Eine ukrainische Polizistin inspiziert eine abgeschossene Shahed-Drohne.
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Das Video ist nur 17 Sekunden lang, sorgt aber für Aufregung vor allem in ukrainischen Telegram-Kanälen. In mehreren Kameraschwenks werden die Rümpfe von Shahed-Drohnen gezeigt. Das allein wäre noch nicht außergewöhnlich, schließlich setzt die russische Armee die im Iran gefertigte Drohne in Massen gegen die ukrainischen Streitkräfte und die Zivilbevölkerung ein. Aber: Die Aufnahmen stammen aus Russland, nicht dem Iran. Angeblich zeigen sie eine Werkstatt, in der die Kamikazedrohnen zu dutzenden gefertigt werden. Die Aufschrift in kyrillisch "Geran", was "Geranie" bedeutet. Die russische Armee setzt die Drohnen als "Geran 2" in der Ukraine ein. Angeblich stammen die Aufnahmen aus dem südrussischen Tatarstan.

Anderes Material

Dass die Drohnen aus russischer Fertigung stammen, verrät aber nicht nur der kyrillische Text, offenbar wurden die Drohnen modifiziert. Diese Drohnen verfügen über vertikale Stabilisatoren, die über und unter den Flügelspitzen verlaufen. Letzteres ist bei der originalen Shahed-Drohne aus dem Iran nicht der Fall, wie "The Warzone" beschreibt. Russland scheint sich bei der Eigenproduktion auf die größere Variante, die Shahed-136, zu konzentrieren.

Die in dem Video und den zugehörigen Fotos zu sehenden Drohnen befinden sich offenbar alle noch in der Montage. Antriebseinheiten oder Avionik sowie die Sprengköpfe fehlen. Jedoch ist die Gesamtzahl der Drohnen besorgniserregend. Die Rümpfe der Drohnen sind in zwei verschiedenen Farben zu sehen, einige in Hellgrau, andere in einem dunkelgrauen Farbton. Letztere dürfte für Nachteinsätze dienen. Die dunkle Farbe soll wohl die Sichtbarkeit der Shaheds verringern.

Aktuell wird spekuliert, dass die Haut der russischen "Nacht-Shaheds" aber auch eine simple Form von radarabsorbierender Beschichtung sein könnte. Eine Verbesserung gegenüber dem Original, das über keine solche Schicht verfügt. Die Radarsignatur der Drohne ist relativ eindeutig, weshalb es den Verteidigern der Ukraine auch immer wieder gelingt, Shaheds in relativ großer Zahl abzuschießen. Aber noch eine Veränderung ist den Ukrainern aufgefallen: Die russischen Shaheds sind aus einem gänzlich anderen Material gefertigt als ihre Vorbilder aus dem Iran. Der Rumpf des iranischen Modells weist üblicherweise eine Struktur wie eine Honigwabe auf. Die russischen Varianten sind aber aus einer Art dichtem Schaumstoff gefertigt, der mit einer Art Kohlfaser umschlossen wird.

Bei der Shahed-136 handelt es sich um eine Kamikazedrohne, die aufgrund ihrer sehr einfachen Konstruktion und der relativ geringen Kosten in großen Mengen eingesetzt werden kann. Die Shahed erwies sich vor allem zu Beginn des russischen Angriffskrieges als eine gefürchtete Waffe. Spätestens ab Oktober 2022 wurden Shaheds für Angriffe auf die Zivilbevölkerung in Odessa und Saporischschja eingesetzt.

Die Aliexpress-Drohne

Technisch ist die Shahed-136 wie auch ihre kleinere Schwester, die Shahed-131, nicht sonderlich ausgeklügelt. Es handelt sich um einen Deltaflügler mit einer Spannweite von 2,5 Metern. Angetrieben wird sich von einem kleinen Schubpropeller am Heck. Die Drohne selbst wiegt etwa 200 Kilo und kann einen bis zu 60 Kilo schweren Gefechtskopf, meist mit Splitterwirkung, transportieren. Ein Vorteil der Shahed ist ihre Reichweite: Diese soll laut Herstellerangaben bis zu 2.000 Kilometer betragen. Ob eine solche Drohne angesichts ihrer langsamen Geschwindigkeit von etwa 190 bis 240 km/h eine solche Distanz ohne Ausfälle zurücklegen kann, ist allerdings umstritten. Beim Motor selbst handelt es sich um den iranischen Nachbau eines von einem deutschen Unternehmen entwickelten Motors, der eigentlich für Freizeitflugzeuge gedacht ist und 50 PS liefert. Die Shahed verwendet darüber hinaus günstige GPS-Empfänger, höchstwahrscheinlich aus chinesischen Onlineshops, wie aus einer Analyse des "Aviationist" hervorgeht.

Nach dem Start fliegt die Shahed autonom, eine nachträgliche Steuerung ist beim Originalmodell nicht möglich, sie ist in der Luft "taub und blind", wie die unabhängige "Novaya Gazeta" berichtet. Die Drohne selbst verfügt über keine Zielerfassung und kann nur vorher definierte Positionen ansteuern, was sie gegen bewegliche Ziele unbrauchbar macht. Deshalb werden die Shahed-Drohnen auch in Massen eingesetzt. Stichwort: Sättigungsangriff. Durch die Vielzahl an Zielen soll die ukrainische Fliegerabwehr überfordert werden – bis die Munition ausgeht und einige Shaheds ihr Ziel erreichen.

Durch den langsamen Flug und die nicht vorhandene nachträgliche Steuerung erwies sich der Fliegerabwehrpanzer Gepard aus alten Beständen der deutschen Bundeswehr als effektive Waffe gegen die Shaheds. Laut Angaben der Ukraine sei es bereits mehrfach gelungen, ganze Wellen von Drohnenangriffen vollständig mit Kanonenfeuer abzuwehren.

Russland rüstet nach

All diese Mankos versucht Russland nun offenbar auszugleichen. Statt GPS-Empfängern kommt das eigene System GLONASS zum Einsatz. Außerdem dürften die Shaheds mit einem simplen Trägheitsnavigationssystem ausgestattet worden sein, was ihnen zumindest eine rudimentäre Steuerungsmöglichkeit gibt. Im September 2023 tauchten erste Hinweise darauf auf, dass Russland Drohnen der Shahed-Serie einsetzt, deren Sprengköpfe mit Wolframkugeln bestückt sind anstatt mit den ursprünglichen Sprengköpfen mit Splitterwirkung, was die Zerstörungskraft erhöhen soll.

Außerdem wurden von der Ukraine mehrere Shaheds abgeschossen, die mit einem 4G-Modem und ukrainischen SIM-Karten ausgestattet waren. Dies könnte laut dem Bericht darauf hindeuten, dass einzelne Drohnen Informationen über ihre Position und ihren Status an ihre Starteinheit zurücksenden können. Dies würde nahezu in Echtzeit Aufschluss darüber geben, welche Routen sich als sicher für Folgeangriffe erwiesen haben, und vielleicht sogar anzeigen, ob Folgeangriffe überhaupt notwendig sind. Die ukrainische Analyse ging aber davon aus, dass es sich um Experimente der russischen Streitkräfte und nicht um serienreife Modifikationen handelt. Zuletzt wurden jedoch Drohnen beobachtet, die offenbar in der Lage waren, in der Luft ihre Richtung zu ändern.

Dass die Drohnen nun offenbar von Russland selbst in großer Zahl hergestellt werden können, kommt dennoch überraschend. Nach Angaben des in Washington ansässigen Institute for Science and International Security hatte das russische Werk nämlich bis vor kurzem die Drohnen nur zusammengebaut. Die Komponenten wurden aus dem Iran geliefert. Das offizielle Ziel der russischen Armee ist aber klar: Bis zum Sommer 2025 will man bis zu 6.000 Drohnen im eigenen Land bauen.

Im August letzten Jahres berichtete die "Washington Post" über russische Pläne zum Bau von Shahed-Drohnen, darunter das Ziel, "bis zum Sommer 2025 6.000 Drohnen im eigenen Land zu bauen", wie das "Wall Street Journal" berichtet. Ob damit nur die relativ primitive Shahed-136 gemeint ist oder die technologisch weiterentwickelte Shahed-238, ist unklar. Bei letzterem Modell wurde der Propeller durch einen Strahlantrieb ersetzt, was ihr deutlich höhere Geschwindigkeiten von rund 500 km/h verleiht.

Einsatz der Jet-Variante

Anfang dieses Jahres gab es Hinweise darauf, dass Russland damit begonnen haben könnte, Drohnen des Typs Shahed-238 aus iranischer Produktion mit Strahlantrieb einzusetzen, um Ziele in der Ukraine anzugreifen. Die Shahed-238 ist von der Shahed-136 abgeleitet, bietet jedoch mehrere bedeutende Vorteile, die wir bereits ausführlich untersucht haben. Vor allem bietet sie im Vergleich zu ihren propellergetriebenen Vorgängermodellen eine wesentlich höhere Geschwindigkeit und andere zusätzliche Fähigkeiten, die sie zu einer größeren Herausforderung für die ukrainische Luftabwehr machen, schreibt Oberst Markus Reisner vom Bundesheer.

Hinzu kommen bei der Shahed-238 eine Erhöhung der Treffergenauigkeit und eine vermutete höhere Resistenz gegen elektronische Störmaßnahmen. "So wurde die Inert- und GLONASS-Navigation der Shahed-131/136 bei der Shahed-238 um ein bordeigenes Radarsystem sowie eine elektrooptische Zieleinrichtung ergänzt. Somit wäre nicht nur der Einsatz gegen stationäre, sondern auch bewegte Ziele möglich. Trümmer der ersten, bereits in der Ukraine eingesetzten russischen Shahed-238 lassen diese Bewertung bzw. Vermutung zu", so Reisner.

Wobei das Attribut "billig" gerade bei militärischer Luftfahrt immer relativ zu verstehen ist. Eine Shahed-Drohne aus eigener Fertigung dürfte Russland um die 50.000 US-Dollar kosten. Das dürfte immer noch deutlich unter jenen Summen liegen, die der Iran in Rechnung stellt. So soll Russland bei einer Abnahme von 6.000 Shahed 136 einen Kaufpreis von 193.000 US-Dollar pro Stück bezahlt haben. Woher man das weiß? Einer Hackergruppe war es gelungen, in die Systeme eines iranischen Unternehmens namens Sahara Thunder einzudringen. Dieses dient als Fassade für Rüstungsdeals zwischen Russland und dem Iran. Die Dokumente zeigen, dass eine einzelne Shahed den Russen wohl 375.000 Dollar gekostet hätte – sie konnten aber einen günstigeren Preis ausverhandeln. (Peter Zellinger, 9.3.2024)