250 Frauen auf der Hauptallee – und Frauenlauf-Organisatorin Ilse Dippmann in der Mitte. Als sich 1997 bei ihrem ersten "Lauftreff" fünf Frauen trafen, war das nicht absehbar.
Helena Lea Manhartsberger

Es ist halb sieben am Abend, und Ilse Dippmann steht mitten auf der Prater-Hauptallee auf einem Stockerl. 250 Frauen haben sich hier, Höhe Stadionbad, an beiden Seiten der Allee versammelt, zwanzig von ihnen ruft Dippmann, ein Mikro in der Hand, namentlich auf. Die Renate, die Fritzi, die Petra, die Rosemarie, die Nele und, und, und. Ihnen gilt besonderer Dank, jenen zwanzig Laufinstruktorinnen, die jeden Mittwoch unterwegs sind, um Laufbegeisterte auf den Frauenlauf vorzubereiten.

Der Asics Österreichische Frauenlauf findet heuer am 26. Mai zum 36. Mal statt. Dippmann hat die Veranstaltung 1988 erfunden, da rannten 400 Pionierinnen durch den Schlosspark Laxenburg. Mittlerweile ist der Lauf längst im Prater daheim, und er hat sich ausgewachsen. 2017 waren 30.000 Frauen und Mädchen am Start, im Vorjahr gut 21.600. Weltweit gibt es nur wenige größere Frauenläufe, in Europa keinen. Wenn heuer 27.118 mitlaufen, ist insgesamt die halbe Million an Teilnehmerinnen voll.

Ein paar Wochen noch, und es wird hell sein um die Uhrzeit, doch jetzt ist es dunkel. Die Instruktorinnen haben Taferln mit ihren Namen, dem geplanten Pensum (fünf bis zehn Kilometer) und Tempo mit, so wissen Neulinge, wo sie sich einzureihen haben. Nicht wenige laufen auch sonst regelmäßig, aber diesmal sind viele zum ersten Mal hier, einige laufen zum allerersten Mal. "Fit in 12 Wochen" beginnt, das von Dippmann ersonnene Trainingsprogramm, das jeder Frau ermöglichen soll, die fünf Kilometer am 26. Mai durchzustehen bzw. durchzulaufen.

Fritzi, bald 80, ist eine Legende unter den Laufinstruktorinnen.
Helena Lea Manhartsberger

Fritzi läuft natürlich nicht zum ersten Mal, Fritzi wird bald 80, Fritzi ist eine Legende unter den Laufinstruktorinnen. Sie war 1983 in Laxenburg dabei, 1984 bestritt sie in Wien den ersten ihrer 17 Marathons. "Irgendwann fragte Ilse, ob ich eine Gruppe trainieren will." Sie wollte und will es seit 24 Jahren.

Die Gruppe von Fritzi umfasst ein Dutzend Läuferinnen, drei sind echte Debütantinnen. Fritzi hält sich strikt an den Ilse-Plan. Der sieht in der ersten Woche so aus: eine Minute laufen, zwei Minuten gehen, eine laufen, zwei gehen und so weiter, bis neun Minuten gelaufen und 18 gegangen sind. "Nächste Woche ist es schon umgekehrt", sagt Fritzi. Das Pensum wird immer größer, in Woche elf wird die Fritzi-Gruppe 15 Minuten laufen, zwei Minuten gehen und wieder 15 laufen. Aufwärmen und leichte Dehnübungen am Ende gehören natürlich dazu.

Die Vorbereitung läuft.
Helena Lea Manhartsberger

Früher war vieles anders, sagt Fritzi. Früher leitete sie in der Innenstadt eine PSK-Bankfiliale, da fiel sie schon auf. "Laufende Frauen waren noch auffälliger. Wir wurden sogar beschimpft", erzählt Fritzi. "Gehts heim, gehts kochen‘, haben die Leute gerufen." Dass sich im Lauf der Zeit die Dinge änderten, ist auch Dippmann zu verdanken – und natürlich den Instruktorinnen. Sie wurden allesamt selbst instruiert, von der mit dem Frauenlauf verbandelten "Sportordination", die ein Grundwissen zu Trainingsplänen, Lauf-ABC-Übungen oder Intervalltrainings vermittelte.

Emotion und Belohnung

"Es kommt so viel an Emotion zurück", sagt Fritzi. Und Renate, eine andere Instruktorin, bestätigt es. "Wenn eine Frau, die sich das nie vorstellen konnte, die fünf Kilometer schafft, ist die Freude darüber auch für mich die schönste Belohnung." Die Renate-Gruppe hat den Ilse-Plan leicht adaptiert. Eine Minute flott, zwei Minuten langsam laufen, dann wieder eine flott, zwei langsam und so weiter. Im Frauenlauf streben Renates Schützlinge eine Zeit von 42:30 Minuten an, also einen 8:30er-Schnitt.

Anita schnürt nach Jahren wieder die Laufschuhe.
Helena Lea Manhartsberger

Als sich 1997 bei Dippmanns erstem "Lauftreff" auf der Hauptallee fünf Frauen trafen, war nicht absehbar, wohin das führen würde. Jetzt verteilen sich allein am Mittwoch 250 Frauen im Prater auf 18 Lauf- und zwei Nordic-Walking-Gruppen, und das ist längst nicht alles. Landesweit gibt es 148 Gruppen an fast sechzig Standorten – von A wie Allerheiligen bis Z wie Zwettl.

Spaß und Regelmäßigkeit

Die Versicherungsangestellte Anita geht fitnessmäßig boxen und betreibt Yoga. Aber laufen war sie vor vielen Jahre zum letzten Mal. "Da waren die Kinder noch klein." Jetzt freut sie sich darauf, "viele andere Frauen kennenzulernen". Am 26. Mai schwebt ihr keine bestimmte Zeit vor. "Dabei sein, Spaß haben", will sie. Die Regelmäßigkeit sei wichtig, und der Termin helfe. "Sich allein aufzuraffen, das kann schon manchmal mühsam sein."

Sophia hat früher mit Burschen Fußball gespielt und war "down", als das nicht mehr ging. Das Lauftraining half ihr auf die Sprünge.
Helena Lea Manhartsberger

Es ist nicht nur dunkel an diesem Abend, es weht ein eisiger Wind. Deshalb hält Dippmann sich und die 250 Frauen nicht länger auf. Als sie auf der Hauptallee in beide Richtungen losstarten, blickt ihnen Sophia etwas wehmütig hinterher. Sie checkt beim Frauenlauf den Social-Media-Bereich, da gibt es gerade einiges zu tun. Ansonsten ist auch Sophia laufend dabei. "Früher hab ich Fußball gespielt, mit den Burschen." Als sich das nicht mehr ausging, sei sie sportlich eine Zeitlang nur recht schwer in die Gänge gekommen. "Vor eineinhalb Jahren habe ich angefangen zu laufen", sagt sie, "und es ist das Beste überhaupt." (Fritz Neumann, 8.3.2024)

Trainingsplan von Ilse Dippmann für Anfängerinnen.