Die ersten Nachkommastellen der Zahl Pi. Bekannt sind einige zig Billionen Stellen.
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Als "Clickbait" bezeichnet man eine Überschrift, die dazu dient, Leserinnen und Leser (Sie) zum Öffnen eines Artikels zu bewegen. Oft hält der Inhalt nicht das, was er verspricht. Die Clickbait-Überschrift, die Sie hierhergelockt hat, ist hier schuldig im Sinn der Anklage, da es bislang keine konkreten Anzeichen dafür gibt, dass die Kreiszahl Pi, mehrmals mit sich selbst potenziert, eine ganze Zahl ergibt. Pi ist eine irrationale Zahl, sie besitzt also unendlich viele Stellen nach dem Komma, und es ist nicht einzusehen, warum gerade das Potenzieren mit sich selbst etwas daran ändern sollte.

Doch die Behauptung verdient aus mehreren Gründen eine genauere Betrachtung. Einerseits gibt es irrationale Zahlen, die tatsächlich ein vergleichbares Verhalten zeigen. Die Wurzel aus der Zahl Zwei ist bekanntermaßen ebenfalls irrational. Doch wenn Sie mit sich selbst potenziert wird und man das Ergebnis ebenfalls mit der Wurzel aus zwei potenziert, ergibt das sehr wohl eine ganze Zahl, nämlich Zwei.

Und, was vielleicht noch wichtiger ist, die Behauptung, dass Pi hoch Pi hoch Pi hoch Pi (wir wollen die Zahl in der Folge aufgrund ihrer Größe mit dem in der Mathematik beliebten Buchstaben "X" bezeichnen, woran uns niemand hindern kann) eine ganze Zahl sei, ließ sich bislang trotz hartnäckiger Versuche mathematisch nicht widerlegen. Und das ist mindestens so sonderbar wie das, was der Titel des Textes womöglich fälschlicherweise suggerierte.

Twitter statt "Diophant"

Kühne mathematische Vermutungen wurden in der Geschichte immer wieder in informeller Form kommuniziert. Evariste Galois, ein aufstrebender junger Mathematiker, schrieb im Jahr 1832 einen letzten Brief an einen Freund, wo er in Stichworten von einigen aufsehenerregenden und bis heute wichtigen mathematischen Konzepten berichtete. Am Morgen darauf wurde er angeschossen, als er sich der Liebe wegen mit einem Konkurrenten duellierte, und starb an den Folgen. Noch bekannter ist die Vermutung, die als Fermats letzter Satz Berühmtheit erlangte. Der Amateur-Mathematiker Pierre de Fermat kritzelte sie im 17. Jahrhundert an den Rand eines klassischen antiken Mathematikbuchs, des "Diophant". Der Beweis gelang erst in den 1990er-Jahren.

Heute nutzt der Mathematiker oder die Mathematikerin von Welt für derlei Dienste wie X, vormals Twitter. Als der Mathematiker Thomas Bloom das Problem 2013 dort postete, gehörte Twitter noch nicht Elon Musk und hieß tatsächlich noch Twitter.

Zu groß für Computer

Größere Aufmerksamkeit erregte der Post mit der kuriosen Problemstellung, die nicht von Bloom stammt, sondern ein in Fachkreisen lange bekanntes Problem darstellt, dann im Jahr 2021. Auch mathematische Koryphäen und Träger höchster Auszeichnungen schalteten sich ein. Die offensichtliche Frage war: "Warum rechnen wir es nicht einfach aus?" Nicht wenige probierten es, um allesamt auf dieselbe Schwierigkeit zu stoßen: Die Kreiszahl Pi ist zwar nur etwas größer als drei, doch wenn man sie dreimal mit sich selbst potenziert, entsteht eine Zahl mit 10^18 Stellen. Zum Verständnis: 10^18 ist eine Zahl mit 18 Stellen. Anders formuliert geht es um eine Zahl mit einer Milliarde Milliarden Stellen.

Warum das ein Problem ist, wird klar, wenn man bedenkt, dass selbst die so wichtige Kreiszahl Pi "nur" bis auf einige zig Billionen Kommastellen bekannt ist. Für den aktuellen Rekord musste ein Supercomputer fast 109 Tage lang rechnen. Die Zahl X, an der wir hier interessiert sind, hat aber etwa eine Million Stellen mehr, selbst wenn hinter dem Komma nur noch Nullen stehen, was es ja herauszufinden gilt.

Das Verfahren der wiederholten Potenzierung einer Zahl mit sich selbst wird als Tetration bezeichnet. Wer in "Tetra" das griechische Wort für die Vier erkennt, liegt richtig, allerdings geht es nicht etwa um das vierfache Potenzieren einer Zahl mit sich selbst. Vielmehr ist das Potenzieren selbst eine Rechenoperation vierter Stufe. Stufe zwei ist in diesem Sinn die Multiplikation, auf der fünften Stufe steht die Pentation, das wiederholte Anwenden der Tetration.

Es gibt eine Reihe weiterer offener Probleme, die mit Tetration zu tun haben. Eines davon betrifft etwa die Eulersche Zahl e, die uns von Rechnungen mit exponenziellem Wachstum bekannt ist. Bisher ließ sich zum Beispiel nicht klären, ob die Eulersche Zahl, viermal mit sich selbst potenziert, eine ganze Zahl ergibt.

Aufmerksamen wird aufgefallen sein, dass die hier verwendete Notation Potenzial für Missverständnisse birgt. So besteht zwischen dem eingangs erwähnten Beispiel mit der Wurzel aus der Zahl Zwei und dem Verfahren zur Gewinnung der Zahl X ein feiner Unterschied. Ein mehrfaches Potenzieren von Pi, wie wir es hier verstehen, ist etwas völlig anderes als die Berechnung von Pi hoch Pi, um diese Zahl in der Folge nochmals mit Pi zu potenzieren, wie wir es mit der Wurzel aus zwei gemacht haben. Einmal wird der Exponent nochmals potenziert, einmal die gesamte Zahl. Der Unterschied kann ohne Übertreibung als gigantisch bezeichnet werden.

Ein Fraktal, das durch wiederholtes Potenzieren einer komplexen Zahl mit sich selbst erzeugt wurde. Das Verfahren wird Tetration genannt.
Gemeinfrei

Hinweis aus den 1960er-Jahren

Computer sind also bis auf weiteres machtlos, das Problem rechnerisch zu lösen. Es bedarf mathematischer Finesse, die auf altmodische Mittel wie einen Kugelschreiber und ein Blatt Papier oder eine Serviette zurückgreift. (Auch Bierdeckel sollen zu später Stunde schon zum Einsatz gekommen sein.) Und tatsächlich gibt es eine Spur, die zur Lösung führen könnte.

Dass Pi ebenso wie die Wurzel aus zwei irrational ist, wurde bereits erwähnt. Die beiden besitzen eine endlose Reihe sich nie wiederholender Kommastellen, die keinerlei System folgen. Doch die Kreiszahl Pi hat noch eine weitere interessante Eigenschaft. Sie kann nicht als Ergebnis einer Gleichung dargestellt werden. Für die Wurzel aus zwei ist das sehr wohl möglich, sie ist das Ergebnis der Frage, welche Zahl zwei ergibt, wenn man sie mit zwei potenziert, was einer einfachen Gleichung entspricht. Diese Eigenschaft von Pi, sich Gleichungen zu entziehen, wird "Transzendenz" genannt.

Angesichts der schieren Größe von X überrascht es vielleicht nicht, dass nicht bekannt ist, ob X transzendent ist. Doch es gibt eine Methode, der darüber Aufschluss geben könnte. Sie geht auf den US-amerikanischen Mathematiker Stephen Hoel Schanuel zurück, stammt aus den 1960er-Jahren und erlaubt es unter bestimmten Umständen zu bestimmen, ob eine Zahl transzendent ist. Im Fall von X wäre das Problem damit möglicherweise gelöst, denn jede ganze Zahl lässt sich problemlos als Ergebnis einer Gleichung darstellen (sich dieser Tatsache zu vergewissern wird Ihnen hier als Übung überlassen). Wäre X transzendent, könnte sie also nicht ganzzahlig sein, was wir ja anfangs schon vermutet hatten.

Und tatsächlich ergibt eine Untersuchung von X mithilfe von Schanuels Methode, dass X transzendent sein sollte. Einziges Problem: Schanuels Satz, der hier zum Einsatz kommt, ist gar kein Satz, sondern eine unbewiesene Vermutung, nach deren Beweis seit sechs Jahrzehnten gesucht wird. Ein Beweis der Vermutung würde das Problem also mit einem Schlag lösen, doch bislang ist ein solcher nicht in Sicht.

Der Mathematiker und Youtuber Matt Parker erklärt in diesem Video, warum es so schwierig ist, Pi hoch Pi hoch Pi hoch Pi auszurechnen.
Stand-up Maths

Selbstgewähltes Scheitern des Verstands

Auch wenn das Problem verblüfft und begeistert, so ist doch ein Element der Willkür darin enthalten. Warum interessieren wir uns hier gerade für X und nicht für das kleinere Pi hoch Pi hoch Pi oder die nächsthöhere, noch viel astronomischere Zahl in der Reihe? Die Antwort: Pi hoch Pi hoch Pi ist für Computer gut zu handhaben, und wir sind uns deshalb sicher, dass es sich nicht um eine ganze Zahl handelt. X ist einfach das erste Element in der Folge der "Potenztürme" über Pi, das wir nicht mit Computern ausrechnen können. Sobald uns das gelingt, wartet die nächste harte Nuss.

Deshalb bleibt an diesem Pi-Tag, dem offiziellen Mathematik-Tag der Unesco und wichtigsten Feiertag für Nerds nach dem 4. Mai, nur die Überzeugung, dass der kleinen Gruppe beweisbarer mathematischer Behauptungen eine nie endende Wunderwelt an beliebig schwierigen unbewiesenen mathematischen Unwahrheiten und Wahrheiten gegenübersteht. (Reinhard Kleindl, 14.3.2024)