Willst du VIP-Privilegien kaufen? Huawei hat aus seinem Betriebssystem ein Pay-to-Use-Modell gemacht.
DER STANDARD/Zellinger

Wie so oft bei einer guten Wutgeschichte steht am Beginn eine höchst unprofessionelle Fehlleistung. Verursacher: ich. Eigentlich wollte ich ja verschiedene digitale Notizbücher miteinander vergleichen und eine hoffentlich interessante Überblicksgeschichte über die Kindle Scribes und Remarkables dieser Welt machen. Das Huawei Matepad Paper sollte natürlich ebenfalls zur Party erscheinen. Doch durch ein kommunikatives Hoppala mit Huawei landete nicht die Kritzelvariante auf der Testbank, sondern das "gewöhnliche" Matepad. Das Missgeschick ging auf meine Kappe: Ich bin zum Schreiben von Artikeln hier, niemand hat mir gesagt, dass ich auch E-Mails unfallfrei verfassen können muss.

Was also tun? Noch einmal dutzende Mails hin und her schicken, Paketdienste und die Post bemühen und wochenlang warten? Lieber nicht, da wird erstens mein Chef sauer, und zweitens packt mich doch die Neugier. Wie funktioniert ein Tablet, das vom Google-Ökosystem ausgeschlossen wurde? Und kann man diese politisch gewollte Sperre nicht irgendwie umgehen? Ist es möglich, das Matepad und sein Betriebssystem HarmonyOS in ein auch im Arbeitsumfeld brauchbares Gerät zu verwandeln und sämtliche Google-Services zu nutzen? Na, wenn das keine Aufgabe ist.

Dauerfeuer aus der Werbekanone

Auf dem Matepad läuft HarmonyOS, das zum Teil auf dem Android Open Source Project basiert. Über die Hardware sei nur so viel gesagt: Das Ding ist performant und würde ein hervorragendes Tablet abgeben, wenn nur die Software nicht wäre. Die entwickelt sich nämlich zu einem wahren Ärgernis. Zuerst fällt die enorme Fülle an vorinstallierten Spielen und fragwürdigen Anwendungen auf, die sich über diverse Ordner auf dem Homescreen breitgemacht haben. Eine schnelle Suche bestätigt: Diese ganze Bloatware zu entfernen erfordert gewaltigen Aufwand, und nicht umsonst kursieren in einschlägigen Subreddits ausufernde Anleitungen, wie man den Softwaremüll loswird.

Das alles wäre noch verschmerzbar, schließlich treibt man den Aufwand als Systemputzkraft nur einmal. Tschüss und auf Nimmerwiedersehen, "Ace Money"! Und nein, ich habe diese App vor der Deinstallation nicht ausprobiert, auch in Selbstversuchen gibt es Grenzen des Ertragbaren. Diese werden auch bald überschritten, und zwar in Form der Huawei App Gallery. Wer schon einmal ein Smartphone von Xiaomi benutzt hat, kennt die Werbeeinblendungen vermutlich.

Für HarmonyOS hat sich Huawei aber erkennbar Monetarisierungsstrategien von Mobile Games zum Vorbild genommen. Öffnet man die App, muss man sich zuerst eine Werbung ansehen, die man erst nach mehreren Sekunden wegklicken kann. Hat man es einmal in die App geschafft, geht das Bombardement munter weiter. Ein lustiges Männchen versucht, mir Kristalle anzudrehen - Premium-Währung für fragwürdige In-App-Käufe. Ich lehne dankend ab und verlasse die App schnell wieder, bevor mir noch ein digitaler Gartenzwerg Potenzpillen fragwürdiger Provenienz andreht.

Doch wie kommt man nun an Google Docs, Sheets und Co? Auch das ist möglich, via Sideloading. Und zwar verweist die App-Gallery auf APKpure, wo man die Installationsdateien für viele, aber eben nicht alle Android-Anwendungen bekommt. Ganz sauber ist diese Quelle nicht: Es wäre nicht das erste Mal, dass Schadcode seinen Weg in die dort angebotenen Apps findet. 2021 wurde sogar der Client des alternativen Appstores selbst infiziert. Ob man dort Apps wie die Google Wallet beziehen sollte? Sicher nicht. Aber immerhin gibt es die Möglichkeit, hier die Office-Programme von Google herunterzuladen, das klappt dank dem Launcher Gspace ganz gut, auch wenn mir hier eine dicke grüne Werbeleiste erneut irgendwelche Coins andrehen will. Anders als beim Browser Chrome, der lässt sich nämlich nicht installieren.

Wer den bordeigenen Browser von HarmonyOS besucht und die Suche bemüht, wird schnell feststellen, dass eine aggressive Autokorrektur immer wieder eingreift. Über die Sinnhaftigkeit einer solchen Funktion bei einer Websuche ließe sich natürlich hervorragend streiten. In diesem Fall stellt sich aber heraus, dass die Eingabe sanft in Richtung von Produkten und Services "korrigiert" wird. Beginnt man etwa eine Suche mit "o", wird die Suche sofort mit den Wochenangeboten eines bekannten Baumarktes komplettiert. Dagegen wirkt selbst das neue Outlook für Windows erfrischend zahm.

Ein Sicherheitsrisiko

Huawei hat eine Leistung vollbracht, die selbst Spieleentwicklern noch nicht gelungen ist. Sie haben es geschafft, selbst simpelste Aufgaben wie das Öffnen des App-Store hinter einer Werbeschranke zu verstecken. Willst du effizient arbeiten, ohne zuerst Werbung zu schauen? Zahlen, bitte! Die Websuche führt zuerst auf die Seite eines Werbepartners? Stell dich nicht so an, die Einblendung ist ja nur kurz. HarmonyOS ist ein Lehrbuchbeispiel, wie man ein Interface mit dunklen Mustern und dreistesten Werbeschmähs entwickelt und permanent versucht, den User und die Userin auszutricksen. Das ist in seiner Absurdität anfangs sogar auf eine gruselige Art und Weise spannend, wird aber spätestens dann zum Sicherheitsrisiko, wenn Apps aus höchst dubiosen Quellen heruntergeladen werden müssen. Der Spuk ist hoffentlich bald vorbei, denn jüngst hat Huawei HarmonyOS Next angekündigt. Dieses soll sich nicht nur von den Android-Wurzeln verabschieden, sondern auch "deutlich weniger" Werbung beinhalten – was immer das in der Realität heißen mag.

Aber kann ich die Frage beantworten, ob man mit dem System auch arbeiten kann? Ja, man kann. Aber niemand sollte. (Peter Zellinger, 8.3.2024)