Sie geriet geradezu ins Schwärmen. "In etwas mehr als einem Jahr wurden mehr Fortschritte erzielt als in mehr als einem Jahrzehnt", sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen diese Woche, als die EU-Kommission, wie bereits vergangenen Herbst, den Beginn von EU-Beitrittsverhandlungen für Bosnien-Herzegowina empfohlen hat. Die Entscheidung liegt nun beim EU-Rat, der kommende Woche darüber entscheiden wird. Auch die zögerlichen Niederlande könnten diesmal zustimmen.

Bosnien und die EU könnten weiter zusammenwachsen. Das freut vorderhand auch Feinde Brüssels im Land.
AP/Armin Durgut

Bosnische Politiker, sogar der Rechts-außen-Politiker und Kreml-Freund Milorad Dodik, der unter US-Sanktionen steht, tun indes so, als hätten sie die Verhandlungen bereits in der Tasche. Die EU hatte vor kurzem zur Bedingung gemacht, dass drei Gesetze, eines zur Geldwäsche, eines zu Interessenkonflikten und das Gerichts-Gesetz beschlossen werden. Zwei Bedingungen wurden erfüllt. Doch Dodik will dem Gerichts-Gesetz nun nur zustimmen, wenn ein Berufungsgericht in Banja Luka und nicht in Sarajevo errichtet wird. Am 19. März soll darüber entschieden werden. Dodik erscheint gelassen.

Geopolitische Gründe

Der Beginn von Beitrittsverhandlungen kann für das Land ein wichtiger Ausgangspunkt werden, weil im Zuge des Verhandlungsprozesses dringend notwendige Reformen durchgeführt werden könnten. Schaut man genauer und gräbt man tiefer, so sind die bisherigen Reformen allerdings bescheiden.

Darko Pandurević vom Offenen Zentrum Sarajevos, einer NGO, die den EU-Annäherungsprozess unter die Lupe nimmt, erinnert daran, dass vor einigen Jahren noch Fortschritte bei 14 Prioritäten als Bedingung für den Verhandlungsbeginn genannt wurden. "Von den 14 Prioritäten sind jetzt zwei zur Gänze erfüllt", erklärt er dem STANDARD. Weil die Erweiterung nun aber als außenpolitisches Werkzeug angesichts der Bedrohung Europas durch das Kreml-Regime gesehen wird, wurden die Bedingungen für Bosnien und Herzegowina aufgeweicht und auch der Ukraine und der Republik Moldau Verhandlungen ermöglicht.

"Wenn es geopolitische Gründe für die Erweiterung gibt, gleichzeitig aber weiter so getan wird, als handle es sich um einen leistungsabhängigen Prozess, widersprechen sich die Kommunikation und die tatsächliche Erfolgsbilanz", kritisiert Pandurević das Framing der EU. Dies ermögliche nämlich lokalen Politikern, so zu tun, als hätten sie schon viel geleistet.

Zwischen Brüssel und Moskau

Obwohl die bosnische Zivilgesellschaft, die sich seit vielen Jahren für den Beitritt zur EU einsetzt, das Screening des gesetzlichen Regelwerks mit Beginn der Beitrittsverhandlungen begrüßt, hat sie zu Recht Zweifel an dem politischen Willen der Regierenden. Zuletzt wurden nämlich Gesetze erlassen, die die Freiheit einschränken. In dem Landesteil Republika Srpska, der von Dodik dominiert wird, wird etwa "Verleumdung" mit politischem Hintergrund verfolgt. Kritischen Kommentatoren drohen Geldstrafen in Höhe von bis zu 60.000 Euro. Auch NGOs, die vom Ausland mitfinanziert werden, sollen nach Kreml-Vorbild an die Kandare genommen werden. Ein Gesetz, bei dem es um Vermögensdeklarationen von Richtern ging, wurde stark verwässert. Die EU drückte jedoch ein Auge zu.

Dodik kann die EU-Verhandlungen gut für sich nützen. Am Donnerstag findet in Wien in der Diplomatischen Akademie eine Veranstaltung statt, bei der Dodik und sein Verbündeter Dragan Čović von der kroatisch-nationalistischen HDZ über die EU-Annäherung sprechen werden. Gleichzeitig verhindert Čović, dass eine Pipeline gebaut werden kann, die Bosnien und Herzegowina unabhängig vom russischen Gas machen könnte – was wiederum seine wahren Interessen offenbart.

Kritik an Wiener Veranstaltung

Die Diplomatische Akademie gibt an, dass die Botschaft Bosnien und Herzegowinas in Wien den Festsaal angemietet habe, sie selbst aber nichts mit der Veranstaltung zu tun habe. Auffällig ist, dass Anto Nobilo, der Anwalt Dodiks, einen Vortrag halten wird. Kritik gibt es seitens der Gesellschaft für bedrohte Völker, die die Diplomatische Akademie auffordert, die Veranstaltung abzusagen, weil man zwei Politikern, "die Genozidleugung und Glorifizierung von Kriegsverbrechen praktizieren", eine Plattform biete. Dodik sei "die Marionette von Wladimir Putin auf dem Balkan".

Interessant ist in dem Zusammenhang auch, dass Dodik vor einigen Tagen auch explizit Österreich dafür dankte, den Weg zu Verhandlungen geebnet zu haben. Für die bosnischen Politiker geht es sicherlich um viel Geld. Die EU-Kommission hat eine Milliarde Euro in Aussicht gestellt. Möglicherweise geben die EU-Staaten kommende Woche zwar grünes Licht, ein Datum für den Verhandlungsstart wird aber noch nicht gegeben. (Adelheid Wölfl aus Sarajevo, 13.3.2024)