Die Regierung arbeite hart, die Situation sei so gut wie noch nie. Hört man dem italienischen Außenminister Antonio Tajani zu, könnte man meinen, man sei in Bosnien-Herzegowina im Paradies gelandet. Tajani besuchte am Montag die Hauptstadt Sarajevo, um dafür zu werben, dass die EU-Staaten in zweieinhalb Wochen grünes Licht für den Beginn von Beitrittsverhandlungen mit dem südosteuropäischen Staat geben.

Schallenberg und Tajani spazieren in Sarajevo.
Schallenberg (re.) und sein italienischer Amtskollege Antonio Tajani sind optimistisch.
EPA/ALESSANDRO DI MEO

Auch der ebenfalls angereiste österreichische Außenminister Alexander Schallenberg meinte, die bosnische Regierung habe einen "extrem wichtigen und eindrucksvollen Fortschritt" gemacht. Er ist dafür, dass alle sechs sogenannten Westbalkan-Staaten in die EU aufgenommen werden, um einen "Gürtel der Sicherheit und Stabilität" in der Region zu schaffen. "Wir befinden uns in einem Stadium, in dem der Krieg wieder nach Europa zurückgekehrt ist. Dies ist ein kritischer Moment der geopolitischen Sicherheit", sagte er in Sarajevo. Schallenberg argumentiert also angesichts der Aggression des Kreml und seines wachsenden Einflusses auf dem Balkan geopolitisch.

Bislang galt allerdings, dass die EU-Aspiranten auf dem Balkan aufgrund von Fortschritten und Reformen in die EU gelangen sollen. Wenn man die Performance der bosnischen Regierung in dieser Hinsicht einem Realitätscheck unterzieht, gibt es keinen Grund, in Lobhudelei auszubrechen. Denn von den 14 Prioritäten, deren Erfüllung die EU vor ein paar Jahren als Bedingung für weitere Schritte Bosnien-Herzegowinas Richtung EU formuliert hat, wurden nur die wenigsten erfüllt.

Die unabhängige bosnische "Initiative zum Monitoring des EU-Beitritts von Bosnien und Herzegowina" sprach im Vorjahr von einer "Potemkischen EU-Kandidatur" Bosnien-Herzegowinas und führte in einem Bericht genau aus, in welchen Bereichen, die von der EU gesetzten Bedingungen nicht erfüllt wurden. Auch die Organisation Transparency International (TI) schrieb im vorigen Sommer, dass die Regierung kaum Fortschritte bei der Umsetzung der 14 Prioritäten gemacht habe.

Wenig Fortschritte

Reformen zur "Professionalisierung des öffentlichen Dienstes, der Zusammenarbeit zwischen Strafverfolgungsbehörden, der Verbesserung der Effizienz bei der Verfolgung von Korruption und organisierter Kriminalität sowie der Entpolitisierung und Umstrukturierung öffentlicher Unternehmen" hätten kaum begonnen, so TI. "In einigen Segmenten kam es sogar zu Rückschlägen in Form von Lösungsvorschlägen, die darauf abzielen, die Menschenrechte und Freiheiten einzuschränken, insbesondere im Bereich der Meinungsfreiheit sowie der Vereinigungsfreiheit", aber auch bei der "Gewährleistung der Rechtssicherheit hinsichtlich der Kompetenzverteilung zwischen den Regierungsebenen".

Fairerweise muss man betonen, dass die Regierung seit dem Erscheinen dieser beiden kritischen Berichte, einige Gesetze beschlossen hat, dazu gehört etwa ein Gesetz gegen Geldwäsche und eines gegen Terrorismusfinanzierung, ein weiteres Gesetz zur Verhinderung von Interessenskonflikten könnte demnächst im Parlament beschlossen werden. Auch das Parlament ist aktiver als in den Jahren zuvor. Trotzdem halten nicht alle Gesetze, die die derzeitige Regierung entwarf, einer kritischen Überprüfung stand – manches wurde verwässert, sodass Korruption und Freunderlwirtschaft doch wieder Raum bekommen.

Wichtige Reformen – allen voran eine Reform der Justiz, die von Interessen der Parteien unterlaufen ist – werden indes ohnehin nicht in Angriff genommen. Auch die Umsetzung der Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, die die Diskriminierung von vielen Bosniern und Bosnierinnen beenden soll, werden nicht umgesetzt, obwohl das ursprünglich einmal eine Hauptpriorität der EU war.

Ob Bosnien und Herzegowina tatsächlich im März mit den EU-Verhandlungen beginnen kann, hängt auch an Deutschland. Außenministerin Annalena Baerbock wurde auch am Montag in Sarajevo erwartet. Vor allem die liberale deutsche FDP hat noch Bedenken. Gefordert wird von Berlin nun vor allem eine Verbesserung des Wahlgesetzes, damit Wahlbetrug künftig verhindert wird. Es kann sein, dass am Ende der Hohe Repräsentant Christian Schmid dieses "Integritätspaket" mit seinen Bonner Vollmachten umsetzen wird – weil es keine Mehrheiten im Parlament dafür gibt.

Den Haag entscheidend

Am Ende sind aber vor allem die Niederlande entscheidend. Die noch im Amt befindliche Regierung verwies immer wieder darauf, dass die 14 Prioritäten nicht erfüllt seien. Während Italien – vor allem seit es in Albanien ein sehr umstrittenes Camp für Asylwerber beschlossen hat – plötzlich seine Liebe zur Erweiterung entdeckt hat, sind manche in Bosnien und Herzegowina nicht überzeugt, dass die bosnische Regierung ein grünes Licht überhaupt verdient hat.

Denn die derzeitige Regierung wird von den beiden nationalistischen Parteien HDZ und SNSD dominiert. Die Chefs der kroatisch-nationalistischen und der serbisch-separatistischen Parteien, Dragan Čović und Milorad Dodik, sind seit vielen Jahren eng politisch verbündet und treiben das Land von Krise zu Krise.

Dodik, der eng mit dem Kreml kooperiert, will Bosnien und Herzegowina ohnehin zerstören, indem er den Landesteil Republik Srpska abspalten will. Čović wiederum will ein eigenes "kroatisches" Territorium in Bosnien und Herzegowina schaffen – was auch bereits im Krieg das Ziel der kroatischen Nationalisten war. Er verhindert zur Zeit auch, dass eine Pipeline gebaut wird, die Bosnien und Herzegowina vom russischen Gas unabhängig machen soll, was wiederum seine wahren geopolitischen Einstellungen offenbart.

Doch Čović wird nicht nur von der kroatischen Regierung unterstützt, sondern auch von manchen Akteuren in der EU und vom Hohen Repräsentanten Christian Schmidt, der 2022 in der Wahlnacht ein Wahlgesetz änderte, weil die kroatischen Nationalisten dies unbedingt wollten. Mit der Gewährung des Beginns von Beitrittsverhandlungen würden Dodik und Čović jedenfalls noch mehr EU-Gelder zur Verfügung gestellt bekommen. Die EU-Kommission stellt Bosnien und Herzegowina eine Milliarde Euro in Aussicht. (Adelheid Wölfl aus Sarajevo, 4.3.2024)