Er fällt kaum auf, der Stützpunkt 2529 der Veterans of Foreign Wars in Sandusky, Ohio. Eine schlichte, ockerbraune Ziegelbaracke, in der Dämmerung leicht zu übersehen zwischen den Neonschildern, die an der lärmerfüllten Perkins Avenue für Geschäfte, Anwaltskanzleien und Restaurants werben. Es ist die Kriegsveteranenbaracke einer Kleinstadt am Eriesee. In den Worten von Anthony Tuttamore: Kneipe und Therapiegruppe in einem.

Donald Trump betritt die Bühne.
Donald Trump hat viele seiner treuesten Fans im Mittleren Westen.
GETTY IMAGES NORTH AMERICA/CHIP

Viele, die sich hier beim Bier treffen, sind mit Posttraumatischer Belastungsstörung zurückgekehrt aus Ländern auf der anderen Seite des Globus. Es hilft ihnen, mit Ex-Soldaten über ihre Probleme zu reden. Vietnam, Irak, Afghanistan: Was die USA in jüngerer Vergangenheit an Kriegen führten, findet sich wieder an den marineblauen Wänden im Korridor der Baracke. Dort ist aufgelistet, wer wo im Einsatz war, dazu die Waffengattung – pro Veteran aus Sandusky ein weißer Stern, die Eckdaten in roter Schrift. "Wir sind oft zu weit gegangen", sagt Tuttamore (45), der noch immer die Schürze trägt, mit der er in der Küche stand. "Wir sind reingegangen in Länder, die wir kaum kannten; in Länder, von deren inneren Konflikten wir keine Ahnung hatten, statt die Finger davon zu lassen."

Wie kann es sein, dass ...

Weil Donald Trump es ähnlich skeptisch sieht, bekommt er Tuttamores Stimme. Es ist nicht der einzige Grund, aber offensichtlich ein wichtiger. "Als Person mag ich ihn nicht, zu viele Charakterschwächen. Zudem weißt du nie, was am nächsten Tag aus seinem Mund kommt. Und wenn du es hörst, schüttelst du manchmal nur den Kopf. Aber hey, ich will ja auch keinen Heiligen im Weißen Haus."

Trump-Fan Anthony Tuttamore in Sandusky, Ohio
Anthony Tuttamore in Sandusky, Ohio: "Als Person mag ich Trump nicht, zu viele Charakterschwächen. (...) Aber hey, ich will ja auch keinen Heiligen im Weißen Haus."
Frank Herrmann

Nach einer Weile beginnt Tuttamore über Bill Clinton zu schwärmen, zu dessen Amtszeit der Wirtschaftsmotor brummte, so kräftig wie seither nicht wieder. Tuttamore war damals zu jung, um wählen zu dürfen. Hätte er es gekonnt, hätte er sein Kreuz dennoch nicht beim Namen Clinton gemacht. Er stimmt für Republikaner, aus Prinzip und Familientradition. Jedenfalls, sagt er, sei Clinton auch nicht gerade "Saint Bill" gewesen. Was die meisten in Sandusky nicht gestört habe, denn Menschen machten nun mal Fehler. Ähnliche Nachsicht bestimmt Tuttamores Blick auf Trumps Schwächen.

Warum wird ein Populist, der 2020 die Wahl verlor und seine Anhänger hinterher zum Sturm auf das Kapitol anstachelte, um die friedliche Übergabe der Macht an Joe Biden zu verhindern, warum wird so einer 2024 noch einmal Präsidentschaftskandidat der Republikaner? Ein Mann, der sich in 91 Anklagepunkten in vier Strafgerichtsverfahren zu verantworten hat, der öfter von Revanche gegen vermeintliche Staatsseilschaften spricht als von konkreten Zukunftsprojekten und der die Lage seiner Nation in so düsteren Farben zeichnet, dass kein auch nur annähernd objektiver Beobachter die Wirklichkeit darin wiedererkennt? Wieso Trump? Eine Fahrt durch den Mittleren Westen, durch jenes Flyover-Country", das Amerikaner oft nur vom Flugzeug aus kennen, ist geleitet von dem Versuch, Antworten auf die Frage zu finden.

Twinsburg bei Cleveland war vor kurzem noch ein Sinnbild für den Verfall im Rostgürtel der einst so stolzen Industrie. Von 1957 bis 2010 ließ Chrysler an der Aurora Road Blech für Autotüren, Kofferraumklappen und Kotflügel pressen. Nach der Schließung der Fabrik dauerte es ein paar Jahre, bis die alten Hallen abgerissen und Schadstoffe im Erdreich beseitigt waren. Heute geht der Blick über riesige Lagerhäuser, flach und monoton, und gepflegte Grasflächen dazwischen.

Rebecca Ziegler, Twinsburg, Ohio
Rebecca Ziegler, Twinsburg, Ohio: "Trump erzählt, Amerika sei kaputt, nur er könne es reparieren. Ist das die Realität? Nein. Aber in den Köpfen bleibt etwas hängen."
Frank Herrmann

Neben Amazon sind das Logistikunternehmen Fedex und die Autoteilekette O’Reilly auf dem ehemaligen Chrysler-Gelände vertreten. Mehr als tausend Beschäftigte arbeiten im Cornerstone-Business-Park, obwohl ihre Löhne in aller Regel unter dem liegen, was man früher hier verdiente. Dennoch ist es für Rebecca Ziegler eine kleine Erfolgsgeschichte: allemal besser als die Industrieruinenlandschaft, die das Stadtbild jahrelang prägte.

"Es bleibt etwas hängen"

Ziegler, in der Gemeindeverwaltung zuständig für Wirtschaftsentwicklung, zeichnet ein Bild mit vielen Facetten. Gewiss, das Bauen sei mittlerweile so teuer geworden, dass die hohen Kosten Investitionen bremsten. Gewiss, die Angst vor der Rezession sei ein ständiger Begleiter, obwohl man nun schon seit längerem mit einer Rezession rechne, ohne dass sich das Szenario bewahrheitet hätte. Aber Trumps Skizze? Joe Bidens Amerika tief in der Krise? "Davon sehe ich hier bei uns nichts", sagt Ziegler. "Trump erzählt, Amerika sei kaputt, nur er könne es reparieren. Ist das die Realität? Nein. Aber in den Köpfen bleibt etwas hängen." Das ständige Betonen des Negativen trage bei zu einer angespannten Nervosität im Wahljahr 2024. Wovon wiederum Trump profitiere.

"Als Person mag ich ihn nicht, zu viele Charakterschwächen. (...) Aber hey, ich will keinen Heiligen im Weißen Haus."
Anthony Tuttamore über Trump

In New Albany wirbeln Bagger Staubwolken auf. Überall Baustellen. Der Halbleiterkonzern Intel lässt eine 20 Milliarden Dollar teure Chipfabrik errichten, aus Ackerflächen nordöstlich von Columbus soll "Silicon Heartland" werden. Der Bund in Washington subventioniert das Projekt, der Demokrat Biden hat sich enorm dafür eingesetzt, der republikanisch regierte Bundesstaat Ohio gewährt kräftige Steuernachlässe. Parteiübergreifende Wirtschaftsförderung, könnte man sagen.

Schaut man im Büro der Demokratischen Partei im Licking County vorbei, erfährt man allerdings einmal mehr, wie verhärtet die Fronten sind. Die örtlichen Republikaner seien Feuer und Flamme für das Intel-Projekt, zumal es einen Boom auslöse, beobachten Kristie Chaplin und Nannette Parcher. Trump indes würde es am liebsten mit Schweigen übergehen – und von den lokalen Republikanern von Rang traue sich kaum einer, ihm zu widersprechen. Also reihe man sich ein, obwohl man wisse, wie falsch Trumps Polemik sei.

Ein Debattenkreis von Demokraten und Republikanern im Pfarrhaus einer Kirche in Berkeley Springs in West Virginia.
Ein Debattenkreis von Demokraten und Republikanern im Pfarrhaus einer Kirche in Berkeley Springs in West Virginia.
Frank Herrmann

Weiter nach Berkeley Springs, West Virginia. Nur einen Katzensprung von Washington entfernt und dennoch eindeutig "Trump-Country". Im Pfarrhaus haben sich Demokraten wie Republikaner versammelt, um sich an jenem Dialog über die Gräben der Polarisierung hinweg zu versuchen, der den geradezu verfeindeten Lagern heute so schwerzufallen scheint. Der Veranstalter, eine Initiative namens Braver Angels, hofft, Brücken zu bauen, Verbindendes zu finden, statt, wie Trump es tut, das Trennende zu betonen.

"Trump ist eine Bulldogge"

Er verbringe seine Freizeit gern am Schießstand, sein familiäres Umfeld bestehe aus evangelikalen Christen – so stellt sich Ed Tomlinson, der "rote", republikanische Moderator vor. Fragt man den Professor, der an der University of West Virginia Betriebswirtschaft lehrt, nach dem Trump-Phänomen, spricht er vom "disruptor", der an Altem rüttle, alte Strukturen auseinandernehme, die politische Elite herausfordere. Viele Amerikaner fänden das gut – ganz bestimmt jene, die den Eindruck hätten, die Protagonisten des Systems schauten bloß nachsichtig lächelnd auf sie herab. "Trump ist eine Bulldogge", sagt Tomlinson. "Gerade deswegen – nicht trotz seines Stils – halten seine Getreuen zu ihm."

Ann Darling, Republikanerin, Grundschullehrerin, ist fest verwurzelt in West Virginia, dem Kohlestaat, über dessen vermeintlich rückständige Bewohner unzählige klischeebeladene Witze kursieren. Früher eine Hochburg der "blauen" Demokraten, heute eine der Republikaner, eine Bastion Trumps. Lange habe sich niemand für West Virginia interessiert, bis ein Bauunternehmer aus New York gekommen sei und das Gefühl vermittelt habe, dass er den Ignorierten sowohl zuhöre als auch für sie spreche. "Jetzt haben sie ein Gefühl der Macht, etwas, was sie vorher nie kannten. Diese Macht wollen sie nicht mehr hergeben, daher gehen sie mit Trump durch dick und dünn."

Die Erstürmung des Kapitols, all die Gerichtsprozesse, nichts davon habe etwas geändert an der Loyalität. "Leute, die nie dazugehört haben zu etwas, das auch die Elite respektierte, sind jetzt Mitglied eines Klubs: des Donald-Trump-Klubs." (REPORTAGE: Frank Herrmann aus dem Flyover-Country, 9.3.2024)