziemlich radikal, Monsieur Paul-Petit. Verweigert er sich der digitalen Ära? Im Gegenteil, er glaubt, ihr voraus zu sein: "Sie werden sehen, in drei, vier Jahren wird Meta mit so vielen Prozessen von Eltern und US-Bundesstaaten eingedeckt sein, dass sie ihre Programme auf die echten Bedürfnisse der Kinder ausrichten müssen." Mit dem Gallierdorf als Vorbild? (Stefan Brändle aus Paris, 3.3.2024)